„Glanzlicht der Saison“. Mit diesem etwas eigentümlichen Titel darf sich ab sofort sowohl die Compagnie des Wiener Staatsballetts als auch dessen Direktor und Chefchoreograf Martin Schläpfer schmücken. Verliehen von der renommierten Zeitschrift „tanz“ in deren Jahrbuch, ermittelt durch eine internationale Kritikerumfrage.

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„Ich habe mich darüber sehr gefreut“, sagt Martin Schläpfer, „vor allem nach diesen zwei zerfurchten Jahren, in denen ein Durchtränken dieses so großen Betriebes doch recht schwierig war für mich. Da tut es gut, dass unsere Arbeit gesehen, gespürt und im inhaltlichen Sinne gelesen werden kann. Es nimmt nicht die Fragestellungen und Zweifel, aber es ist eine wundervolle Bestätigung.“

Laudator Manuel Brug in seiner Begründung: „Der Chef ist präsent, aber die ganze Repertoirebreite kommt zum Zuge; inzwischen auch wieder die etwas abgenudelten Klassiker.“ Zu denen er lakonisch auch „Dornröschen“ zählt. Martin Schläpfer lacht. „Dass diese Werke zum Kanon des Wiener Staatsballetts gehören müssen, ist unbestritten. Darüber gibt es für mich weder Zweifel noch Debatte.“ Die Frage sei, mit welchen Ansätzen man ein Stück, von dem Theaterbesucher auf der ganzen Welt eine Vision hätten, auf die Bühne bringe, welche neuen Aspekte man ihm abgewinnen könne.

Proben zu Dornröschen
Dreistündiges Tanzfest. „Dornröschen“ bietet der Compagnie virtuose Möglichkeiten: François-Eloi Lavignac als Haushofmeister.

Foto: Wiener Staatsoper/Ashley Taylor

Tänzerische Offenbarung

Denn „Dornröschen“ ist wahrlich keine einfache Vorgabe. Schon seine Aufführungsgeschichte liest sich wie ein Märchen. Komponist Piotr Iljitsch Tschaikowski und Choreograf Marius Petipa bildeten gemeinsam mit dem damaligen Intendanten des Sankt Petersburger Mariinski-Theaters, Iwan Wsewoloschski, der das Libretto beisteuerte und die Kostüme entwarf, ein kongeniales Trio.

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Die Uraufführung am 15. Jänner 1890 geriet zum dreistündigen Tanzfest, bis heute gilt diese Choreografie als eines der vollkommensten Gebilde im Corpus der russischen Ballette. Metaphorisch dicht, reich an Bildern, dramaturgisch komplex.

Martin Schläpfer liebte „Dornröschen“ unter den klassischen Balletten schon als Student in London besonders und sah es oft. „Später war der Blaue Vogel eine meiner schönsten und faszinierendsten Rollen.“ Dass er das Märchen nun für das Wiener Staatsballett choreografiere, entspringe einem Gefühl. „Und es offeriert der Compagnie viel Tanz“, etwas, was ihm als Ballettdirektor immer ein großes Anliegen sei.

Proben zu Dornröschen
Catalabutte und Liudmila Konovalova als Fliederfee.

Foto: Wiener Staatsoper/Ashley Taylor

Ihn interessiert vor allem die Regie, er beschäftigt sich intensiv mit der Handlung und den Figuren. „Die Aspekte der Personenführung sind mir wichtig. Was bedeutet der Zeitsprung, wenn der Prinz erfährt, dass da eventuell im Wald hinter Gestrüpp die schönste Prinzessin seit hundert Jahren schläft? Und wie stellt man diesen ästhetisch dar? Wie geht man mit Gut und Böse, dargestellt durch die Fliederfee und Carabosse, um? Warum muss Carabosse so ein Scheusal sein, wo sie doch einfach eine Fee ist, die nicht mit einer Einladung bedacht wurde, weil sie sich in der französischen Fassung von Charles Perrault, die weitaus dunkler und düsterer ist als jene der Brüder Grimm, fünfzig Jahre lang nicht mehr gezeigt hat? Kann es mit Carabosse nicht auch so etwas wie eine Versöhnung, die sie in die Gesellschaft zurückbringt, geben?“

Des Weiteren würden ihn das Erwachsenwerden, die Entwicklung eines Mädchens zur Frau, und das Verhältnis zwischen Aurora und ihren Eltern interessieren. „König und Königin werden in meiner Fassung aufgewertet. Sie bleiben nicht passiv wie im Märchen, sondern das sind tanzende große Rollen.“ Auch das Verlieben ist bei Martin Schläpfer ein zentraler Moment. Die erste Begegnung von Aurora und Prinz Désiré geschieht zu Musik von Giacinto Scelsi – ein Poem für Streicher zum Thema der Venus mit dem Titel „Anahit“. Grundsätzlich bekommt bei ihm jede Figur einen „Text“, niemand bleibt grundlos und unbeteiligt auf der Bühne.

Wir müssen wieder kleiner, demütiger, vorsichtiger und höflicher werden.

Martin Schläpfer, Direktor Wiener Staatsballett

Blick in die Zukunft

Wenn wir hundert Jahre schlafen würden, wäre das Aufwachen sicherlich ein Kulturschock. Welche Utopie hat Martin Schläpfer dazu? „Auch wenn das schnell pathetisch und prätentiös klingt: Wir müssen uns wieder auf unser Menschsein fokussieren und aufhören, Götter zu spielen. Wir müssen wirklich kleiner, demütiger, vorsichtiger und höflicher werden.“

Im Urlaub führte er sich Jane Austens „Stolz und Vorurteil“ als Hörbuch, gelesen von Eva Mattes, zu Gemüte. „Der überreizte viktorianische Umgang mit all seinen Regeln ist natürlich nichts, was ich heute vermisse, aber das respektvolle Verbalisieren, das sachte Annähern, ohne dass es sofort ein Resultat zeitigen muss, die Vorsicht in der Sprache, die Achtung – das hat mich unglaublich berührt.“ Auch deshalb sei das Modell, wonach Carabosse wieder in die Gesellschaft integriert wird, für ihn ein möglicher Gedanke.

Martin Schläpfer
Martin Schläpfer, Direktor des Wiener Staatsballetts.

Foto: Andreas Jakwerth

Wird es nach „Schwanensee“ und „Dornröschen“ auch den „Nussknacker“ als drittes großes Tschaikowski-Ballett in einer Schläpfer-Choreografie geben? „Wer weiß, vielleicht. Ich liebe die Musik, aber ich möchte in Zukunft weniger kreieren.“ Von einem Lächeln untermalter Zusatz: „Ich muss ja auch meine direktorialen Tätigkeiten noch unterbringen.“

Zu den Spielterminen von „Dornröschen“ in der Wiener Staatsoper!