Wie es klingt, wenn man von allen guten Geistern verlassen ist? In der Wiener Kammeroper kann man sich das ab 28. Oktober anhören, wenn Peter Maxwell Davies Mystery-Oper „The Lighthouse" aufgeführt wird. Die BÜHNE hat Dirigenten Michael Zlabinger, Regisseur Georg Zlabinger und Ausstatter Martin Zlabinger zum Gespräch getroffen: Die drei Brüder arbeiten gemeinsam an der Oper, die tief in menschliche Abgründe wie Wahnsinn, Isolation, Schuld und Gewalt abtaucht. Inspiriert wurde der britische Komponist von einer wahren Begebenheit: 1900 verschwanden drei Leuchtturmwärter auf einer der menschenverlassenen Flannan-Inseln im Nordwesten Schottlands. Bis heute ist der Fall ungeklärt.

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Auch kompositorisch geht es unheimlich zu. Davies komponierte mithilfe von Zahlenreihen, die er durch die Tarotkarte des Turms gewann, und ließ die Musiker:innen sogenannte Gespensterklänge erzeugen. Die drei Solisten und zwölf Instrumentalist:innen werden gefordert. Gleichzeitig war dem ehemaligen Musiklehrer Davies wichtig, dass auch ein Publikum ohne musikalische Vorbildung seine 80 Minuten lange Kammeroper formal erfassen kann. Im Gespräch mit der BÜHNE erzählen die Zlabingers von der faszinierenden Welt der 1980 uraufgeführten Oper.

Ausstatter Martin, Dirigent Michael und Regisseur Georg Zlabinger Mystery-Oper „The Lighthouse" auf die Bühne.

Foto: M.I. Zlabinger

BÜHNE: „The Lighthouse" ist ein Feuerwerk an musikalischen Spielereien und Stilen: Von Kammeroper, über Folksong, bis hin zu expressivem Schlagwerk-Ensemble. Wie behält man da den musikalischen Roten Faden?

Michael Zlabinger: Ich finde, das ist so toll und so dramatisch komponiert – wenn man sich ganz auf die Partitur einläßt, ergibt sich dieser rote Faden einfach! Peter Maxwell Davies kannte die Musik aus 500 Jahren einfach so gut, dass er es mit bemerkenswerter Virtuosität schafft, alles in seinen Stil zu übersetzen. Es gibt an drei Stellen bewusst gesetzte Brüche durch Lieder. Aber auch diese stehen nicht separat wie Blöcke im Werk, denn er nimmt deren Motivik und übersetzt sie in seine eigene Sprache.

Wie würden Sie Davies Sprache beschrieben?

Michael Zlabinger: Er schreibt eine sehr expressive, durchaus an Dissonanzen reiche Musik des 20. Jahrhunderts, mit einer unglaublichen thematischen Arbeit - einzelne Motivpartikel verändert er durch Versetzung von wenigen Tönen so, dass das musikalische Thema manchmal nur wie eine Ahnung vorbeiweht. Oder er bringt Sachen rhythmisch so vergrößert wieder, dass sie sich schon dadurch der Fasslichkeit entziehen, aber trotzdem sehr viel inhaltlichen Zusammenhang stiften. Das Werk hat eine großartige Architektur, mit klaren Formen und Abschnitten. Aber es ist dennoch nicht so, dass man in der ganzen Komposition nur Konstruktion und Strebepfeiler erkennt.

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Davies war bekannt für seine formalen Spielereien: Wie ist die Oper architektonisch errichtet?

Michael Zlabinger: Die Komposition fußt auf Reihen, die er mit einem „magischen Quadrat" erzeugt - also einer quadratischen Anordnung von Zahlen, die bestimmte Forderungen erfüllen müssen. Diese Reihe basiert auf einer Tarotkarte. Im Fall von „The Lighthouse" sind es sieben mal sieben Felder und jede Reihe muss die Zahl 175 ergeben. Eine Zahlenspielerei. Am Ende kommen eben jene Reihen heraus, aus denen er musikalische Motive baut.

Bekannt ist die Oper für ihre Gespensterklänge, die die unheimliche Atmosphäre unterstreichen. Was kann man sich darunter vorstellen?

Michael Zlabinger: Zum einen zieht Davies manche Akkorde sehr weit auseinander, und setzt zum Beispiel einen ganz tiefen und ganz hohen Ton übereinander. Er arbeitet mit Verfremdung, lässt die Streicher unterhalb vom Steg zupfen oder auf den Saiten Kratzgeräusche erzeugen - und manchmal genügen auch ganz einfache Synkopen in Geige und Bratsche, und die unheimliche Stimmung ist sofort da! Aber insgesamt - das ist jetzt natürlich eine gefährliche Aussage - verwendet er das Instrumentarium doch eher „konservativ“.

Um die Zuhörer:innen nicht komplett zu überwältigen?

