Als Zarah Leander, die Ersatz-Marlene-Dietrich des NS-Propagandaministers, 1942 in der Kitsch-Schmonzette „Die große Liebe“ die Zeile „Davon geht die Welt nicht unter“ schmetterte, muss sie über deren Entstehungsgeschichte Bescheid gewusst haben.

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Der Berliner Schlagerdichter Bruno Balz, aufgrund seiner Homosexualität in die Folterkammern der Gestapo verräumt, dichtete diesen Text in einer Nacht Ende 1941, um zu überleben. Sein kongenialer Partner, der Komponist Michael Jary, hatte Joseph Goebbels überzeugen können, ohne die Worte von Balz nicht in musikalische Bestform zu kommen. Diese Intervention sollte Balz das Leben retten.

Ein Schicksal, das dem jüdischen Operetten-Librettisten Fritz Löhner-Beda nicht vergönnt war. Sein musikalischer Partner Franz Lehár soll keinen Finger gerührt haben, um den Autor des gemeinsamen Operettenhits „Land des Lächelns“ aus Buchenwald und später Auschwitz zu befreien, wo er während der Zwangsarbeit in einer Farbenfabrik erschlagen wurde.

Vier Jahre zuvor, im März 1938, hatte Löhner-Beda noch das Libretto der Operette „Gruß und Kuss aus der Wachau“ gemeinsam mit Hugo Wiener, der die Emigration in Kolumbien und Venezuela überstehen sollte, gestaltet.

Das Auftragswerk „Lass uns die Welt vergessen – Volksoper 1938“, geschrieben vom Theaterregisseur Theu Boermans zur 125-Jahr-Feier des Volkstheaters, lässt zwei Welten aufeinanderprallen. Die verkitschte Heurigen- und Walzerseligkeit des Wachau-Eskapismus bei der Probenarbeit wird verdunkelt durch erste „Entjudungs“-Maßnahmen und Säuberungsaktionen des künstlerischen Personals.

„Ihre Dienste werden hier nicht mehr benötigt“ heißt das Buchprodukt zur akribischen Forschungsarbeit, die die Historikerin Marie-Theres Arnbom über die Künstlerschicksale in der Volksoper ab dem Anschluss betrieb:

„Aus Nachbarn werden Diebe, aus Freunden Feinde, aus Menschen Bestien …“ Goebbels lobte in seinen Tagebüchern „die Labilität der Bühnenschaffenden“, die in Österreich besonders leicht auf Spur zu bringen waren.

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Das Timing der Premiere im Dezember war gespenstisch perfekt. Denn längst ist die gesellschaftspolitische Bluttemperatur so erhitzt, dass es sich bei solchen Projekten nicht nur um artige Bewältigungs- und Aufarbeitungsexerzitien jener düsteren Jahre handelt, über die ein allgemeiner „Nie wieder“-Konsens verhängt ist. Sondern um dringenden Widerstandsbedarf. Nicht erst seit dem Genozid an der israelischen Zivilbevölkerung lodert eine neue Form von Antisemitismus hoch. Auch unter den Verschwörungsschwurblern, die im Zuge der Pandemie aus den finstersten Ecken hochgeschwappt wurden, praktizierte man mit Genuss Judenhass. Und ja, davon geht die Welt unter. Wir dürfen uns nicht an ein Österreich gewöhnen, in dem mit Hakenkreuzen verschmierte Friedhofsmauern, gefakte Bundesheerplakate mit Aufschriften „Hier darf ich Nazi sein“ und verängstigte jüdische Kinder, die von ihren Klassenkameraden aufgrund ihrer Identität gemobbt werden, zu einer neuen Normalität werden.

Im Kontext der beschämenden und lange verleugneten Täter-Historie unseres Landes muss gegen den leisesten Anflug von Antisemitismus – aus welchem Eck er auch immer kommen mag – mit aller Vehemenz aufgetreten werden. Dazu gehört auch, dass man die Geschichte wieder auf den Seziertisch legt. Und Erinnerung zu einer Pflichtübung wird. Das Theater hat dazu fantastische Möglichkeiten.