Bernhard Aichner: Der Tod steht ihm gut
Extravagante Morde. Bizarre Schauplätze. Exzentrische Figuren. Bernhard Aichner schreibt Blockbuster-Krimis, die unter die Haut gehen. Mit „Brennweite“ liegt der neueste Thriller in den Regalen – und seine „Totenfrau“-Trilogie wurde soeben von Netflix verfilmt. Zu sehen ab Herbst in 190 Ländern.
Er mag keine Hemden. Deshalb trägt er seit Jahren T-Shirts und Lederjacken, die er in vielen Farben besitzt. Aus einer textilen Aversion ist so ein Markenzeichen geworden. Ein spezifisches Charakteristikum sind auch die knappen, prägnanten Sätze, mit denen Bernhard Aichner ganze Welten erschafft. „Ich habe Germanistik studiert und es gehasst, wenn Sätze über eine ganze Seite gingen und man beim Lesen dreimal von vorn beginnen musste. Landschaftsbeschreibungen, die sich über sieben Seiten erstreckten, haben mich wahnsinnig gemacht“, erklärt er seine Vorliebe für eingängige Satzkompositionen. „Ich skizziere lieber etwas, und die Leserin oder der Leser malt es aus. Man sollte die Fantasie seines Publikums nicht unterschätzen.“ Auch seine Dialoge ähnelten eher einem Pingpong-Spiel, erklärt der Autor.
Zur Person: Bernhard Aichner
1972 in Osttirol geboren, schreibt Romane, Hörspiele,Theaterstücke und Drehbücher. Früher als Pressefotograf tätig, erfolgte 2014 der Durchbruch mit „Totenfrau“, das in 16 Sprachen übersetzt wurde. Nach den Standalones „Bösland“ und „Der Fund“ erschienen 2021 und 2022 mit „Dunkelkammer“, „Gegenlicht“ und „Brennweite“ drei Bände der neuen David-Bronski-Reihe.
Geboren in Osttirol, war er als Kind leidenschaftlicher Ministrant und hegte den Wunsch, Priester zu werden. „Weil in der Religionsstunde Geschichten erzählt wurden, die mich fasziniert haben. Die Kirche mit ihren Inszenierungen war für mich wie Theater. Es hat mir gefallen, dass da einer oben stand und predigte.“ Spätestens mit 13 Jahren kippte die Begeisterung ins Gegenteil. „Da habe ich hinterfragt, was man im Glaubensbekenntnis eigentlich betet, und ab dem Moment war ich fertig mit der Kirche.“ Wiewohl sich Bibelszenen und Märchensujets hervorragend als Vorbilder für Krimis eigneten, „denn nirgendwo geht es grausamer zu“.
Auch in seinem neuen Buch „Brennweite“ spielen Wunder eine tragende Rolle. Ein Mönch, blind und 14 Jahre lang zurückgezogen in einem Kloster in den Tiroler Bergen lebend, wird plötzlich zum Heilsbringer. Und obwohl sich seine psychopathischen Züge recht schnell herauskristallisieren, glaubt bald die ganze Welt daran, dass ein neuer Messias gekommen sei. „Bevor ich mit dem Schreiben an diesem Buch begonnen habe, bin ich auf eine Studie gestoßen, nach der etwa 60 Prozent aller Österreicher und Deutschen an Wunder glauben. Das ist eigentlich unfassbar.“ Aber die Sehnsucht nach einer Metaebene, einem mystischen Zufluchtsort, sei enorm.
Bernhard Aichner hat sich das zunutze gemacht und einen packenden Krimi verfasst. Es ist der dritte seiner David-Bronski-Reihe, in der ein Pressefotograf – man kann ihn fragmentarisch als Alter Ego des Autors, der jahrelang selbst in diesem Beruf gearbeitet hat, sehen – außergewöhnliche Fälle klärt. Dass auch dieser Band auf den Bestsellerlisten landen wird, ist klar – für Bernhard Aichner aber alles andere als selbstverständlich.
Aus dem Nichts zu Netflix
Ehe ihn der erste Teil seiner „Totenfrau“-Trilogie 2014 über Nacht zum Shootingstar machte, veröffentlichte der heute mit Frau und Kindern in Innsbruck lebende Autor bereits jahrelang Bücher.
