Christina Gegenbauer: „Wenn Troja fällt, wird das Licht ausgeknipst“
Gemeinsam mit der Autorin Magda Woitzuck hat Christina Gegenbauer den Kassandra-Mythos in die Gegenwart geholt. Welche Rolle Gelsen dabei spielen und wie es sich anfühlt die Beleuchtung des Stifts Melk auszuschalten, hat uns die Regisseurin im Interview verraten.
Als sie den Auftrag bekam, im Rahmen der Sommerspiele Melk eine moderne Fassung des Kassandra-Mythos auf die Bühne zu bringen, hatte sie gerade „Kassandra“ von Christa Wolf im Rucksack, erzählt Christina Gegenbauer lachend. Wir sitzen im – wie zu eigentlich fast jeder Tages- und Nachtzeit – rappelvollen Café Jelinek, das warme Wetter verlangt geradezu nach Soda Zitron in rauen Mengen. „Ich dachte mir, dass das doch kein Zufall sein kann“, erzählt die Regisseurin, die direkt nach unserem Gespräch wieder in den Zug nach Melk hüpfen wird. Rund zwei Wochen Probenzeit für „Kassandra und die Frauen Trojas“ liegen noch vor der gebürtigen St. Pöltnerin und ihrem achtköpfigen Ensemble. „Weil wir in den kommenden Tagen immer bis 4 Uhr Früh leuchten werden, verbringe ich die nächste Zeit zur Gänze an unserem Spielort. Darauf freue ich mich schon sehr“, erzählt Gegenbauer.
Eine gottlose Version
Der Stücktext stammt von der mit dem ARD-Hörspielpreis ausgezeichneten Autorin Magda Woitzuck. Sie hätte eine „gottlose“ Version des Kassandra-Mythos geschrieben, erzählte die Autorin einmal in einem Interview. „Die mythologische Ebene haben wir vollkommen ausgeklammert“, so Gegenbauer. „Kassandra wird nicht von einem Gott verflucht, sondern von ihrer Schwester, der sie den Job als Seherin wegnimmt.“ Auch die Sprache sei sehr heutig, zugänglich und gegenwärtig, ergänzt die Regisseurin. Sie setzt nach: „Das Stück spielt zwar zur Zeit des Trojanischen Krieges, könnte sich aber auch auf andere Kriege beziehen. Auch das Bühnenbild ist in der Vergangenheit verwurzelt, lässt aber auch Raum für Assoziationen, die in die Gegenwart und in die Zukunft hineinreichen.“
Stücktexte lassen sie meist dann nicht mehr los, wenn sie Fragen aufwerfen, die sie spannend findet. „In diesem Fall war das unter anderem die Frage, wie es möglich ist, weiterzumachen, wenn einem niemand zuhört. Wie es gelingt, gegen ein festgefahrenes System anzukämpfen“, so Gegenbauer. Außerdem sei sie sehr sprachverliebt, fügt sie hinzu. „Ich mag es, wenn Texte mit Sprache spielen und einen Rhythmus vorgeben.“
Ihre Arbeitsweise bezeichnet sie als sehr körperbetont. „Die Tage, die wir lesend am Tisch verbringen, kann ich an einer Hand abzählen“, bringt sie es lachend auf den Punkt. Außerdem versucht sie den Bühnenraum immer auch als Klangraum zu verstehen. „Ich bin froh, mit dem Musiker Nikolaj Efendi einen tollen Partner an meiner Seite zu haben“, so die Regisseurin.
