Aufnahme am Max Reinhardt Seminar: Wie schafft man das?
Die wenigen Plätze an der renommierten Schauspielschule sind heiß begehrt. Die BÜHNE hat mit Simon Löcker und Pilar Borower, die seit Herbst 2020 am Reinhardt Seminar studieren, über die Prüfungssituation und das erste Studienjahr im Schatten von Corona gesprochen.
Jedes Jahr versuchen es hunderte junge Menschen, aber es stehen nur wenige Plätze am Max Reinhardt Seminar zur Verfügung. Die BÜHNE hat mit Simon Löcker und Pilar Borower gesprochen, die die Aufnahmeprüfung bereits geschafft haben. In einem Jahr, in dem alles anders war, auch die Prüfung: Die erste Runde fand per Video statt.
Wer die Aufnahmeprüfung am Max Reinhardt Seminar versucht, muss nicht nur Talent, sondern auch gute Nerven beweisen. Rund 60-mal mehr Bewerberinnen und Bewerber als Plätze gibt es jedes Jahr. 2020 kam noch eine Hürde hinzu: Die erste Runde fand online statt, um das Risiko von Corona-Infektionen durch den großen Ansturm zu vermeiden. Die BÜHNE hat mit zwei der insgesamt 12 Kandidatinnen und Kandidaten gesprochen, die in diesem Jahr aufgenommen wurden. Wie läuft die Prüfung ab? Und wie sind sie an die Sache herangegangen? Auch die Burgtheater-Schauspielerinnen Maria Happel – seit dem Jahr 2020 leitet sie das Max Reinhardt Seminar – und Regina Fritsch erinnern sich an ihre eigenen Aufnahmeprüfungen und haben Tipps für angehende Jungschauspielerinnen und Jungschauspieler.
Fokus im Chaos gefunden
„Ich war sehr bei mir und nicht in diesem Strudel, dass ich jetzt besser als die anderen sein muss“, sagt Simon Löcker über den Moment der Aufnahmeprüfung vor der Jury. Doch bevor er auf der Bühne stand, musste er die erste Runde meistern – in seinem eigenen Wohnzimmer. In diesem Jahr war die Aufgabe, sich vorzustellen und sich selbst bei einem klassischen und einem modernen Monolog zu filmen.
„Am ersten Tag habe ich hundert Mal auf Aufnahme gedrückt und war unzufrieden damit“, erzählt Löcker. Daher griff er zu Zettel und Stift: Er wollte seine Gedanken so klar wie möglich formulieren, warum die Schauspielerei für ihn „kein schwammiger Wunsch“ ist. „Mit dieser Grundsicherheit wollte ich mein Wohnzimmer wieder in meine Bühne verwandeln. Dabei ist mir das Fernsehkastl zusammengebrochen. Mit diesem Holzhaufen im Hintergrund habe ich gesagt: Gut, keine Zeit mehr, jetzt Aufnahme und los.“ Mit der demolierten Inneneinrichtung als Bühnenbild sprach er den Moritz Stiefel aus Frank Wedekinds „Frühlings Erwachen“ und den Ivan aus Yasmina Rezas „Kunst“ vor – und sicherte sich damit die Einladung zur zweiten Runde.
Emotionalen Ballast losgeworden
Auf die Bühne des Max Reinhardt Seminars brachte er den „Saunamonolog“ von Georg Danzer mit: „Der ist mir während des ersten Lockdowns in die Hände gefallen.“ Und aus „Platonow“ von Anton Tschechow wählte er den Pferdedieb Ossip. Welche Gedanken schießen einem während der Situation durch den Kopf? „Ich habe wegen der Scheinwerfer nicht viel gesehen. Ich schätze, es waren 20 bis 25 Menschen im Raum. Für mich war es ein befreiendes Gefühl, da sich während des Lockdowns so viele Gefühle angestaut haben. Dieser gesamte emotionale Ballast war plötzlich weg.“
Pilar Borower versuchte es in der ersten Runde ebenfalls mit Spontaneität. Nach einigen Versuchen, die sie selbst nicht zufrieden stellten, fragte sie eine Mitbewohnerin um Hilfe. „Dadurch fühlte ich mich wohler als alleine mit dem Aufnahmegerät.“ Es ist auch jenes Gefühl, das die Malerin im Schauspiel sucht. „Das ist nicht so einsam, das Schauspiel“, sagt sie und lacht. Im Atelier sei sie viel mit ihren Gedanken alleine, auf der Bühne geht es um das gemeinsame Erleben der Kunst.
„Nicht präsentieren, nicht verstellen“
Online bereitete sie die Prinzessin von Eboli aus Friedrich Schillers „Don Karlos“ und die Winnie aus den „Glücklichen Tagen“ von Samuel Beckett vor. Bei der Live-Prüfung in der zweiten Runde sprach sie die „Katze auf dem heißen Blechdach“ von Tennesse Williams vor. „Und den Wächter aus ‚Antigone‘ – aber auf lustig, weil mir das Komische liegt“, sagt Borower. In der Prüfungssituation habe sie versucht, die Gedanken so gut es geht auszublenden: „Ich habe mich auf das Gefühl konzentriert – und nicht darauf, mich zu präsentieren oder gar zu verstellen.“
Und worauf kommt es dem Gegenüber an? „Für mich ist ein Kriterium, dass man spontan mit allen Sinnen in den Fokus gezogen wird“, beschreibt es Schauspielerin Regina Fritsch. Seit 1985 ist sie Ensemblemitglied des Wiener Burgtheaters. Am Max Reinhardt Seminar unterrichtet sie Rollengestaltung. „Natürlich ist es ein persönlicher, subjektiver Blick. Begabung und Talent zu beschreiben, das ist ganz schwierig. Aber erstaunlicherweise empfinden wir Kolleginnen und Kollegen meist recht ähnlich und werden alle im Großen und Ganzen von den gleichen Dingen berührt und überrascht“, sagt Fritsch.
