Benjamin Bernheim: Die Stimme der Zukunft
Benjamin Bernheim gilt als Hoffnungsträger seiner Generation. Der weltweit gefragte französische Tenor ist im April an der Wiener Staatsoper in „Lucia di Lammermoor“ zu erleben. Fans lieben sein makelloses lyrisches Timbre. Er nicht so sehr.
Bei ihm sind sich die Kritiker einig.
Der in Paris geborene und größtenteils in Genf aufgewachsene Benjamin Bernheim wird als nächster Superstar der Oper gefeiert. Als wir ihn via Zoom in Bordeaux erreichen, wo er gerade seinen ersten „Werther“ vorbereitet, und ihn darauf ansprechen, ist er, wie er es selbst ausdrückt „auf gewisse Weise stolz, wenn Leute das denken. Das bedeutet doch, dass sie ein großes Potenzial in mir sehen. Ich glaube nicht, dass ich mich jemals wie ein ‚Superstar‘ fühlen werde, aber ich bin stets sehr dankbar dafür, mit anderen unglaublichen Künstlerinnen und Künstlern auf der Bühne zusammenzuarbeiten, und wäre sehr froh, wenn ich das so lange wie möglich tun könnte.“ Diese Skepsis, man könnte es auch gesunden Realitätssinn nennen, begleitet ihn bereits von Anbeginn seiner Gesangslaufbahn.
Wiewohl aus einer hochmusikalischen Familie stammend – beide Eltern sind Opernsänger –, wollte er diesen Berufsweg erst gar nicht einschlagen. „Weil ich das Risiko nicht gänzlich einschätzen konnte. Wenn du kein Glück hast und kein gutes Timing, kann es ein sehr hartes Leben sein.“ Er habe viele Jahre gebraucht, sich tatsächlich darauf einzulassen. „Als ich 17 war, habe ich gesungen, weil ich Spaß daranhatte. Wenn du Musiker oder Sänger bist, kannst du die Reaktionen darauf immer in den Augen deiner Zuhörer ablesen. Siehst du Enttäuschung oder gar peinliche Betretenheit, ist das ein Zeichen. Siehst du aber Freude und die Neugier darauf, mehr zu hören, ist auch das ein Zeichen.“ Bei ihm war es eindeutig Zweiteres, also begann er, trotz vieler persönlicher Zweifel, ein Gesangsstudium bei Gary Magby in Lausanne. „Erst mit 27 Jahren konnte ich mich voll und ganz darauf einlassen und wusste, dass ich es wirklich probieren wollte. Man kann nicht einen Fuß drinnen und einen draußen haben, ich musste mit beiden Füßen in der Welt der Oper stehen.“ Und obwohl er sehr schnell regelmäßig engagiert wurde, hatte er nun mit ganz anderen Problemen zu kämpfen.
„Ich wusste schon in sehr jungen Jahren, was ich singe wollte, und zwar romantische, lyrische Rollen. Aber 90 Prozent meines Umfeldes fanden, ich solle etwas anderes probieren. Sie haben mich zu Charakterrollen im deutschen Repertoire gedrängt. Plötzlich, wahrscheinlich auch wegen meines deutsch klingenden Nachnamens, steckte ich in dieser Schublade fest. Mein größter bisheriger Kampf war es, da wieder herauszukommen, den Leuten begreiflich zu machen, dass – auch wenn ich große Erfolge in ‚Arabella‘, ‚Capriccio‘ oder als Tamino in der ‚Zauberflöte‘ hatte – das Herzstück meines Repertoires französisch und italienisch ist. Und ich bin sehr dankbar, dass es wichtige Menschen gab, die mir die Chance eröffneten, in diesem Repertoire auch gehört zu werden.“
Betörende Klangfarben
Er tat gut daran, andernfalls hätte er sich möglicherweise seine Stimme ruiniert. „Heute halte ich sie gesund, indem ich das singe, was für mich am besten ist. Rodolfo in ‚La Bohème‘, Nemorino in ‚L’elisir d’amore‘, Edgardo in ‚Lucia di Lammermoor‘, Chevalier des Grieux in ‚Manon‘ oder die Titelrollen in ‚Faust‘ und ‚Hoffmanns Erzählungen‘. Das sind große Rollen, aber sie erlauben mir, die ganze Farbpalette meiner Stimme zu zeigen. Vom heroischen Klang zu den ganz sanften Tönen, von der schlichten, klaren Stimme hin zur ‚mixed voice‘“ (Bereichder Töne, die zwischen Brust- und Kopfstimme liegen, Anm.). Das volle Ausschöpfen seines Potenzials ermöglicht es ihm, wie es ein Kritiker ausdrückte, mit seiner Stimme Geschichten zu erzählen. Für den Sänger das größte Kompliment überhaupt.
Es ist schwer zu glauben, dass er selbst seine Stimme nicht sonderlich mag. Benjamin Bernheim lacht. „Ganz ehrlich, ich bin nicht der Einzige. Ich kenne eine ganze Menge Kollegen, die ihre eigene Stimme bei Aufnahmen nicht hören können. Viele sind natürlich auch total verliebt in ihre Stimme, ich fand meine immer zu nasal, zu trompetenhaft, zu wenig warm. Wenn du mit Jonas Kauf- mann aufwächst, träumst du als junger Tenor auch von einer solchen Klangfarbe.“ Neben dem bayerischen Startenor zählt er auch Giacomo Aragall, Nicolai Gedda, Roberto Alagna und Plácido Domingo zu seinen Vorbildern.
Zuletzt feierte Benjamin Bernheim als Rodolfo in „La Bohème“ an der Wiener Staatsoper große Erfolge. Im April wird er nach Wien zurückkehren, um Edgaro in „Lucia di Lammermoor“ zu singen. „Es ist sehr lustig, in dieser Saison hatte ich drei ‚Lucias‘, eine in Zürich, eine bei den Salzburger Festspielen und nun eine in Wien. Das ist ein bisschen wie auf Tournee zu gehen (lacht). Und jedes Mal sang bzw. singt Lisette Oropesa die Lucia, auch jetzt in Wien. Darauf freue ich mich sehr.“
In der darauffolgenden Saison steht ein weiterer Meilenstein – eigentlich an der Met in New York schon vor zwei Jahren geplant, aber Corona zum Opfer gefallen – auf dem Programm: „Romeo et Juliet“. Diese Oper, gemeinsam mit „Manon“,„Werther“,„Hoffmanns Erzählungen“ und vielleicht noch „Faust“, sieht Benjamin Bernheim als zentrale Werke seiner künftigen Jahre als Opernsänger.
Neue Aufnahmen
2019 veröffentlichte der exklusiv bei Deutsche Grammophon unter Vertrag stehende Sänger sein erstes Album – eine Auswahl weltbekannter romantischer Arien, mit der er sich ganz bewusst dem Vergleich mit den größten Tenören aussetzen wollte. Nun folgt am 8. April sein zweites Album „Boulevard des Italiens“. „Das Konzept ist ein ganz anderes. Ich wollte die Historie des Théâtre-Italien, aber auch der Opéra-comique und der Opéra Garnier über einen Zeitraum von 150 Jahren zeigen. Von Spontini zu Mascagni. Paris war damals immens wichtig für Komponisten, natürlich auch für die italienischen, ihre Werke wurden ins Französische übersetzt und mit meist großem Erfolg aufgeführt.“ Der Mix aus italienischer Musik und französischer Sprache ist bei Benjamin Bernheim ein echtes Statement.