Überrascht mich, hat er gesagt. Zeigt mir einen Teil von Wien, den ich noch nicht kenne, hat er gesagt. Bardo Böhlefeld ist Fan des Films „Joker“. Also haben wir eine Treppe gesucht. Klingt banal, weil jedes (Miets-)Haus in Wien eine Treppe hat. Aber einerseits sind das Stiegen und keine Treppen (wir können gern auf Facebook den Unterschied diskutieren), und anderseits musste sie im Freien liegen. So wie besagte Treppe aus dem „­Joker“-Film, die 131 Stufen hoch ist und sich grau zwischen mit Feuertreppen bestückte braune und beige Backsteinhäuser quetscht und mitten im New Yorker Stadtteil Bronx liegt. 

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Für die ganz Genauen: Die Treppe verbindet als West 167th Street die Anderson Avenue mit der Shakespeare Avenue. Auf dieser tanzte sich Joaquin Phoenix als Joker in die Kinounsterblichkeit und zum Oscar. Das Wien-Double ist nicht so lang und nicht so breit, aber liegt ähnlich versteckt: Sie unterbricht den Mölker Steig auf dem Weg zur Schottengasse im ersten Wiener Gemeindebezirk. Ein Eisengeländer ist auf der einen Seite die Begrenzung, eine alte Backsteinmauer auf der anderen. Im 16. Jahrhundert war hier der Wall zwischen Schottentor und Mölker Bastei. Bis heute ist der Mölker Steig nur für Fußgänger benützbar. Vom Bühneneingang des Burg­theaters sind es schnelle vier Minuten. Vorbei am Stammhaus der Reiter Schuhmanufaktur, erst eine Rechtskurve, dann eine Linkskurve und gleich darauf wieder rechts, und schon geht es abwärts.

Bibiana Beglau und Bardo Böhlefeld in „Die Hermannsschlacht" am Burgtheater.

Foto: Matthias Horn/Burgtheater Wien

An die Bären verfüttert

Bardo Böhlefeld war noch nie hier. ­Dabei ist er zwar neu am Burgtheater, aber gar nicht so neu in Wien. Der 33-­Jährige spielte am Schauspielhaus in Robert ­Menasses „Hauptstadt“ als er von Alexandra ­Althoff, Martin Kušejs Stellvertreterin, für das Burgtheater entdeckt wurde. Dort hat er in „Don Karlos“ gespielt, dann in „Die Hermannsschlacht“ an der Seite von Bibiana ­Beglau, die ihn am Ende an die Bären verfüttert. Gleich zu Beginn sieht man Beglau als blonde Thusnelda mit ihrem römischen Loverboy Ventidius (Bardo Böhlefeld) auf einem toten Auerochsen thronen und das rohe Fleisch des Tiers verputzen.

Ich will spielen, ich will Menschen in eine andere Welt entführen. Ich will gefordert sein.

Bardo Böhlefeld

Das Foto der Szene wurde vom ­„Spiegel“ bis hin zum „Kurier“ veröffentlicht. Es ist ein starkes Bild. Bardo Böhlefeld schafft es trotzdem nur zu einer Erwähnung im Bildtext. Das ist schade. So ist das, wenn man eine Funktionsfigur spielt. So nennt man ­Rollen, ohne die nichts geht, aber den Ruhm ­kriegen andere. Dabei schaut das Publikum hin, wenn Böhlefeld auftritt. Er hat etwas, was man nicht lernen kann: natürliche Bühnenpräsenz, Charisma und etwas Geheimnisvolles, das man nicht zu deuten vermag. „Ich will spielen. Ich will Menschen in eine andere Welt holen. Es reicht mir nicht, einfach nur dabei zu sein, ich will mich ­fordern und gefordert werden“, sagt er. 

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American Football

Rom ist sein Geburtsort. In Südafrika ging er zur Schule, lebte dann viele Jahre in Berlin. Der Vater ist Deutscher und im diplomatischen Dienst, die Mama kommt aus dem Iran. Er hat so viel Perser in sich, dass er die goldenen, ungeschriebenen ­Regeln seines Mutterlandes kennt: „Sag niemals Araber zu einem Perser …“, sagt Bardo und lacht. Er greift beim ­Reden gerne Menschen an, baut so Nähe auf: „Eigentlich bin ich sehr, sehr zurückhaltend und brauche Wochen oder Monate, bis ich mich öffne und mein Innerstes zeige. Manche Regisseure oder Kollegen irritiert es, weil ich so sehr zuhöre und über das ­Gesagte nachdenke, dass ich oft vergesse, eine ­Reaktion zu zeigen.“

Als Jugendlicher zockt er stundenlang vor dem Computer. „Dann habe ich mich in ein Mädchen verknallt, und sie hat gesagt: ‚Du bist fett und hässlich – lass mich in Ruhe!‘ Da habe ich gewusst, ich muss mein Leben ändern.“ Er sucht die Sportart, bei der am meisten Kalorien verbrannt werden, und entscheidet sich dann doch gegen Ballett und für American Football. Trainiert wie manisch. Spielt Theater, scheitert aber an der Aufnahmeprüfung zur Schauspielschule: „Die haben gesagt, ich soll nicht wie ein kleiner Mussolini herumspringen und mir klar werden, was ich von dem Job möchte.“

Eine Pose der Ruhe. Bardo Böhlefeld auf den Stufen des Mölker Steigs: Er hört lieber zu, als dass er redet. Ein seltener Charakterzug.

Foto: Andreas Jakwerth

Charaktersammler

Er macht Hospitanzen in Offtheatern, studiert dann an der Universität der Künste in Berlin. Sein erstes fixes Engagement ist in Göttingen. Dort arbeitet er mit der großartigen Lucia Bihler. Er spielt Hauptrollen, wird von der Kritik gelobt und dreht mit Rosa von Praunheim einen Film, „Darkroom – Tödliche Tropfen“. Er spielt in Wien am Schauspielhaus. Bardo Böhlefeld ist, wie viele seiner Kollegen, ein Charaktersammler („Ich klaue für Rollen auf der Straße“), aber im Gegensatz zu vielen anderen seiner Zunft ist er ein exzellenter Zuhörer, der es schafft, durch kluge Gegenfragen die Interviewsituation zu drehen. 

Verloren stehen zwei leere Stühle in einem Gastgarten. Die Sonne scheint. Wir setzen uns illegalerweise. Unter der Regie von Anita Vulesica hat er gerade das Stück „Der Fiskus“ erarbeitet. Bardo erzählt, dass er zu schreiben begonnen hat, aber das ­Geschriebene nie veröffentlichen wird.  Er dreht auch lustige Videos für seine Social-Media-Kanäle. Für eines hat er den Inhalt von drei Packungen Gummibärchen mit Spucke auf den Holztisch seiner Freundin gepappt. Die Gelatine habe den Tisch ruiniert, sagt er. Wir schauen beide in die Sonne. Das Leben ist schön. Man muss auch bei Interviews nicht immer reden.

Zur Person: Bardo Böhlefeld

Geboren in Rom, aufgewachsen in Südafrika. Die Mama ist Perserin, der Papa Deutscher. Er drehte mit Rosa von Praunheim, spielte in Göttingen, Hannover, ­Berlin und wurde am Schauspielhaus für das ­Ensemble des Burgtheaters entdeckt.

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