Fatale Vermählung
Die Braut ist schwanger, die Verwandtschaft eine Zumutung, und die selbst gebauten Möbel fallen krachend auseinander. Katharina Klar und Alexander Absenger haben in Bertolt Brechts desaströser Farce „Die Kleinbürgerhochzeit“ maliziöses Vergnügen am Irrsinn.
Albtraum ganz in Weiß. Was als der schönste Tag im Leben des Brautpaars gedacht war, entwickelt sich in Bertolt Brechts Frühwerk „Die Kleinbürgerhochzeit“, 1919 im Alter von 21 Jahren verfasst, zur horriblen Aneinanderreihung von Mikrokatastrophen, die als Gesamtbild ein durchaus reales Schlachtfeld ergeben. Die den Gästen stolz präsentierten, vom Bräutigam selbst gebauten Möbel lösen sich nacheinander in ihre Einzelteile auf. Der Brautvater geht allen mit unvollendeten Geschichten aus früheren Zeiten auf die Nerven. Die Hochzeitsgesellschaft bemängelt wechselweise das Essen, die Wohnungsausstattung sowie die allgemeine Langeweile. Hier und da wird ohne Rücksicht auf den festlichen Anlass gestritten. Und schließlich outet eine Freundin die Braut auch noch als schwanger – der eigentliche Hochzeitsgrund.
Schlimmer geht’s kaum. Lustiger auch nicht. „Endlich wieder eine Komödie!“, werden viele Theaterbesucher freudig anmerken. War dies für das Leading Team auch der Grund, diese spießbürgerliche Burleske auf die Bühne bringen zu wollen. „Ich muss fairerweise sagen, dass ich gerade von einer Komödie komme“, hat Regisseur Philip Tiedemann keine Entzugserscheinungen. „Aber natürlich wollen die Leute auch einmal befreit werden von all den Gewichten, die sie im Alltag beschweren. Es handelt sich hierbei ja nicht um billiges Amüsement, sondern um intelligente Unterhaltung, das ist ein Stück, das eigentlich das absurde Theater vorwegnimmt. Wir wissen, dass sich jeder Humor aus Wahrheit und Tragödie gleichermaßen speist. Wenn wir dieses wirklich arme Hochzeitspaar anschauen, das eine fortwährende, immer schlimmer werdende Geschichte durchlebt, werden wir auch Zeuge eines beginnenden neuen Glücks.“ Optimismus oder Ironie, man weiß es nicht.
„Das ist kein dummer Text“, assistiert Alexander Absenger, der den Bräutigam spielt. „Ich finde, Komödie ist essenziell wichtig. Aber man muss dabei auch an eine ernsthafte Konfliktführung glauben, an die Probleme, die die Figuren haben. Denn aus deren Not entstehen spezielle Situationen, die dann für den Zuschauer lustig und spannend sein können, weil man sich in ihnen wiederentdeckt.“ Und Katharina Klar, als Braut im Zentrum der unbarmherzigen Vorgänge, meint: „In der Komödie schaut man den Menschen im Prinzip beim Scheitern zu. Das ist auch bei der Hochzeit in diesem Stück so. Das Lustige ist, dass sie oft an ihren eigenen Ansprüchen scheitern. Und das kann sehr entlastend für das Publikum sein.“
Die Besetzungsliste umfasst neun Personen, die fast alle zugleich auf der Bühne stehen. Philip Tiedemann nennt sie „das Nonett“ und unterstreicht, dass für Starallüren und große Auftritte in einem solchen Setting kein Platz sei. Es ist zweifellos viel Arbeit, Figuren und Möbel, die im rechten Moment den Geist aufgeben müssen, zu choreografieren.
Im Geiste Karl Valentins
Was unterscheidet diese für Brecht recht ungewöhnliche Komödie von seinen späteren Klassikern?
„Ich bilde mir nicht ein, alles über Brecht zu wissen“, weiß Philip Tiedemann dann doch sehr viel, „aber er war damals in der Münchner Szene umtriebig und mit Karl Valentin befreundet. Die beiden haben sogar gemeinsam 1923 einen Stummfilm mit dem Titel ‚Mysterien eines Friseursalons‘ realisiert. Darin spielt Valentin einen Friseurmeister, der dem zu Rasierenden, weil er erschrickt, versehentlich den Kopf abschneidet. Der Film ist herrlich absurd, groteskes Theater in Reinkultur. Aus dem Geiste speist sich auch ‚Die Kleinbürgerhochzeit‘. Wenn man so will, ist das Brechts Valentinade.“ Erst sieben Jahre nach seiner Entstehung uraufgeführt, erfuhr das Stück zunächst eher mäßigen Publikumszuspruch. Philip Tiedemann hat es 2000 wiederentdeckt. „Ich war Oberspielleiter am Berliner Ensemble, da gehörte es dazu, Brecht zu inszenieren.
