Alex Esposito: Diabolischer Bösewicht in „Der Freischütz“
Der Bassbariton aus dem italienischen Bergamo gilt als herausragender Mozart-Interpret und ist regelmäßiger Gast auf den bedeutendsten Bühnen der Welt. Am MusikTheater an der Wien darf er nun in eine niederträchtige Rolle schlüpfen: Als Kaspar in „Der Freischütz“ hat er mit seinem Freund Max nichts Gutes im Sinn. Und ist am Ende selbst das Opfer.
„Okay, die Geschichte ist ein wenig seltsam“, stimmt Alex Esposito zu. „Aber zum Glück haben wir einen guten Regisseur, der uns alles plausibel erklären kann. Ich finde die Handlung allerdings auch sehr interessant und mag diese Art von verdrehten Geschichten, die einen gewissen Interpretationsspielraum lassen.“
Carl Maria von Webers romantische Oper „Der Freischütz“ ist deutsches Kulturgut und gelangt im MusikTheater an der Wien zur Aufführung. Im Mittelpunkt der Handlung steht der Jägersbursche Max, der, um Agathe, Tochter des Erbförsters Kuno, heiraten zu können, seine Zielsicherheit unter Beweis stellen muss. Da es mit dieser in letzter Zeit aber eher hapert, überzeugt ihn sein vermeintlicher Freund Caspar, es mit sogenannten Freikugeln, die des Nachts in der gespenstischen Wolfsschlucht gegossen werden, zu versuchen. Bei diesen treffen von sieben stets sechs, die siebente aber gehört dem Teufel. Hinter der freundlichen Fassade ist Caspar jedoch von Eifersucht zerfressen, da ihn Agathe einst zugunsten von Max verschmähte, und sinnt auf Rache. Die siebente Kugel aus Max’ Gewehr sollte nach seinem Plan Agathe niederstrecken – doch es kommt anders, und am Ende liegt Caspar tödlich getroffen am Waldboden.
„Ich mag die dunkle Atmosphäre des Stücks. Es ist wie in einem amerikanischen Film, der in einem mysteriösen Dorf spielt, in dem das Leben schön ist, man das Böse aber bereits erahnt. Die Sonne scheint trüb, und man spürt, dass etwas nicht stimmt.“
Das Gute am Bösen
Alex Esposito freut sich auf seine Rolle, die er zum ersten Mal darstellt. „Für mich ist Caspar der interessanteste Charakter des ganzen Stücks“, lacht er, „weil er der bad guy ist, und wir sind doch alle fasziniert von bösen Typen, die ein Mysterium umgibt. Ganz ehrlich, es ist doch viel spannender, mit dem Teufel auszugehen als mit einem Heiligen.“ Sweet horror – sozusagen.
Ich mag diese Art von überdrehten Geschichten, die einen gewissen Interpretationsspielraum lassen.
Alex Esposito
Regisseur David Marton, dem viel an psychologischer Nachvollziehbarkeit liegt, lässt Caspar an einer Kriegsverletzung leiden, die ihm leichtes Hinken verursacht. „Durch dieses Handicap wird seine Wut auf alle, denen es in seinen Augen besser geht, verständlich“, so sein Darsteller. Dafür benötigt man schauspielerisches Talent – aber dieses sei, so Alex Esposito, in der Oper mittlerweile ohnehin unabdingbar.
Er arbeitete im Laufe seiner Karriere mit Dirigenten wie Claudio Abbado, Kent Nagano, Daniele Gatti, Riccardo Chailly oder Fabio Biondi zusammen und trat in den international renommiertesten Häusern auf. Dazu zählen die Mailänder Scala, das Teatro La Fenice in Venedig, die Wiener Staatsoper, das Royal Opera House London, die Opéra National de Paris, die Deutsche Oper Berlin – und natürlich die Bayerische Staatsoper, wo er als Leporello in „Don Giovanni“ prägendste Erfahrungen für seine spätere Laufbahn sammeln konnte.