Michael Zlabinger: Na, das hoffe ich doch, dass alle komplett überwältigt werden (lacht). Das passiert ja schon allein dadurch, dass er das Schlagwerk so fantasievoll einsetzt. Und um ein Maximum an Möglichkeiten zu erreichen, lässt er andere Musiker des Orchesters das Schlagwerk noch verstärken. Die Geige spielt auch Tamtam, die Gitarre große Trommel, das Klavier sogar Trillerpfeife. Die Partitur ist wahnsinnig und wahnwitzig – spielfreudig!

Wie genau hat Davies das alles auskomponiert, oder bleiben bei der Umsetzung gewissen Freiheiten?

Michael Zlabinger: Das meiste ist sehr genau auskomponiert. Aber vor allem an jenen Stellen, an denen der Wahnsinn dargestellt wird, ist zwar fixiert, was passieren soll, aber es werden Schichten in unterschiedlichen Tempi übereinander gebaut, die jeden Abend ein bisschen anders klingen.

„The Lighthouse" dreht sich um das Verschwinden von drei Männer, das bis heute nicht aufgeklärt wurde.

Foto: Herwig Prammer

Der Wahnsinn ist ein Stichwort: Wie setzen Sie diese beklemmende Atmosphäre des Leuchtturms auf der Bühne der Kammeroper um?

Martin Zlabinger: Wir wollen dem Publikum einen neugierigen und fast voyeuristischen Blick auf die Vorgänge bieten. Das machen wir auf die Weise, dass der Bühnenraum der Kammeroper dreigeteilt wird. Es gibt eine Vorbühne, eine etwas erhöhte zentrale Bühne und einen hinteren Bühnenbereich. Die Übergänge sind durch zwei Öffnungen definiert. Die vordere Öffnung ist ein großes Guckloch.

Zentral war die Fokussierung auf die Beengtheit im Leuchtturm. Daher sind wir auf der kleinen Bühne der Kammeroper noch einmal kleiner geworden. Und wir lassen auch optisch Lücken: Die Sicht ist durch diese Dreiteilung teilweise eingeschränkt und je nachdem wo man sitzt, hat man einen anderen Blick auf das Geschehen. Man muss sich teilweise ein bisschen seinen Teil dazu denken, da in der Sicht ein bisschen eine Lücke bleibt. Jeder sieht an dem Abend eine eigene Variante der Geschichte.

Inspiriert die kleine Bühne der Kammeroper zu außergewöhnlicheren Lösungen?

Sie bietet auf jeden Fall eine Chance, da man sich auf all jenes konzentrieren muss, was einem wichtig ist. Das Ergebnis ist wie ein Destillat. Und das Publikum ist unmittelbar an der Bühne dran. Das hat eine gewisse Schonungslosigkeit.

Was war bei der Regie wichtig?

Georg Zlabinger: Mir war recht früh klar, dass ich die Geschichte gerne aus der Perspektive der drei Offiziere beleuchten möchte. Und mir war wichtig, dass sich das Schauspielerische nicht zu sehr der Musik hingibt. Es gibt lange Phrasen, sehr expressive Momente, krasse Brüche und Kontraste: Da wollte ich vermeiden, dass das schauspielerisch gedoppelt wird. Denn das birgt die Gefahr, dass der Vorgang auf der kleinen Bühne überfrachtet wirkt.

Ihr seid alle drei im Kulturbereich tätig. Wie kann die Kunstform Oper heute noch Relevanz für junge Menschen erreichen?

Georg Zlabinger: Ich weiß nicht, ob jede Oper ein junges Publikum erreichen kann (lacht). Aber gerade dieses Stück ist nach einem Jahr Lockdown und Quarantäne ein ungemein naheliegender Vorgang, den wir da sehen und auch so wahnsinnig schlüssig und farbenreich auskomponiert. Es gibt da schon eine große Identifikationsmöglichkeit, da die Figuren auch recht jung sind.

Dass man eine Geschichte live erzählt bekommt, die jeden Abend ein wenig anders ist und im Moment stattfindet: Das ist wahnsinnig kostbar und auch für eine Selbsterfahrung sehr essenziell. Das kann jede Form von Aufnahme oder vermittelter Geschichte nicht leisten.

Martin Zlabinger: Es gibt nichts Vergleichbares dazu. Diese vielen Bereiche, die ineinander fließen - wenn das aufgeht und ineinandergreift, dann ist das ein Erlebnis, das gibt es sonst nicht.

Michael Zlabinger: Oper kann relevant, faszinierend, großartig sein, wenn das, was man da tut, von einer unverstellten Wichtigkeit und Wahrhaftigkeit erfüllt ist. Wenn man merkt, dass der ganze Abend brennt, dann ist für Zukunft dieser Kunstform kein Bangen.

Termine und Karten: The Lighthouse

am 28.10. und 29.10. in der Kammeroper des Theater an der Wien

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