Die ungewöhnliche Situation der Aufnahmeprüfung per Video war auch für die Lehrenden eine Herausforderung. „Wir haben uns vorher schon überlegt, wie das funktionieren soll. Aber letztlich kann man genauso wenig ‚lügen‘ wie auf der Bühne“, sagt Fritsch. Man könne nichts verbergen oder „dazugeben, was nicht da ist“.
Nicht alle Wege führen über das Max Reinhardt Seminar
Fritsch erzählt von ihren eigenen Anfängen: „An das Max Reinhardt Seminar habe ich mich gar nicht getraut“, sagt die Schauspielerin. Sie versuchte es an der Schauspielschule Kraus. „Es ging alles wahnsinnig schnell. Es war ein Monolog notwendig und eine Improvisation. Ich habe mich gar nicht gut gefühlt und gedacht, das kann nichts werden. Aber es wurde etwas“, sagt sie.
Regina Fritsch ist heute eine der renommiertesten Schauspielerinnen des Landes. Seit 2014 ist sie Trägerin des Alma-Seidler-Rings, der seit 1978 von der österreichischen Bundesregierung als weibliches Gegenstück zum traditionsreichen Iffland-Ring verliehen wird. „Nicht alle Wege führen über das Max Reinhardt Seminar“, sagt sie im Rückblick. Denn oft würden Welten zusammenbrechen, wenn Bewerberinnen oder Bewerber keinen der raren Plätze bekommen. „Für mich wären vier Jahre Ausbildung nichts gewesen. Ich war viel zu rebellisch und zu eigensinnig“, sagt Fritsch.
Am meisten habe sie durch das Beobachten der „Großen“ gelernt, wie etwa Paula Wessely und Annemarie Düringer. Bereits mit 21 Jahren wurde sie in das Burgtheater-Ensemble aufgenommen. Für das Reinkommen braucht man zwar etwas Glück, räumt sie ein. Ergänzt aber: „Irgendwann nutzt einem das Glück nichts mehr. Man muss es ja auch beweisen und sich weiterentwickeln.“ Leidenschaft, Disziplin, nicht von Moden unterkriegen lassen – damit sei Fritsch gut gefahren: „In diesem Beruf ist man immer unter Beschuss, wird kontrolliert und kritisiert. Ich empfand es als eine der schwierigsten Aufgaben, mich da nicht unterkriegen zu lassen. Oder wenn man mal einen Durchhänger hat, nicht die Nerven zu verlieren und immer zu überlegen: Was will ich? Und was will ich nicht?“
„Eine nicht ins Wanken zu bringende Spiellust“
Eine weitere große Charakterdarstellerin berichtet ebenfalls von Hürden und harter Kritik während ihrer Schauspielanfänge: Maria Happel ist mit einer Unterbrechung – sie wechselte einige Jahre ins Berliner Ensemble – seit 1991 festes Ensemblemitglied des Burgtheaters. Seit Mai leitet sie das Max Reinhardt Seminar. Die deutsche Schauspielerin und Theaterleiterin Ida Ehre hatte ihr diesen Weg nicht zugetraut.
Ehre war Vorsitzende der Jury bei Happels eigener Aufnahmeprüfung. Happel bestand zwar, laut Jurybeurteilung aufgrund ihres „erfrischenden, ländlich unverbrauchten Gefühlsempfindens“. Ein halbes Jahr nach bestandener Aufnahmeprüfung sprach Ehre Happel aber jegliches Talent ab. Zudem gebe es „für jemanden wie mich keine geeigneten Rollen am Theater!“, erinnert sich Happel. Die Schauspielerin beschreibt ihre Reaktion damals zunächst mit „Trauer, Wut, Verzweiflung“ – die sich umkehrten „in eine nicht ins Wanken zu bringende Spiellust. Bis heute.“
Maria Happel erzählt diese Anekdote mit gutem Grund: „So kann ich den Bewerberinnen und Bewerbern nur mit dem lebenden Beweis der Fehlbarkeit einer Jury sagen: Wenn Sie diesen Beruf wirklich wollen, lassen Sie sich nicht entmutigen!“ Denn zum Talent müssten immer noch ein paar wichtige Faktoren dazukommen: der richtige Moment, die richtigen Leute, der richtige Ort.
Die Kamera liebt nicht jeden Bühnenstar
Apropos Ort: Die digitale Vorsprechsituation hat nicht nur Nachteile, sagt Institutsleiterin Happel mit Blick auf dieses Semester. Denn viele junge Menschen seien heute von klein auf gewohnt, Videos zu versenden, sich über die Handykamera mitzuteilen oder zu posen. „Bühne und Film haben zudem andere Gesetze. Nicht jedes gute Filmgesicht findet den richtigen Ausdruck auf der Bühne, nicht jeder große Bühnenstar wird auch von der Kamera geliebt.“
Eine Bühnenpräsenz sei zwar über den Bildschirm nicht sofort festzustellen – dafür gebe es dann aber die nächsten Runden, um die Umsetzungsfähigkeit, die Körperlichkeit, die Stimme, die Wandlungsfähigkeit zu testen. „Das Risiko, ein Talent nicht zu erkennen, bleibt immer. Egal, ob digital oder live“, sagt die Burgtheaterschauspielerin.