Mavie Hörbiger: Die Ruhe vor Shakespeares Sturm
Während draußen ein Sturmtief tobt, wird im Arsenal das Stück „Der Sturm“ geprobt. Mavie Hörbiger übernimmt die Rolle des Luftgeists Ariel und ist gerade noch dabei, sich von der Rolle beflügeln zu lassen.
Nur wenige Tage nach Abklingen des Sturmtiefs „Nadia“ treffen wir Schauspielerin Mavie Hörbiger zum Gespräch im Arsenal, wo Burgtheater und Staatsoper ihre Probebühnen beherbergen. Passend zur Wetterlage probt sie dort gerade Shakespeares Stück „Der Sturm“ in einer Inszenierung des isländischen Regisseurs Thorleifur Örn Arnarsson. Wir sitzen in einem kleinen Raum, den man der Einfachheit halber als „Kopierkammerl“ bezeichnen könnte. So ein Ort kommt einem vermutlich als Allerletztes in den Sinn, wenn man innerhalb gängiger Theaterklischees an Mavie Hörbigers Arbeits- und Wirkungsstätte denkt. Es passt jedoch insofern trotzdem ganz gut, als ihre Ausführungen in Zusammenhang mit ihrem Beruf alles andere als verklärend sind.
Ohne Umschweife beginnt sie mit ihrer prägnanten rauchigen Stimme von ihrem inneren Kampf mit der Figur des Luftgeists Ariel zu erzählen – jener Rolle, die sie ab März im „Sturm“ verkörpern wird. „Momentan tue ich mir noch schwer, mir vorzustellen wie ich diesen Luftgeist spielen könnte“, beschreibt sie ihr Herangehen an diese Herausforderung. „In der Aufführungstradition war das meistens jemand, der ein weißes Kleid anhatte und ‚huuuu‘ gemacht hat“, fügt sie nach einer kurzen Pause lachend hinzu. Der deutsche Schauspieler und Dramatiker Klaus Pohl spielte Ariel einmal mit Schmetterlingsflügeln auf dem Rücken und einer Drachenmaske auf dem Kopf. „Außerdem stand er dabei auf Stelzen“, sagt Mavie Hörbiger, immer noch lachend. „Mir hat sich das noch nicht ganz erschlossen.
Zur Person: Mavie Hörbiger
Die gebürtige Münchnerin begann ihre Theaterkarriere 2001 am Schauspiel Hannover. Seit 2011 gehört sie zum Ensemble des Burgtheaters. Neben ihrer Theaterarbeit ist Mavie Hörbiger auch für Film- und Fernsehproduktionen tätig. Bei den Salzburger Festspielen spielte sie im „Jedermann“ zuletzt die Rolle des Teufels – als erste Frau.
Ich bin ein bisschen zu bodenständig, als dass ich in einem Fluggeschirr durch die Gegend fliegen würde.“ Bei Stücken mit langer Aufführungsgeschichte – wie dem „Sturm“ oder Hofmannsthals „Jedermann“ – beschäftigt sich die Schauspielerin, die seit 2011 zum Ensemble des Burgtheaters gehört, zur Vorbereitung auf ihre Rollen gerne mit vergangenen Inszenierungen. „Das ist ja das Irre am Theater, dass man seit Jahrhunderten immer wieder dieselben Stücke spielt und dabei so tut, als hätte es das davor nicht gegeben“, sagt sie mit der für sie typischen flirrenden Präsenz.
Ich weiß ganz genau, dass es 24 Stufen von der Kantine bis in meine Garderobe sind.
Mavie Hörbiger, Schauspielerin
Klischees brechen
Die Schwierigkeit, einen Zugang zu der Rolle zu finden, mit dem sie sich wohlfühlt, sieht sie unter anderem darin begründet, dass sie als eher kleine, zierliche Frau die ideale Besetzung für Shakespeares Ariel ist. „Das nervt mich deshalb wahnsinnig, weil ich nicht auf mein Äußeres reduziert werden möchte und mich die Gesellschaft auf diese Weise dazu bringt, mir den Kopf darüber zu zerbrechen, wie ich dieses Klischee brechen kann, um die Rolle für mich wieder glaubhaft zu machen“, erklärt sie und spricht damit ein sehr viel weitreichenderes strukturelles Problem an. Die Tendenz, Frauen nach ihrem äußeren Erscheinungsbild verschiedenen Kategorien zuzuordnen, ist am Theater ebenso präsent wie in beinahe jedem anderen Bereich unserer Gesellschaft.
