Bryan Arias: Den Tanz in der DNA
Bryan Arias ist als Choreograf der „West Side Story“ ideal besetzt. Geboren in Puerto Rico und aufgewachsen in New York, trägt er beide Kulturen des Musicals in sich. In Wien arbeitet der Empathie-Motivator zum ersten Mal.
Komplexe Faszination. Wien im Schnee und bei minus drei Grad. Bryan Arias sitzt mit dickem Schal um den Hals auf der leeren Probebühne 3 der Volksoper. Er hat gerade seine erste Tanzprobe hinter sich und wirkt gelassen. Angesprochen auf seinen persönlichen Bezug zu „West Side Story“, tauen Körper und Geist auf.
„Zum ersten Mal damit in Berührung gekommen bin ich als Student der LaGuardia High School. Wir hatten einen Jazztanz-Lehrer, der uns die coole Seite von ‚West Side Story‘ gezeigt hat, und ich war sofort fasziniert. Ich bin dann in die New York Public Library for the Performing Arts im Lincoln Center gegangen, die voller unglaublicher Schätze ist, und habe mir eine DVD des Films aus dem Jahr 1961 ausgeborgt. Ich war augenblicklich verliebt in die Choreografie, die Struktur, die Komposition und habe mich als in New York aufgewachsener Puerto Ricaner natürlich mit der Geschichte identifiziert. Es fühlte sich an, als wäre ich ‚West Side Story‘ – auf der Jagd nach dem amerikanischen Traum.“
Die Qualität von Leonard Bernsteins Welterfolgswerk spiele sich auf vielen Ebenen ab. „Es zeigt den Preis der Freiheit und was es überhaupt bedeutet, frei zu sein. Die Liebe ist ein großes Thema, denn das Stück berührt unseren Wunsch nach Verbindung, unabhängig von Grenzen und Einschränkungen. Natürlich enthält es auch die dunkle Seite der Zugehörigkeit, in diesem Fall zu einer Gang. All das definiert uns als Menschen, wir alle sind mit diesen Themen konfrontiert. Deshalb ist ‚West Side Story‘ noch immer relevant und wird es immer sein.“
Persönliche Premiere
Bryan Arias ist nie in „West Side Story“ aufgetreten, seine Choreografie an der Volksoper, die ob der Tanzlastigkeit dazu geführt hat, dass er auch als Co-Regisseur fungiert, ist nicht nur sein Stück-Debüt, sondern auch seine Musical-Premiere und seine allererste Arbeit in Wien überhaupt. Er begreife dies als großartige Chance, die ihn gewissermaßen auch zu seinen Wurzeln zurückführe. „Ich bin in einem Teil New Yorks aufgewachsen, der vor allem von Hispanics bevölkert war, und kam früh in Berührung mit Hip-Hop und Breakdance. Der Tanz kam zu mir, wir haben einander gefunden. Später kam das klassische Ballett hinzu, und als ich am Nederlands Dans Theater engagiert war, auch viele europäische Einflüsse. Ich wollte mich nicht festlegen, sondern lernen, wachsen, annehmen. In den letzten beiden Jahren habe ich das Gefühl, mir meiner Wurzeln stärker bewusst zu werden. Ich bin durch Puerto Rico gereist, wo die Leute Bomba y Plena, Salsa und Merengue tanzen, und habe begonnen, Einflüsse wie die Vejigantes, also riesige traditionelle Kostüme mit teuflischen bunten Masken, in meine Arbeit zu integrieren.“
Ihm sei es als Choreograf wichtig, eine Verbindung zu den Tänzer*innen herzustellen, die Kommunikationskanäle zu öffnen, Kreativität in einem sicheren, energiegeladenen Umfeld zuzulassen. „Es gibt auch Momente, wo man der Chef sein muss, aber wenn du von Anfang an der sein willst, der recht hat, verlierst du das Menschliche und erschaffst höchstens Roboter.“ Was ist Tanz in seiner Definition? „Therapie und eine Möglichkeit, sich nonverbal mit der Welt auszutauschen.“
Bühnenabschied und Neuanfang
Sein Weg zur Choreografie sei ebenfalls ganz natürlich passiert. „Ich war am Nederlands Dans Theater, arbeitete mit den besten Choreografen, reiste um die Welt und hatte mit 23 das Gefühl, dass ich keinerlei Verbindung mehr spürte.“
Also hörte er auf, ging zurück nach New York, begann zu unterrichten und erste Choreografien zu erarbeiten. Als er bei der Copenhagen International Choreography Competition den Jury- und den Publikumspreis gewann, war sein Schicksal besiegelt.
Was erwartet er sich von „West Side Story“? Bryan Arias lacht. „Ich habe ehrlicherweise selten Erwartungen. Für das Publikum wünsche ich mir, dass es alles, was außerhalb der Volksoper passiert, vergessen kann. Dass es von der ersten bis zur letzten Sekunde fasziniert ist.“