„Ich bin ziemlich naiv an die Sache herangegangen und habe gar nicht begriffen, wie wichtig diese Neuproduktion für die Bayerische Staatsoper war. Ich durfte mit den großartigsten Sängerinnen und Sängern unserer Zeit kooperieren. An einem Tag stand ‚Turandot‘ mit Anna Netrebko auf dem Spielplan, am nächsten ‚Otello‘ mit Jonas Kaufmann. Das war ganz normal. Und wenn man diese Persönlichkeiten erlebt, weiß man, dass man es auch auf dieses Level bringen muss, man pusht sich ständig selber, um noch besser zu werden.“
Am MusikTheater an der Wien war Alex Esposito bereits 2015 unter der musikalischen Leitung von Marc Minkowski in „Le nozze di Figaro“ zu erleben. Nach „Der Freischütz“ geht es für ihn unmittelbar nach New York, wo sein MET-Debüt in der Rolle des Doktor Dulcamara in „L’Elisir d’Amore“ ansteht.
Der Tisch als Bühne
Wiewohl er keiner künstlerischen Familie entstammt, fiel die Entscheidung, einen professionellen musikalischen Weg einzuschlagen, bei ihm früh. Erst studierte er Klavier und Orgel, dann Gesang. „Das lag mir im Blut. Schon lange bevor ich als Sänger auftrat, faszinierte mich die Bühne. Wenn ich als Kind einen großen Tisch sah, stellte ich mir vor, dieser sei eine Bühne. Die Vorhänge bei uns zu Hause imaginierte ich mir zu Bühnenvorhängen. Noch heute ist der letzte Schritt, den ich auf die Bühne mache, ehe ich dann im Scheinwerferlicht stehe, das für mich schönste Erlebnis.“
Dabei war es als Kind für ihn gar nicht so leicht, seine Opernleidenschaft auszuleben. „Ich bin gemobbt worden, weil ich immer mit dem Walkman herumgelaufen bin, in dem ich Kassetten der Deutschen Grammophon hatte. Auf einer Klassenreise nach New York haben mir andere Kinder eine Aufnahme von ‚Nabucco‘ entrissen und weggeworfen. Kinder sind manchmal gemein. Heute kommen ehemalige Mitschüler zu meinen Aufführungen und sind stolz auf mich.“ Nachtragend ist Alex Esposito jedenfalls nicht, dafür hat er einfach zu viel Humor.
Die Mauern niederreißen
Dass „Der Freischütz“ nicht im Opernhaus, sondern wegen der Renovierung desselben in der Halle E inszeniert wird, findet der Caspar-Darsteller großartig. „Ich bin davon überzeugt, dass die Oper all die Mauern, die sie in der Vergangenheit aufgebaut hat, wieder niederreißen sollte. Sie muss hinaus zu den Menschen. Natürlich sind die Wiener Staatsoper oder die Mailänder Scala schöne, historisch wertvolle, prestigeträchtige Häuser, aber wir müssen klarmachen, dass wir inmitten der Gesellschaft existieren und nicht in goldenen Schlössern. Früher hieß es: Wir sind die Oper, wenn du uns besuchen möchtest, musst du viel bezahlen, und wir schauen dann, ob wir eine Karte für dich finden. Das ist definitiv vorbei.“
Die Oper muss hinaus zu den Menschen. Wir müssen klarmachen, dass wir inmitten der Gesellschaft existieren und nicht in goldenen Schlössern.
