Diese Stimme. Es ist diese Stimme. Man muss Michael Maertens nicht sehen, sondern nur hören, und man weiß sofort, dass nur er es sein kann. Dieser weiche Hamburger Akzent. Diese leichte Höhe in der Stimme. Das Nasale, das nur er so spricht. Die Pausen, die er setzt. Diese einzigartige Stimme projiziert Bilder in den Kopf. Man glaubt sofort zu wissen, wie Maertens gerade schaut, was er tut. 

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Das ist natürlich Unsinn. Aber es ist doch schön, wenn nur der Klang einer Stimme das alles auslösen kann. Und der Rest? 

Dieser (also der Rest von Maertens, der im Übrigen ebenso einzigartig ist) in Kombination mit der Stimme hat etwas geschafft, was nur wenige seiner Zunft je erreichen: Wegen Michael Maertens geht man ins Theater, und das Wiener Publikum hat ihn – den Hamburger – mit dem Verlust des Vornamens längst in den Schauspiel-Adel erhoben. „Der“ Maertens sagen sie, und auf der Straße und am Spielplatz wird er von den Kindern erkannt. Letzteres hat freilich keinen Theatergrund. Davon später.

Im November hat er den Nestroy gewonnen. Die Jury-Begründung: „Er nähert sich seinen Rollen mit äußerster Präzision an, er buchstabiert seine Figuren nie restlos aus, sondern belässt ihnen viel Geheimnis.“ Nach so einem treffenden Satz von Theaterkritikerin Petra Paterno könnte man aufhören zu schreiben. Es ist eigentlich alles gesagt.

Michael Maertens: Von nichts kommt nichts
Komplizen. Regie: Simon Stone. Mit Lilith Häßle und Roland Koch  v. m.

Foto: Marcella Ruiz-Cruz

Maertens hat gerade einen Film mit Til Schweiger abgedreht. Er spielt am Burgtheater „Komplizen“, „Automatenbüfett“, „Der Untergang des Hauses Usher“ und „Der Leichenverbrenner“. Alle vier Stücke sollte man gesehen haben.

Eine Stunde hat sich Michael Maertens für uns Zeit genommen. Ein paar kluge Fragen sind vorbereitet, aber mehr flache. Etwa, wie leicht es ist, mit einer derartigen Stimme Frauen zu verführen. Aber diese zu stellen, dafür sind wir zu feig. Vorerst. Wir beginnen unser Gespräch gesittet und – peinlicherweise – gleich mit einem Recherche-Fehler.

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Herr Maertens, Sie haben Ende November Ihren dritten Nestroy gewonnen …

(Er grinst.) Nö. Dann wäre ich alleiniger Rekordhalter bei den Männern. Ich bin jetzt aufgestiegen in die Zweier-Gang. Da sind der Ofczarek und ein paar andere drinnen. Aber (jetzt macht er wieder diese typische Maertens-Pause) ganz stimmt das auch nicht. Ich hab immer ein wenig Pech mit den Nestroys (grinst), weil das eine Mal musste ich mir den Nestroy mit meinem Freund und Nachbarn Nicholas Ofczarek teilen, und beim zweiten Mal war er unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Das ist ein wenig schade, denn ich habe im Nachhinein erfahren, dass meine Exfrau Mavie Hörbiger mir den Preis hätte übergeben sollen, und das wäre ein rührender Moment gewesen.

Ich habe dann aber einen historisch-familiären Moment erlebt, weil ich fest davon ausgegangen bin, dass ich den Preis nicht bekomme, und daher habe ich zu meinen Kindern gesagt: Das brauchen wir eh nicht gucken, das ist das achte Mal, dass ich nominiert bin. Aber meine Kinder haben mich überredet, die Nestroy-Gala am Tablet im Bett liegend zu schauen. Es wurde immer später, und ich habe gesagt: Ihr müsst schlafen, das wird nichts mehr. Aber dann kam die Verkündung, und Sie können sich vorstellen, was dann bei mir zu Hause los war. Da hüpften zwei kleine Wesen und ich im Schlafanzug herum. Das war ein sehr schöner und lustiger Moment.

Über den Kopf in den Bauch

Sie haben den Nestroy auch schon ­gemeinsam mit Ofczarek moderiert.
Lust, es noch einmal zu versuchen?

Nein. Da müssten wir beide uns noch mal toppen. Ich hatte damals Liebeskummer und war richtig schlank, und Herr Ofczarek sah auch großartig aus. Wir fühlten uns ein bisschen wie Dean Martin und Frank Sinatra. Ich weiß nicht, ob wir das noch besser hinkriegen. Da haben wir beide Hemmungen. (Kunstpause.) Außer man würde uns beide ganz geschickt dazu überreden. (Lacht.) 