„Ich habe pro Titel zwischen 2.500 und 5.000 Exemplare verkauft und war weit davon entfernt, vom Schreiben leben zu können. Aber auch wenn der Erfolg nie gekommen wäre, hätte ich weiter geschrieben. Für mich ist das tatsächlich eine Notwendigkeit.“ Die Bände „Totenfrau“, „Totenhaus“ und „Totenrausch“ rund um die ihren ermordeten Ehemann grausam rächende Bestatterin Blum verkauften sich 500.000-mal und wurden in 16 Sprachen übersetzt. Netflix und der ORF haben den Stoff verfilmt, Anna Maria Mühe spielt die erbarmungslose Heldin. Der ORF strahlt die Serie im Oktober in drei Teilen à 90 Minuten aus, auf Netflix kann ab November sechsteilig und in 30 Sprachen gestreamt werden.
Damit dürfte der Name Bernhard Aichner Krimifans in 190 Ländern weltweit ein Begriff werden. „Im besten Fall wäre es so“, bleibt er bescheiden. „Es ist eigentlich unglaublich, denn die Vorbereitungen haben neun Jahre gedauert. Der Produzent hat sich die Rechte daran schon 2013, noch vor Erscheinen des ersten Bandes, gesichert.“ Nach so langer Zeit sei er nun aufgeregt, aber auch stolz. Vor allem könne er bei seinen Kindern punkten, fügt er schmunzelnd an. Denn Netflix ziehe auch bei deren Freunden. Ihm käme zugute, dass er seine Bücher schon immer wie Filme konzipiert habe. „Nicht, damit sie verfilmt werden, sondern weil ich diesen Stil mag.“
Ein weiteres seiner Werke – „Broll – Für immer tot“ – wurde von Harald Sicheritz mit Jürgen Vogel in der Hauptrolle verfilmt und wird ebenfalls im Herbst im TV zu sehen sein. Mit Harald Sicheritz verstand er sich so gut, dass die beiden gemeinsam das Drehbuch zu einer Krimiserie schrieben. Realisierungszeitpunkt: noch ungewiss.
Wird man, wenn man so erfolgreich publiziert, auch reich? „Reich nicht, aber ich kann gut davon leben und muss mir nicht ständig überlegen, ob ich mir dieses oder jenes leisten kann. Ich fahre aber weder ein teures Auto,noch lebe ich in einem großen Haus.“ Letzteres wäre in Innsbruck auch kaum erschwinglich.
Kürzlich kam nach einer Lesung jemand zu mir und bat um mehr Tote beim nächsten Buch.
Bernhard Aichner, Autor
Recherche im Krematorium
Bernhard Aichner schreibt im Durchschnitt ein Buch pro Jahr. Das Ausdenken einer Geschichte mache ihm dabei die größte Freude. „Ehe ich zu schreiben beginne, habe ich den Plot schon im Kopf. Ich weiß zu 80 Prozent, wie sich die Handlung entwickelt, welche Figuren darin vorkommen, wer böse ist, welche Menschen sterben werden, auch, wie sich das Ende gestaltet.“
Wenn es notwendig ist, recherchiert er auch intensiv. „Als ich ‚Totenfrau‘ geschrieben habe, bin ich in Innsbruck in ein Krematorium gegangen und habe gefragt, ob es theoretisch möglich sei, nachts heimlich eine Leiche anzuliefern und selbst zu verbrennen“, erinnert er sich durchaus amüsiert. „Erst hieß es, nein, niemals. Nach einer Stunde hat es dann geheißen, das ginge sogar sehr gut, denn die Betriebstemperatur müsse ohnehin immer auf 800 Grad gehalten werden. Dem Krematoriumsleiter hat es richtig Spaß gemacht, meinen Mord zu ermöglichen.“
Für die „Totenfrau“ -„und um meine eigene Angst um den Tod zu bekämpfen“– machte Bernhard Aichner zudem ein Praktikum bei einer Bestattungsunternehmerin.
„Als der erste Tote vor mir lag, war die Furcht nach fünf Minuten weg. Ich habe Verstorbene ausgezogen, ihre Wunden versorgt, ihnen die Haare gewaschen, sie tamponiert. Es ging darum, sie für die Verabschiedung hübsch herzurichten. Das war interessant und für mich persönlich sehr hilfreich.“Gibt es eigentlich Menschen, die Angst vor seiner mörderischen Fantasie haben?„Ich hoffe nicht“, lacht er. „Ich beobachte im Gegenteil gerade bei älteren Damen, dass es denen gar nicht blutrünstig genug zugehen kann. Kürzlich kam nach einer Lesung jemand zu mir und bat um mehr Tote beim nächsten Buch. Wir sind alle Voyeure und schauen gerne hin.“
Am vierten Bronski-Band schreibt Bernhard Aichner gerade. Ob es dabei tatsächlich ein bisserl mehr sein darf, was die Morde betrifft, werden wir beizeiten wohlig schaudernd erfahren.