Auftritt einer Magierin
Andrea Jonasson verwandelt Worte in Kunst. Das tut sie seit sechs Jahrzehnten mit ungebrochenem Erfolg. Unzählige Rollen in zwei Sprachen festigten ihren Ruf der begnadeten Bühnenalchemistin. Nun entfacht sie als Gutsbesitzerin in „Der Wald“ Wiedersehensfreude.
Ihr sonores Timbre war ein Unfall. Kaum zu glauben, dass ein späteres Markenzeichen zunächst als Katastrophe daherkam. Genau das ist Andrea Jonasson, deren tiefgründige Stimme seltenen Wiedererkennungswert besitzt, passiert.
„Als ich in Heidelberg die Imogen in Shakespeares ‚Cymbeline‘ gespielt habe, meinte der Regisseur, dass ich mit meiner damals sehr feinen Stimme etwas tun müsse. Also habe ich an einem besonders dramatischen, verzweifelten Monolog gearbeitet und dabei den Fehler gemacht, schreiend meinen Kopf zurückzuwerfen. Das ist nicht gut für die Stimmbänder, am nächsten Tag kam nur mehr heiße Luft heraus, ich hatte mir einen Stimmbandeinriss zugezogen. Davon wurde meine Stimme dunkler und blieb immer ein wenig heiser.“ In sehr jungen Jahren hatte man sie an der renommierten Otto-Falckenberg-Schule in München „meines kleinen Stimmchens wegen, das dem eines Vögelchens glich“ sogar abgelehnt.
Von diesem Beruf abhalten, „der meine Leidenschaft und mein Instinkt war“, ließ sich die damals 18-jährige Tochter zweier Schauspieler aber nicht. „Obwohl mein Vater dagegen war, dass ich auch diesen Hungerleider-Beruf, wie er ihn nannte, ergriff.“ Andrea Jonasson nahm privaten Schauspielunterricht, arbeitete, um diesen zu finanzieren, in einer Fabrik sowie als Staubsaugervertreterin – und wurde nur ein Jahr später vom ebenso großen wie umstrittenen Gustaf Gründgens an das Schauspielhaus in Hamburg geholt.
„Er brauchte für Hermann Bahrs ‚Das Konzert‘ ein Klaviergänschen“, erzählt sie retrospektiv amüsiert. Sie entschied sich, danach nicht an die Schauspielschule zurückzukehren, sondern bei Gründgens alles zu lernen, was man für diesen Beruf braucht. Vor allem Disziplin. „Eine Vorstellung wegen Halsschmerzen abzusagen war undenkbar. Er selbst litt an schlimmsten Schmerzen am Trigeminusnerv, ich habe ihn während der Pausen als König Philipp in ‚Don Karlos‘ unter einem Sauerstoffzelt liegen gesehen. Dann ging er auf die Bühne und war großartig.“ Dieses Arbeitsethos hat sie sich bis heute erhalten.
Wein von Dürrenmatt
Sie ging nach Heidelberg, „wo hervorragende Regisseure arbeiteten und ich große Rollen spielen konnte. Ich habe ‚Romeo und Julia‘ mit Hans Hollmann gemacht oder ‚Die Bettleroper‘ mit Peter Palitzsch und liebte die Romantik dieser Stadt von Goethe und Schiller.“
Von dort wurde sie ans Schauspielhaus Zürich engagiert und lernte Friedrich Dürrenmatt kennen. „Wir sind Freunde geworden und haben herrliche Abende miteinander verbracht. Er hatte in seinem Keller in Neuchâtel Weine, die noch aus dem vorigen Jahrhundert waren. Einmal fragte er nach meinem Geburtstag, ich habe ihm das Datum genannt, und er hat mir einen Bordeaux meines Jahrgangs geschenkt.“
Solche Geschichten kann sie viele erzählen. Besonders gerne jene von ihrer ersten Begegnung mit Giorgio Strehler.
Vollendete Stilkritik
„1972 probte ich mit Claus Peymann in Hamburg, als der große Strehler zu Besuch kam, um sich Will Quadflieg und Rolf Boysen für seine Inszenierung von ‚Das Spiel der Mächtigen‘ in Salzburg anzuschauen. Michael Heltau hatte ihm von mir erzählt, und er wollte mich persönlich kennenlernen.“
Ihr Auftritt über die Treppe der Hinterbühne dürfte Eindruck gemacht haben. „Er lobte mein schwarzes Outfit, das er für angemessen neutral hielt, und mein ‚Ich bin für Willy Brandt‘-Abzeichen. Dann hat er mir in zwei Minuten die Figur der Königin Margaretha erklärt. Ich war fasziniert.“ Sie wurde seine Königin im „Spiel der Mächtigen“ bei den Salzburger Festspielen 1973, bald darauf auch seine Lebensgefährtin. Und sie lernte Italienisch, erst für den Alltagsgebrauch, dann für die Bühne.
„Das war eine enorme Herausforderung, Giorgio wollte, dass ich in ‚Der gute Mensch von Sezuan‘ die Doppelrolle Shen Te und Shui Ta in italienischer Sprache spiele. Ich hatte das schon in Hamburg auf Deutsch gemacht und dachte, mich trifft der Schlag. Aber er war ein toller Meister, wir haben immer sehr partnerschaftlich gearbeitet. In Italien haben alle gesagt, diese Deutsche wollen wir einmal sehen.“ Was sie dann sahen, war ein Triumph. Fortan war Andrea Jonasson auch in Italien ein Bühnenstar, spielte an vielen großen Theatern, ging mit Giorgio Strehler auf mehrere Welttourneen und war zeitgleich am Wiener Burgtheater engagiert.
Einmal spielte sie „Die Riesen vom Berge“ zur gleichen Zeit italienisch in Mailand und in derselben Strehler-Inszenierung deutsch an der Burg. „Das war fast schizophren. Da muss man aufpassen, dass man die Sprachen nicht vertauscht.“ Was der Höchstdisziplinierten selbstverständlich nie passierte. Wien blieb ihr als künstlerische Konstante erhalten, bis heute spielt sie im Theater in der Josefstadt große Rollen.
Wie ab Oktober die Gutsbesitzerin Raissa Pawlowna Gurmyscheskaja in Ostrowskijs gesellschaftskritischer Komödie „Der Wald“. Eine Figur, über die „La Jonasson“ zum Zeitpunkt des Interviews, das einen Tag nach Probenbeginn stattfand, noch nicht viel sagen konnte.
Was wünscht sich die vielfach Ausgezeichnete – u. a. wurde ihr 2011 von Staatspräsident Giorgio Napolitano der Grande Ufficiale Ordine al Merito della Repubblica Italiana verliehen – für die Welt? „Frieden! Und ein anderes Klima“, muss sie keine Sekunde nachdenken. Und für sich selbst? „Rollen, bei denen man Wut und Verletzung zeigen, bei denen man kämpfen kann.“
Eindringlicher Nachsatz: „Was soll man aktuell denn sonst spielen?“
Zur Person: Andrea Jonasson
Schauspielausbildung in München, Elevin bei Gustaf Gründgens am Schauspielhaus Hamburg, dem sie auch später treu blieb. Engagement am Theater Heidelberg, Ensemblemitglied im Schauspielhaus Zürich und am Wiener Burgtheater. 1973 von Giorgio Strehler für die Salzburger Festspiele engagiert – der Beginn einer Lebensliebe und ihrer Karriere in Italien. Zahlreiche Film- und TV-Produktionen. Seit 15 Jahren ist sie regelmäßig im Theater in der Josefstadt zu sehen.