Die Jury lobt Ihre Präzision in der Vorbereitung.

Es gibt ja so etwas wie Bauchschauspieler. Die reagieren instinktiv und finden auch aus diesem Instinkt heraus ihre Figuren. Ich bin das – meiner Meinung nach – nicht, weil mir mein Kopf im Weg steht. Ich überlege mir immer davor: Wie könnte diese Figur gehen, wie könnte die Stimmlage sein? Der Weg geht über den Kopf in den Bauch. Ich gehe da mit einem sehr nüchternen Kalkül an die Figuren heran. Insofern ist das schon richtig und gut beobachtet. Aber irgendwann im Laufe des Probens kommt dann bei mir das Gefühl dazu. 

Über was wollen Sie jetzt weiterreden? Weiter übers Theater?

Ach, wir können über alles reden … 

Na, dann reden wir doch über Fußball.
Sie sind ja St.-Pauli-Fan. Zufrieden mit Trainer Timo Schultz?

Ja, sehr. (Zum Zeitpunkt des Interviews Anfang Dezember stand St. Pauli in der zweiten deutschen Liga auf Platz eins.) Als kleiner Junge war ich HSV-Fan. Damals war Happel noch Trainer. Aber als ich dann klarer denken konnte, haben mich mein Bruder und mein Vater zu St. Pauli gebracht, und dort bin ich nun, seit ich 16 Jahre alt bin. Das ist ja nicht immer leicht. Auch jetzt nicht, weil wenn erstmals die Hoffnung geweckt ist, dann ist die Anspannung umso größer und auch das Leid, wenn sie trotzdem nicht aufsteigen. 

Reden und zum Lachen bringen

Was haben Fußball und Theater gemeinsam?

Viele große Kollegen wie Bernhard Minetti vertreten ja diese Ähnlichkeit. Otto Sander hat das auch immer betont. Wenn ich ganz ehrlich bin: Man kann es nicht ganz so vergleichen. Denn dann müsste man sagen: Volleyball auch. (Lacht.) Fußball ist Mannschaftssport und Theater ebenso, und das Publikum hat bei beiden großen Einfluss. 

Wir sind am trivialen Fragendampfer unterwegs, und Michael Maertens fühlt sich offensichtlich wohl dabei. Wir machen also weiter.

Sie haben eine derart markante Stimme, dass sich Menschen nach Ihnen umdrehen, wenn sie diese hören. Hilft die auch, Frauen rumzukriegen?

Nein. Da hilft meiner Meinung nur eines – und das ist Humor. (Lacht.) Das war immer so. Durch mein Äußeres konnte ich nie punkten – sämtliche meiner männlichen Mitbewerber hatten hübschere Gesichter und wohlgeformtere Körper als ich. Also musste ich mit ganz anderen taktischen Mitteln arbeiten. Das war immer reden und zum Lachen bringen. Wichtig ist übrigens, dass man weniger selber lacht, sondern die Damen anfangen zu lachen. 

Michael Maertens: Von nichts kommt nichts
Der Leichenverbrenner. Michael Maertens mit Sabine Haupt. Im Hintergrund sehen Sie Regisseur Nikolaus Habjan mit einer seiner Puppen.

Foto: Matthias Horn

Lina Beckmann hat den Nestroy für die beste Schauspielerin bekommen.
Sie kennen sich …

Ich bin mit Lina und ihrem Mann Charly Hübner schon sehr lange befreundet. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie sehr ich mich für Lina freue. Sie ist eine so fantastische und großartige Schauspielerin und auch so ein wundervoller Mensch. In jeder Rolle, in der ich sie gesehen habe, hat sie mich beeindruckt. Sie vereint so viel, dieses Supertalent. Sie kann einfach alles: von wunderschön bis hässlich. 

Einer, der so gut über Sie spricht, ist Simon Stone, der Regisseur von „Komplizen“.

Es gibt ja kaum ein Theater im deutschsprachigen Raum, an dem sich so viele Generationen tummeln wie am Burgtheater. Und an diesem Abend ist die Jüngste 19 Jahre alt, und Peter Simonischek ist 75. Wir haben ein unfassbares Aufgebot an Schauspieler-Diamanten: Birgit Minichmayr oder Mavie Hörbiger oder Roland Koch und viele mehr. Und dann kommt Simon Stone dazu, der ein so faszinierender Mensch ist. Wie er dieses alte Werk von Gorki nimmt und an sich heranlässt und daraus ein neues schafft. Der Abend ist lang, aber es lohnt sich. Wir haben jedes Mal Standing Ovations bekommen.

