Wenn sich Mozart im Grabe mitdreht
Nils Strunks Inszenierung der „Zauberflöte“ ist eine Reise durch die Musikgeschichte, an deren Ende doch wieder Mozart steht. Oder müsste es Anfang heißen? Egal. Fix ist: Dieses Stück ist ein Riesenspaß. Auch für das Ensemble.
Es ist halb zwölf am letzten Märztag dieses Jahres, der April, dieser alte Anarcho-Monat, macht sich jedoch bereits durch seine Unentschlossenheit in Sachen Wetter bemerkbar. Deshalb – und auch weil man hier mit Zeit ähnlich anarchistisch umgeht wie der April mit Sonne, Wind und Regen – machen die Fahrgeschäfte im Böhmischen Prater erst nach und nach auf. Die Zeit läuft hier nicht (und schon gar nicht davon), sie flaniert. Und das tut an diesem kühlen Freitagvormittag auch das Ensemble der Burgtheater-Produktion „Die Zauberflöte“ – und ist dabei auf der Suche nach geeigneten Foto-Locations.
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Zwischen dem 1903 gebauten Ringelspiel der Familie Hrabalek und dem Autodrom aus dem Funpark Riedl ist die Zeit hier irgendwie stehen geblieben. Einer, der mit Stillstand so gar nichts anfangen kann, ist Nils Strunk, Musiker, Ensemblemitglied des Burgtheaters und Regisseur der „Zauberflöte“. Der 1990 geborene Schauspieler läuft zwischen den Fahrgeschäften hin und her, spricht mit deren Betreiber*innen, winkt Passant*innen zu und feuert im Minutentakt Fotoideen ab.
Tim Werths, der in der „Zauberflöte“ Papageno und den Erzähler Anton Kratky-Baschik spielt, solle sich doch einmal vor das Schild mit der Aufschrift „Nur für spielende Personen“ stellen. Die Stimmung im Ensemble ist gelöst, hin und wieder vergisst man, dass man gerade bei einem Fototermin und nicht bei einer Theaterprobe ist.
Quer durch die Musikgeschichte
Nils Strunk, der in der Nähe des großen Bruders des Böhmischen Praters im zweiten Bezirk lebt, hat sich im Rahmen der „Zauberflöte“ intensiv mit der Geschichte der Wiener Vergnügungsparks beschäftigt. „Für mich gehört das alles zusammen – Mozarts und Schikaneders Oper, die verwunschene Welt des Praters und das Zaubertheater“, hält er fest.
Mit der „Zauberflöte“ kam er zum ersten Mal im Alter von 19 Jahren in Berührung. „Das war in der Berliner Staatsoper, wo ich in der Musiktheaterpädagogik meinen Zivildienst absolviert habe. Ich habe die Ouvertüre gehört und mir sofort gedacht, dass das doch ein tolles Riff für einen Popsong wäre. Als ich mitbekam, dass man am Burgtheater daran interessiert war, den Stoff zu machen, hatte ich sofort vor Augen, wie man das angehen könnte. Ich habe Melodien gehört, die nach Tom Waits, Billy Joel, Leonard Cohen und vielen anderen klingen. Aber ich hatte auch sofort die Welt im Kopf, in der das spielen könnte.“ Und das ist im Falle seiner „Zauberflöte“ jene des Varietés, des Vaudeville-Theaters und der alten Prater-Unterwelt.
Auf musikalischer Ebene ist die Inszenierung ein Ausflug durch die Musikgeschichte, bei dem alle – egal ob Beyoncé, die Rolling Stones oder Tom Waits – immer wieder bei Mozart zusammenfinden. Das lässt sich, so Strunk, auch damit begründen, dass viele moderne Pop-Melodien ihren Ursprung bei Mozart haben. „Wenn ich Mozart höre, denke ich mir oft, dass es schon irre ist, wie wenig sich harmonisch seither verändert hat. Was natürlich nicht bedeutet, dass nicht unglaublich viele neue Dinge hinzugefügt wurden und entstanden sind. Trotzdem hat er uns so viel Schönes hinterlassen, dass wir uns immer noch davon ernähren können.“
Inspiriert habe ihn und Co-Autor Lukas Schrenk auch die Geschichte Emanuel Schikaneders, ergänzt er: „Er gehörte derselben Generation an wie Goethe, wurde aber nicht mit einem Hauslehrer groß, sondern musste als siebenjähriges Kind mit einer Geige auf dem Dorfplatz Geld verdienen. Für ihn waren Musik und Kunst immer mit Unterhaltung und Erfolg verbunden.“
Zur Person: Der Böhmische Prater
1884 hatten sich am Laaer Berg bereits zahlreiche Gaststätten und Schausteller angesiedelt. Sie bildeten den Grundstock des „kleinen Praters“, der aus einer Fußgängerzone besteht, an die sich links und rechts die Fahrgeschäfte, Schanigärten und Lokale reihen. Während des Zweiten Weltkriegs wurde der Böhmische Prater durch einen Bombenangriff nahezu vollständig zerstört. Beim Wiederaufbau erhielt er sein heutiges Aussehen.
Theater kann alles
Über all den kompositorischen und inszenatorischen Überlegungen schwebte stets die Frage, wie nah man an Mozarts Musik und Schikaneders Libretto bleiben wolle. „In der klassischen Oper ist es so, dass die Stücke so gespielt werden, wie sie vor teilweise Hunderten von Jahren komponiert wurden. Dagegen ist absolut nichts einzuwenden, das hat sogar einen enormen Charme. Trotzdem wollte ich es bei diesem Projekt anders machen. Eher im Sinne eines Recomposing, wie es zum Beispiel Max Richter mit Vivaldi gemacht hat. Ich habe mir die für mich schönsten und wichtigsten Stellen herausgesucht und sie umarrangiert oder zum Teil ganz neue Songs aus den Motiven komponiert“, erläutert der in Norddeutschland geborene und aufgewachsene Musiker und Schauspieler.