Ich hatte darauf überhaupt keine Lust und habe mich auf die Suche begeben nach einem Stück, das an diesem Theater noch nie gespielt wurde.“ So kam er auf „Die Kleinbürgerhochzeit“, die ein dermaßen großer Erfolg wurde, dass sie 17 Spielzeiten überdauerte. Später lief die Inszenierung sogar noch zwei weitere Jahre an Dieter Hallervordens Schlosspark Theater. „Das Stück hat von 1919 bis heute seine Gültigkeit behalten“, so der Regisseur. „Familienfeiern laufen im Grunde in allen Erdteilen ähnlich ab, Menschen aller Lebenslagen können diese Konflikte also verstehen. Brecht hatte ein Näschen für die Art von Voyeurismus, die uns heute Reality-TV- Formate liefern.“
Dass er es nun in den Kammerspielen inszenieren kann, freut ihn. „Es hat ja schon sprachlich viel mehr mit dem alpenländischen Raum zu tun als mit Berlin. Wenn ich an die herrlichen Figuren von Manfred Deix denke, dann finde ich, dass es gut hierher passt.“
Der Kleingeist im Spießbürger
Auch wenn sich Katharina Klar und Alexander Absenger auf ihre neue Aufgabe freuen, wäre es doch eine Herausforderung, ihre Rollen 17 Jahre lang verkörpern zu müssen. „Das Längste, was ich je gemacht habe, hat drei Spielzeiten gedauert“, meint der künftige Bräutigam. „Es müsste sich dafür ja auch 17 Jahre lang ein Publikum finden.“
Können heutige Besucher*innen mit dem Begriff Kleinbürger überhaupt noch etwas anfangen? Katharina Klar hat sich dazu viele Gedanken gemacht. „Der Kleinbürger ist, historisch gesehen, jemand, der sich mit den Werten des Bürgertums identifiziert, obwohl er ökonomisch gesehen eigentlich viel weiter unten angesiedelt ist. Man möchte etwas ‚Besseres‘ sein, man ist damit beschäftigt, sich nach oben anzupassen, anstatt die wirtschaftlichen Verhältnisse insgesamt in Frage zu stellen. Die beiden strampeln sich ab, um ein bestimmtes Bild zu erfüllen, weil sie glauben, das muss so sein.“ Ähnlichkeiten mit dem, was man heute Mittelschicht nennt, sind durchaus erkennbar.
Philip Tiedemann findet die Definition gar nicht wichtig. „Es ist eher eine Frage der Haltung, weniger der Schichtzugehörigkeit. Die Nase weit oben, aber wenig dahinter. Einen kleinbürgerlichen, spießigen Geist findet man überall. Bei den Mullahs im Iran genauso wie bei gewissen Idioten in der österreichischen Innenpolitik. Irgendetwas davon steckt in uns allen. Auch, wenn wir glauben, alle – außer mir – sind so“, lacht er. Dass die Dekonstruktion in diesem Fall nicht dem Text, sondern der Bühne gilt, macht allen Beteiligten kindlichen Spaß.„Dadurch entstehen schöne Bilder“, so Alexander Absenger, der die Werkstätten des Theaters lobend erwähnt wissen will. „Es ist ein unüblicher Vorgang,
Möbel zu bauen, die nicht halten sollen, die man aber auch wiederverwenden können muss.“ Apropos halten. Kann die Ehe der beiden Brautleute langfristig Bestand haben? „Der Optimist in mir sagt ja“, meint Alexander Absenger, „wenn man sich aber die Handlung anschaut, ist es, glaube ich, nicht so rosig bestellt um die beiden.“ Auch Katharina Klar sieht eine schwere Hypothek auf der Beziehung lasten, erkennt aber auch gewisse Chancen. Am Ende kracht jedenfalls das Ehebett zusammen. Ein letzter Lacher. Dann ein kollektiver Seufzer.
Zur Person: Alexander Absenger
Er wuchs in Graz auf und studierte von 2005 bis 2009 Schauspiel am Konservatorium der Stadt Wien. Er spielte währenddessen als Gast u.a. am Theater Drachengasse, am Off - Theater sowie am Theater der Jugend. Nach Abschluss seines Studiums wurde er als festes Ensemblemitglied ans Schauspielhaus Magdeburg engagiert. Neben seiner Theatertätigkeit steht Alexander Absenger regelmäßig für Film und Fernsehen vor der Kamera. Außerdem arbeitet er auch als Sprecher.
Zur Person: Katharina Klar
Nach Abschluss des Schauspielstudiums an der Universität für Musik und darstellende Kunst Graz war die Wienerin sechs Jahre lang Ensemblemitglied am Schauspielhaus Graz, ging danach für vier Jahre ans Wiener Volkstheater und ist seit 2019 Ensemblemitglied im Theater in der Josefstadt. Hier überzeugte sie u. a. in „Rosmersholm“, „Der Weg ins Freie“, „The Parisian Woman“, „Medea“ und zuletzt „Ein Kind unserer Zeit“.