Dass Fehleinschätzungen dieser Art verheerende Folgen haben können, zeigt vielleicht nicht Shakespeares 1611 uraufgeführtes Theaterstück, dafür das titelgebende Wetterphänomen: ein Sturm wie „Nadia“ zum Beispiel, der wenige Tage vor unserem Interview über Europa hinwegfegte und in vereinzelten Böen noch immer spürbar ist. Wie Autorin und Journalistin Margarete Stokowski in einer Kolumne für das deutsche Magazin „taz“ schreibt, gibt es Forschungsarbeiten, die offenlegen, dass Wirbelstürme mit Frauennamen tendenziell für harmloser gehalten und deshalb unterschätzt werden. Spannend ist die gedankliche Verbindung zwischen Shakespeare und Stokowski aber auch deshalb, weil es in ihrem allerersten Artikel für die „taz“ um eine Berliner Aufführung von Shakespeares „Sturm“ ging, in den sie folgendermaßen einsteigt: „Wie man sich Geister vorstellt, ist ja eine Frage der Fantasie. Für die billige Version genügt ein weißes Bettlaken mit zwei Löchern.“
Eine gemeinsame Sprache finden
Doch nun zurück zu Mavie Hörbiger, die immer noch gut gelaunt im spärlich eingerichteten Kopierkammerl sitzt. Die Ausläufer „Nadias“ hört man hier zwar nicht, den inneren Wirbel der Schauspielerin aber schon. Dieser kommt vor allem dann immer wieder zum Ausdruck, wenn es um Themen wie Gleichberechtigung und Diversität geht. Auf etwas andere Weise aber auch dann, wenn sie über die Arbeit mit Thorleifur Örn Arnarsson spricht, in dessen Inszenierung der „Edda“ die gebürtige Münchnerin ebenfalls auf der Bühne stand. „Wir haben eine gemeinsame Sprache gefunden, die ich sehr schön finde. Außerdem ist es eine sehr freie Arbeit, die von außen vielleicht an spielende Kinder in einem Hort erinnert, die vielleicht irgendwann abgeholt werden. Ich mag das. Da fühle ich mich sehr wohl.“
In dieser Spielzeit ist Mavie Hörbiger außerdem in Simon Stones „Komplizen“ und Frank Castorfs bildgewaltiger Handke-Inszenierung „Zdeněk Adamec“ zu sehen. Zwei Inszenierungen und Regieansätze, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten, meint Hörbiger. „Zdeněk Adamec“ ist ihre erste Zusammenarbeit mit dem deutschen Regisseur, der dafür bekannt ist, den Spieler*innen absolute Verausgabung abzuverlangen. „So in die Vollen rein- zugehen war schon eine krasse Erfahrung“, erinnert sich Hörbiger, die gerne körperlich an ihre Rollen herangeht, an die Arbeit mit Castorf. „Im Endeffekt habe ich aber wahnsinnig viel von ihm gelernt.“
Im Burgtheater verwurzelt
In Itay Tirans Inszenierung von Lucy Kirkwoods „Moskitos“ spielt sie Jenny, eine dem Alkohol nicht abgeneigte Callcenter-Mitarbeiterin, deren Verhältnis zu ihrer Schwester Alice, einer berühmten Wissenschaftlerin, von einem andauernden Wechselspiel aus Anziehung und Abstoßung geprägt ist. Tiran ließ ihr, wie sie erzählt, große Freiheit in der Interpretation dieser Figur, die in all ihrer Tragik auch eine unglaubliche Liebenswürdigkeit ausstrahlt. Ob es auch zu viel Freiheit gibt? Mavie Hörbiger beantwortet die Frage mit einem Vergleich, der lebensnaher nicht sein könnte: „Im Endeffekt ist es wie Waschmittel kaufen gehen. Wenn es zu viele Angebote gibt, weiß man plötzlich auch nicht mehr, was man haben möchte. Wenn es aber nur fünf davon gibt, kann man zwischen diesen fünf auswählen.“
Ins Burgtheater hat sie sich nach all der Zeit sehr „reinverwurzelt“, erzählt sie. „Dadurch, dass ich mit diesem Haus schon durch mehrere Krisen geschlittert bin, ist eine große Verbundenheit entstanden. Es ist schon so eine Art Heimat geworden.“ Und ein Ort, den sie mittlerweile in- und auswendig kennt: „Ich weiß zum Beispiel ganz genau, dass es 24 Stufen von der Kantine bis zu meiner Garderobe sind.“ Nun heißt es für Mavie Hörbiger wieder raus in den kalten Wiener Wind. Und am nächsten Tag wieder rein in Shakespeares „Sturm“. Was auch immer er noch aufwirbeln mag.