Das Publikum mitdenken
Ob sie beim Inszenieren auch darüber nachdenke, mit welchem Mix aus Gefühlszuständen das Publikum das Theater wieder verlässt, möchten wir noch von der Regisseurin wissen. Über ihre Antwort muss Christina Gegenbauer nicht lange nachdenken: „Ich versuche das Publikum immer mitzudenken und stelle mir dabei Fragen wie: Welche Informationen sind notwendig, damit man mitkommt? Welche Sinneseindrücke kann ich generieren? Auf welche Weise wird der Inhalt transportiert? Ich halte das deshalb für so wichtig, weil ich es schön finde, wenn man sich ein Stück ohne jegliche Voraussetzungen ansehen kann – wenn es eine sinnliche Ebene gibt, die einen mitnimmt. Das ästhetische Empfinden in dieser leiblichen Kopräsenz ist meiner Ansicht nach für das Theater wesentlich. Wer nach einer rein intellektuellen Reibungsfläche sucht, findet diese besser bei Podiumsdiskussionen.“
Als Regisseurin möchte Christina Gegenbauer zwar die Marschrichtung vorgeben, den Weg aber gemeinsam mit dem Ensemble und den Gewerken entwickeln. „Es ist toll, wenn ein Austausch zustande kommt, der einem Ping-Pong-Spiel gleicht“, bringt sie ihre Herangehensweise auf den Punkt. Im Falle von „Kassandra und die Frauen Trojas“ entstanden viele Ideen auch aus dem aktuellen Weltgeschehen heraus – so sei Priamos an Donald Trump oder Vladimir Putin angelehnt. Bei Kassandra dachte Christina Gegenbauer an Widerstandskämpfer*innen. „Ich bin außerberuflich Zivilcourage-Trainerin für das Mauthausen Komitee. Mich inspirieren Jugendliche, die mutig sind und für ihre Werte einstehen.“
Ein doppelter Neuanfang
Christina Gegenbauers Regiearbeiten waren bereits am Burgtheater, Staatstheater Nürnberg, Theater Trier, Theater Bielefeld und am Deutschen Theater Göttingen zu sehen. Ihre Inszenierung von Horváths „Hin und Her“ wurde zu den Ruhrfestspielen Recklinghausen eingeladen.
Ob es etwas gebe, das sich seit ihren allerersten Arbeiten verändert hat? „Vielleicht treffe ich Entscheidungen mittlerweile etwas schneller und klarer, weil ich mich auf meinen Erfahrungsschatz berufen kann. Trotzdem ist jedes Projekt für mich so, als würde ich es zum ersten Mal machen. Wenn es mit einer neuen Arbeit losgeht, ist das für mich immer ein doppelter Neuanfang.“
Am Ende, wenn Troja fällt, wird das Licht ausgeknipst.
Christina Gegenbauer
Davon, dass ein solcher immer auch mit Druck von außen verbunden ist, können auch die Figuren in „Kassandra und die Frauen Trojas“ ein Lied singen. „Innerhalb des streng hierarchisch organisierten, patriarchalen Systems stecken sie in einer Art von Druckkochtopf. Es kommt zu Erdbeben, zu Klimakatastrophen und zu kriegerischen Auseinandersetzungen. Die große Frage ist, wie lange dieser Druckkochtopf kochen muss, bis jemand die Konsistenz verliert und weich wird. Und wer es schafft, dagegenzuhalten.“
Das Licht wird ausgeknipst
Darüber hinaus sei die Inszenierung, auch von dem Ort beeinflusst, an dem sie stattfindet, so Gegenbauer. „Es gibt wahnsinnig viele Sinneseindrücke …und Gelsen!“, hält sie lachend fest. Zudem hätte auch das Stift Melk, das über allem thront und im Stück als „Palast in den Wolken“ auch vorkommt, einen großen Einfluss. „Am Ende, wenn Troja fällt, wird das Licht ausgeknipst. Das fühlt sich natürlich total toll an – wenn man die Beleuchtung des Stifts abschalten kann.“ Auf privater Ebene sei es außerdem total schön, dass Familie und Freund*innen in der Nähe sind und keine weite Anreise auf sich nehmen müssen. Als freischaffende Regisseurin sei sie im letzten Jahr fast durchgehend unterwegs gewesen.
Das Soda Zitron ist bis auf den letzten Schluck ausgetrunken, aber eine letzte Frage haben wir noch für die Regisseurin: Wäre sie hauptberuflich Seherin, welche Art von Zukunft würde sie dem Theater voraussagen? Wieder muss Christina Gegenbauer nicht lange grübeln: „Das Theater hat die vergangenen 2000 Jahre überlebt, es wird auch Netflix überleben. Es ist eine besondere Kunstform, weil es die aktive Teilnahme des Publikums voraussetzt. Die große Faszination, die von kollektivem Erleben ausgeht, wird nicht so schnell verschwinden.“