Besitzergreifend: „Medium“ von Ingri Fiksdal und Núria Guiu im brut
Die Geister der Vergangenheit wohnen nicht nur in uns, sie verschaffen sich auch durch bestimmte Bewegungen und Bewegungsabläufe Ausdruck. In „Medium“ erforschen Ingri Fiksdal und Núria Guiu diesen Themenkomplex tänzerisch.
Der Name verrät es bereits – „Medium“ ist ein Geisterstück. Leise umherhuschende Körper unter weißen Leintüchern sollte man sich als Zuseher*in trotzdem keine erwarten. Dem Stück, das von den beiden Performerinnen und Choreografinnen Ingri Fiksdal und Núria Guiu entwickelt wurde, haftet zwar etwas Gespenstisches an, dennoch geht es in „Medium“ um sehr viel mehr als nur um Begegnungen mit Geistern. 2020, in der Hochphase der Pandemie, begannen die beiden Künstlerinnen, die sich bereits aus zwei anderen Arbeiten kannten, über das Stück zu sprechen.
„Eine der Fragen, die uns gleich zu Beginn unserer Auseinandersetzung begegnete, war, wie man durch das Tanztraining und -ausbildungen zu einer Art Kanal für alle möglichen Arten von Bewegungen und Ausdrucksformen wird. Aber auch durch die Stücke, die man erarbeitet und aufführt, wie auch durch all die kanonischen Tänze, die sich durch unsere Geschichte ziehen“, erklärt die gebürtige Osloerin Ingri Fiksdal.
Darüber hinaus ging es ihnen darum, zu erforschen, wie bestimmte Bewegungen den physischen Körper überleben und überdauern – „Bewegungen, die einem im Laufe der Geschichte immer wieder begegnen“, bringt es Fiksdal auf den Punkt. Zuletzt war die norwegische Künstlerin, deren Arbeiten weltweit touren, mit der ortsspezifischen Performance „Diorama“ im brut zu Gast. „Wir arbeiten zwar unterschiedlich, haben aber ähnliche Ansätze und Referenzen. Daher haben wir uns in dieser Arbeit schnell gefunden“, ergänzt Núria Guiu. Seit 2012 choreografiert sie eigene Stücke und arbeitet als künstlerische Mitarbeiterin für Gisèle Vienne und Arco Renz. Beim Gastspiel im brut wird „Medium“ zum allerersten Mal im deutschsprachigen Raum gezeigt.
Entzauberung als neues Phönomen
Obwohl das Geisterhafte in „Medium“ auch als Metapher dafür verstanden wird, wie sich verschiedene Bewegungsgeschichten im Körper manifestieren, hat auch das Übernatürliche im Stück Platz. „Wir haben uns auch Stücke und Performances angesehen, in denen der Körper buchstäblich zum Medium für Geister und Gespenster wird. Oder in denen die Tänzer*innen Geister und Gespenster darstellen – wie im klassischen Ballett Giselle“, so Fiksdal. Ihr Ansatz ist jedoch keiner, in dem es zwangsweise um furchteinflößende Besessenheit geht. „Ich sehe es eher so, dass diese Bewegungen unsere Körper durchwandern und dabei unsere physischen Körper überleben. Es ist zwar schon ein Heimsuchen, aber nicht unbedingt in einem beängstigenden Sinne“, fasst sie ihre Herangehensweise zusammen.
Als die Arbeit an „Medium“ begann, war Núria Guiu, die nicht nur am Konzept mitarbeitete, sondern im Stück auch auf der Bühne stehen wird, gerade mit ihren eigenen Choreografien beschäftigt, in denen sie sich intensiv mit Virtualität und dem Internet auseinandersetzte. „Auch diesem Thema haftet etwas sehr Flüchtiges und Geisterhaftes an“, erklärt die Tänzerin und Choreografin. Nach einer kurzen Pause fügt sie hinzu: „Auch Virtualität lässt sich als eine Art Geist begreifen, der von unseren Körpern Besitz ergreift.“ Ingri Fiksdal beschäftigte sich zu dieser Zeit gerade mit den Themen Gemeinschaft und Ritualen, wie auch mit Prozessen, die sich abseits der materiellen Welt abspielen. „Unsere beiden Universen trafen sich auf einer sehr produktiven Ebene“, bringt es Núria Guiu auf den Punkt.
„In unserer westlichen Gesellschaft wird viel Wert auf Rationalität gelegt und es ist kaum Platz für Dinge, die nicht materiell sind“, schließt sie ihre Ausführungen ab. Ingri Fiksdal ergänzt: „Dabei ist diese Entzauberung ein relativ neues Phänomen. Die Menschen haben sehr lange Zeit mit Geistern gelebt.“
Geister der Vergangenheit
Ob Tanzen auch eine Möglichkeit sein kann, sich von Geistern der Vergangenheit zu befreien? Ein bisschen so, wie es Taylor Swift in ihrem Song „Shake it off“ vorschlägt? Ingri Fiksdal und Núria Guiu lachen. „Zumindest ist es ein Weg, um anzuerkennen, dass da etwas ist – und anschließend die Möglichkeit zu haben, es zu verhandeln“, antwortet Núria Guiu.