Sie haben Beckett gespielt und Shakespeare. Wer ist lustiger?

Bei Beckett fällt es mir leichter, die Komik zu entdecken. Beckett hatte ja auch eine sehr große Affinität zu den Komikern dieser Zeit, wie Buster Keaton oder Charlie Chaplin, und hat sich auch viel von deren komischer Absurdität abgeschaut. Bei Shakespeare ist es alleine schon durch die Suche nach der richtigen Übersetzung immer eine unglaubliche Anstrengung, ihn an sich heranzulassen. Shakespeare hat herrliche Figuren geschaffen, aber ich persönlich tue mir bei ihm schwerer. Ich finde, es gibt zwischen den beiden eine theatrale Verwandtschaft in der allumfassenden Dimension der Stücke, die ja alles behandeln: den Tod, die Liebe und die Absurdität des Lebens.

Michael Maertens : Von nichts kommt nichts
Burgtheater-Ensemblemitglied Michael Maertens wird ebenfalls in Reichenau zu sehen sein.

Foto: Philipp Horak

Zur Person: Michael Maertens

Der gebürtige Hamburger beim Fotoshooting im Café Zartl im dritten Bezirk in Wien. Die Fotos wurden vor dem ­Lockdown gemacht. Der gebürtige Hamburger kommt aus einer Theaterfamilie: Opa Willy Maertens, Oma Charlotte Kramm, Papa Peter und die Geschwister Kai und
Miriam sind ebenfalls Schauspieler.

Neben Buster Keaton ist eines Ihrer ­Vorbilder Louis de Funès. 

Ich habe seine Filme mit meiner Schwester in einem kleinen Kino in Blankenese gesehen. Er hat etwas, was Kinder besonders fasziniert. Dieses Hibbelige, Überzeichnete. Wissen Sie, es ist falsch zu glauben, dass man Kinder immer nur durch Pfurzi-Gags beeindrucken kann. Da ist auch bei de Funès viel mehr. Komik entsteht dadurch, dass man sich erfreut am Leid anderer, und das beherrschte Louis de Funès perfekt, uns alle teilhaben zu lassen an seinem eigenen Leid.

Buddy-Komödie

Apropos Kinder. Als meine Tochter Sie das erste Mal am Burgtheater gesehen hat, sagte sie: „Jö, das ist ja der Graf Falko aus den ‚Bibi & Tina‘-Filmen.“

(Lächelt.) Ich werde zweimal am Tag erkannt. Einmal, wenn ich in der Früh zum Bäcker gehe. Da merke ich schockierte Blicke von älteren Damen, die mich aus dem Theater erkennen. Und das zweite Mal, wo ich so etwas wie Prominenz erlebe, sind Spielplätze. Ich war vor meinen eigenen Kindern immer wahnsinnig stolz, wenn sich dort eine Traube von Kindern um mich bildete und alle riefen: „Graf Falko, ein Foto!“ Mein Bruder sagt immer: „Die Kinder werden einmal erwachsen und wollen dich dann immer noch sehen.“ Ich generiere also mein zukünftiges Publikum durch diese Filme.

Gibt es noch eine Frage, die Sie gerne von mir gestellt bekommen würden?

Nein. Aber ich weiß nicht, ob Sie das interessiert: Ich habe gerade meine erste große Kinorolle mit Til Schweiger abgedreht. Es ist eine Buddy-Komödie. Er der Lässige. Ich der etwas trottelige Spießer. Peter Simonischek spielt auch eine große Rolle. Das hat mir wahnsinnigen Spaß gemacht. Der kommt im Herbst nächsten Jahres heraus. Es ist eine Adaption eines französischen Kinohits.

Wie ist es so, mit Til Schweiger zu arbeiten? 

Ich breche wirklich eine Lanze für diesen Mann. Er ist unglaublich fleißig und brennt für Film. Er steht nicht nur vor der Kamera, er führt Regie, dann schneidet er das Ganze auch noch bis morgens um vier, weil er sehen will, ob es funktioniert. Ich sage immer: Von nichts kommt nichts. Til Schweiger ist ein Junge mit einem großen Herzen, wie wir in Hamburg sagen. Der Mann kann richtig gut spielen. Klar ist er festgelegt auf einen Typ, aber das sind wir doch alle.