„Es ist ein singuläres Werk, vor dem man nur stehen kann wie ein gläubiger Muslim vor der Kaaba. Wahrscheinlich bin ich im Ganzen zu klein für Marianne Fritz, sie geht nicht in mich hinein", sagte die Autorin Elfriede Jelinek vor fast zwanzig Jahren über ihre 2007 verstorbene Kollegin Marianne Fritz. Tatsächlich war die literarische Arbeit der 1948 in Weiz in der Steiermark geborenen Schriftstellerin kompromisslos ausufernd. So hatte ihr Ende 1985 erschienener Text „Dessen Sprache du nicht verstehst" 3500 Seiten und ihre Sprache einen Rhythmus, der sich immer wieder kraftvoll über das Gewohnte hinwegsetzte.

Anzeige
Anzeige

Der Germanist Wendelin Schmidt-Dengler wies in einem Text anlässlich einer Veranstaltung in der Alten Schmiede darauf hin, dass man bei der Auseinandersetzung mit ihren Texten gut daran täte, weniger auf ihren Umfang als auf ihren besonderen Sog zu achten. „Wer sich dem Sog der Texte überlässt, der spürt von jenen Schwierigkeiten wenig, die ihm besorgte Kritiker oder beunruhigte Pädagogen einreden. Und es wäre an der Zeit, nicht zu betonen, wie umfänglich, sondern wie umgänglich Marianne Fritz' Texte sind. Sie hat ihre eigene, unverwechselbare Sprache gefunden, vor allem, um den vielen Schichten, die sie ansprechen möchte, auch von der Sprache, diesem oft so spröden und nicht selten unzuverlässigen Mittel, ihrer epischen Materie gerecht zu werden."

Marianne Fritz ließ sich nur selten fotografieren und gab kaum Interviews. Ihr ging es einzig um das Schreiben.

Foto: Digne Meller Marcovicz

Analytischer Scharfsinn

Mit ihrer Erzählung „Die Schwerkraft der Verhältnisse", die in einer Bearbeitung des Regisseurs Bastian Kraft, ab 18. Dezember im Akademietheater zu sehen sein wird, gelang Marianne Fritz 1978 der Durchbruch als Schriftstellerin. Der Text wurde prompt mit dem Robert-Walser-Preis ausgezeichnet. In der Geschichte der „kleinbürgerlichen Medea" Berta Schrei manifestiert sich ein erbitterter Kampf gegen das Akzeptieren sogenannter äußerer Umstände. „Die Figuren sind wahnsinnig scharf gezeichnet, gleichzeitig komplex und tief", beschreibt es Bastian Kraft in einer Aussendung des Burgtheaters. „Und vor allem die Sprache ist von so einer Kraft und Dichte, die sehr auf die Bühne drängt. Ein Sog, der mich sofort überzeugt hat."

Im Jahre 1981 erschien ihr erster großer Roman „Das Kind der Gewalt und die Sterne der Romani". Der Text war eine Art Vorwerk zu dem großen Romanzyklus, der den Titel die „Festung" tragen sollte. Mit beeindruckendem analytischen Scharfsinn sezierte sie in ihren Texten soziale Ungerechtigkeit und den Missbrauch von Macht. Diese Begabung zog immer wieder Vergleiche mit dem Schriftsteller Robert Musil nach sich.

Markus Meyer, Katharina Lorenz und Barbara Petritsch in „Die Schwerkraft der Verhältnisse" am Burgtheater.

Foto: Marcella Ruiz-Cruz

Anzeige
Anzeige

Schreiben, schreiben, schreiben

In ihrer Wiener Wohnung hatte die Autorin ein gewaltiges Archiv. Von höchster Genauigkeit geprägte Recherchearbeit begleitete ihre Arbeit an ihren Texten. „Marianne Fritz erarbeitete sich ihre literarischen Stoffe in akribischen Archivrecherchen, baute Modelle der Schauplätze ihrer Romane, zeichnete Pläne und fertigte aufwendigste Typoskripte an, um in die Tiefen der Geschichte und deren Zusammenhänge vorzudringen", schreibt Veronika Zorn in einem Text für das Burgtheater Magazin.

Interviews gab die Schriftstellerin kaum, auch fotografieren ließ sie sich so gut wie nie. „Ihr ging es um das Schreiben, und nur darum. Sie konnte im Zwiegespräch sehr herzlich sein, immer wieder aber schlug Bitterkeit durch über soziale Ungerechtigkeit, über den Gang der Geschichte und die Macht der Massenmedien", sagte Schmidt-Dengler in seinem Nachruf in der Tageszeitung Die Presse.

Mit der Uraufführung von „Die Schwerkraft der Verhältnisse" möchte das Burgtheater diese an den Rand des Kanons gedrängte Autorin und ihr Werk wieder in Erinnerung rufen. Wie auch schon bei Anna Gmeyner, deren visionäres Stück „Automatenbüfett" im Herbst 2020 im Burgtheater Premiere hatte. Wobei, so erklärt es Regisseurin Barbara Frey, „Vergessen ein ebenso aktiver Vorgang wie Erinnern ist".

Zum Spielplan des Burgtheaters

Zum aktuellen Burgtheater Magazin