Ich hatte schon ein bisschen Angst, dass mich die Wiener*innen nach der Premiere an der Pestsäule aufhängen.
Nils Strunk, Schauspieler, Musiker und Regisseur
Für ihn gilt: Theater muss nichts und kann alles. „Wenn es aber eine einzige Sache muss – jedenfalls sehe ich das so –, dann lebendig sein und den Leuten etwas erzählen wollen. Für mich sollte deshalb so viel ‚Zauberflöte‘ in der Inszenierung sein, dass man die ‚Zauberflöte‘ erkennt, aber auch so viel Neues, dass es etwas Eigenständiges ist. Ein gutes Cover ist eine Hommage. Man setzt das Original auf einen Thron und baut dann darum herum, sodass am Ende etwas Eigenes daraus entsteht“, fügt der bekennende Mozart- und Schikaneder-Fan hinzu.
„Das waren so plietsche (Norddeutsch für pfiffig, Anm.) Jungs, voller Ideen und voller Frechheiten. Mozart selbst ist einfach zu Vorstellungen gegangen, in denen Schikaneder mitgespielt hat, hat sich ans Klavier geschmuggelt und ihn mit seinen Improvisationen rausgebracht. Ich würde sogar so weit gehen, zu behaupten, dass sie sich doch sehr wundern würden, wenn sie mitbekämen, dass man ihre Musik im Jahr 2023 noch genauso spielt wie zur Zeit ihrer Entstehung. Wir haben während der Proben immer gesagt: Mozart und Schikaneder würden sich im Grabe mitdrehen.“
Zur Person: Die Oper
wurde 1791 im Freihaustheater in der Wiener Vorstadt uraufgeführt. Das Libretto der „Zauberflöte“ stammt von Emanuel Schikaneder, der auch als Papageno auf der Bühne stand. Die weltberühmten Arien komponierte Wolfgang Amadeus Mozart. Mit ihren märchenhaften Inhalten und zahlreichen Verwandlungen steht die Oper in der Tradition des Alt-Wiener Zaubertheaters. Sie gehört zu den meistgespielten Opern weltweit.
Eine Rolle spielte auch, dass die „Zauberflöte“ für viele Menschen eng mit der eigenen Kindheit verknüpft und dadurch auch sehr stark emotional aufgeladen ist. „Ich hatte schon ein bisschen Angst, dass mich die Wiener*innen nach der Premiere an der Pestsäule aufhängen“, sagt Nils Strunk und lacht sein offenes Lachen. „Gleichzeitig weiß ich, dass ich mit dieser Inszenierung etwas versucht habe, was liebevoll ist und was im Grunde genau damit umgeht, dass es mir mit der Oper genauso geht.“
Inhaltlich folgt seine Interpretation der weltberühmten Oper, wobei die Handlung einerseits ein wenig komprimiert, andererseits um die Ebene einer Wandertheatertruppe rund um Anton Kratky-Baschik ergänzt wurde. Manche der Figuren erlebten eine Umdeutung, allerdings stecke in den Charakteren so viel, dass man sich nur entscheiden müsse, welche ihrer Seiten man vermehrt herausarbeiten will, sagt Strunk.
Mit Leib und Seele
Wie es ihm als Schauspieler und Musiker mit der Rolle des Regisseurs ergangen ist, möchten wir abschließend von ihm wissen. „Mir ging es in dieser Arbeit so gut wie noch nie“, antwortet er wie aus der Pistole geschossen, und man glaubt es ihm aufs Wort. „Ich glaube, dass ich kein einziges Mal am Regietisch gesessen bin, weil ich mich immer wieder ans Klavier gesetzt habe, um mich dadurch auszudrücken. Ich fühle mich in dieser Inszenierung so sehr in meinem Element wie noch nie zuvor. Für mich löst sich hier gerade die Arbeit von zwei Jahrzehnten ein“, erzählt Nils Strunk und hebt dabei die Redewendung „etwas mit Leib und Seele tun“ auf ein neues Level.
Ein Vergleich aus der Seefahrt brennt ihm noch auf den Lippen: „Ich fühle mich wie ein Schiff auf dem Wasser. Wenn es langsam fährt, wird es durchgeschaukelt, und wenn es schnell fährt, liegt es ganz ruhig auf dem Wasser.“ Auch das glaubt man dem vor Energie sprudelnden Künstler sofort. Für das Gelingen der Bootsfahrt ins Herz der „Zauberflöte“ sei aber auch die Besatzung (gemeint ist natürlich die Besetzung) elementar gewesen, ergänzt er. „Das Burgtheater ist so ein tolles Theater, weil alle so sehr für die Sache sind.“
Irgendwie passt es, dass die „Zauberflöte“ im April, der ja bekanntlich tut, was er will, Premiere feierte. Schließlich steckt sowohl inhaltlich als auch musikalisch von Sonnenschein über Regen bis hin zu Sturmböen alles in dieser Oper. Man könnte auch sagen: Sie ist das pure Leben.
Eine allerletzte Frage haben wir noch an ihn, bevor sich unsere Wege wieder trennen: Welcher ist der beste Coversong aller Zeiten? Er lacht und sagt: „Das ist richtig schwer. Vielleicht ‚Hungarian Rhapsody Nr. 2‘ von Eugen Cicero.“ Ob der Song auch in der Inszenierung vorkommt? Das verraten wir natürlich nicht.