Alex Esposito
Diese arrogante Attitüde zu brechen sei auch ein Nebenaspekt der Pandemie gewesen. „Die Theater haben wegen Corona und all der anderen Krisen in der Welt viel weniger Geld zur Verfügung. Vor wenigen Jahren konnte man ohne Problem Pyramiden auf die Bühne bauen, heute muss man manchmal mit nur einem Sessel und einer Lampe auskommen. Es ist so, als würde man den Kühlschrank öffnen, ein Stück Fleisch und eine Erdbeere darin vorfinden, und daraus etwas Tolles kochen müssen. Jetzt kann man sehen, wer wirklich ein Künstler ist.“ Er selbst fühle sich nach den Lockdowns und Spielbeschränkungen jedenfalls wie neugeboren: „Es ist ein Aufbruch!“
Die Herausforderung der Inszenierung
Es verwundert also nicht, dass Alex Esposito auch die Arbeitsweise von David Marton schätzt. Dieser inszeniert die Oper wie einen Film noir und möchte diesbezüglich weniger von einem Konzept als vielmehr von „Neugier und Interesse“ sprechen. Seine Herangehensweise sei auch nicht „modern“, sondern „gegenwärtig“.
Der Regisseur erklärt: „Es handelt sich um eine filmische Arbeit, die live passiert. Auf der einen Seite der durchsichtigen Kinoleinwand die Sänger und Kameraleute, auf der anderen das Publikum. Man sieht einander, spürt einander, hört einander vor allem.“ Das Bühnengeschehen wird durchgehend gefilmt und auf die Leinwand projiziert. „Somit entsteht eine Doppelbelichtung, die ein wenig schizophren ist und damit auch auf die deutsche Romantik verweist.“
Für Alex Esposito müsse sich das Theater ohnehin zunehmend an Streamingdiensten und Fernsehformaten orientieren, wolle es relevant bleiben. „Die Leute sind an diese Ästhetik gewöhnt. David Marton ist jung, hat eine moderne Vision von Oper und setzt Kameras innovativ ein. Man muss zu tausend Prozent in seinem Charakter sein und genau wissen, was man mit seinem Gesicht und seinen Augen macht, weil man alles groß auf der Leinwand sehen kann. Es ist schwierig, aber eine lehrreiche Herausforderung.“
Der Kammersänger in Lederhosen
2020 wurde Alex Esposito zum Bayerischen Kammersänger ernannt. Damit seien zwar keine Privilegien verbunden, eine große Ehre sei es für ihn dennoch. „In England schlagen sie dir mit einem Schwert auf die Schulter und nennen dich fortan Sir. In Bayern zeigen dir die Menschen so, dass sie dich mögen und dankbar sind für deine Arbeit.“
Ich war am Vortag bis 23 Uhr beim Oktoberfest, habe zu viel Bier getrunken und bin Achterbahn gefahren. Mir war die ganze Nacht schlecht. Aber als ich aufgewacht bin, war meine Stimme glockenhell.
Alex Esposito
Es gibt ein Foto von ihm, das ihn in Lederhosen auf der Münchner Wiesn zeigt. Darauf angesprochen, lacht Alex Esposito beinahe maliziös. „Das war beim Oktoberfest, zu der Zeit, als ich ‚Don Giovanni‘ gemacht habe. Ich war jung, mir war gar nicht bewusst, was ich da tue. Am nächsten Tag hatten wir Probe, ich war am Vortag bis 23 Uhr aus, habe zu viel Bier getrunken und bin Achterbahn gefahren. Mir war die ganze Nacht schlecht. Aber als ich aufgewacht bin, war meine Stimme glockenhell.“ Als Aufforderung an junge Sänger, sich die Nächte um die Ohren zu schlagen, will er diese Anekdote freilich nicht verstanden wissen. „Aber manchmal bleibt man brav zu Hause, geht früh ins Bett und wird trotzdem krank …“
Der Freischütz
David Marton (Regie), Patrick Lange (Musikalische Leitung). U. a. mit: Dean Murphy, Jacquelyn Wagner, Alex Esposito, Tuomas Katajala, Sofia Fomina, Guido Jentjens
Bis 3. April im MuseumsQuartier / Halle E
theater-wien.at
Zu den Spielterminen von „Der Freischütz“ in der Halle E des MQ Wien