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Warum dieses Buch?

Für viele Menschen ist Oper jene Kunstform, welche die tiefsten Emotionen auslöst und das Leben, wenn auch nur für einen kurzen Moment, stillstehen lässt. 25.000 Aufführungen finden jährlich statt, gespielt werden in den meisten Häusern jedoch immer dieselben fünfzig Werke. Es stellt sich daher die Frage, welche Perspektiven die Oper heute noch bieten kann. Hat sie noch ausreichend künstlerische, kreative, politische Kraft und Energie? Das Buch „Die letzten Tage der Oper“, dessen Titel von dem epischen Drama „Die letzten Tage der Menschheit“ von Karl Kraus inspiriert wurde, sucht Antworten auf die Frage, wo das Genre Musiktheater heute im 21. Jahrhundert steht und in Zukunft stehen könnte.

Der Direktionswechsel an der Wiener Staatsoper schien den Herausgeber*innen der geeignete Anlass, an Opernfreunde im besten Sinne des Wortes die Einladung auszusprechen, einen Beitrag für eine Bestandsaufnahme des Genres zu leisten. Durch den Umfang des Vorhabens und den Ausnahmezustand, verursacht durch die Pandemie, verzögerten sich jedoch das Projekt und der Erscheinungszeitpunkt, der ursprünglich zum Antritt von Bogdan Roščić im September 2020 geplant war. Ausgelöst durch die Pandemie, waren viele Autorinnen und Autoren mit der Bewältigung der Krise beschäftigt, für andere war eine Neuorientierung ihrer Existenz erforderlich. Dadurch stellte sich noch konkreter und verschärfter die Sinnfrage für den Opern- und Theaterbereich und die Systemrelevanz von Kultur im Allgemeinen.

Was ist das Ziel, das mit dem Buch erreicht werden soll?

Das Buch ist eine umfassende Bestandsaufnahme der gegenwärtigen Situation der Kunstform Oper und somit eine maßgebliche Lektüre für Fachleute, Studierende und alle Opernfreunde. Ziel des Sammelbandes, der rund hundert Essays umfasst, ist es, die Relevanz der Oper in der dystopischen heutigen Welt zu erörtern und einen Blick auf mögliche Entwicklungen des Genres in der absehbaren Zukunft zu werfen.

Fast hundert Autorinnen und Autoren aus allen Wirkungsbereichen der Oper sowie kreative Köpfe aus Philosophie, bildender Kunst, Architektur, Film und Schauspiel wurden für Beiträge zu diesem bedeutenden Diskurs gewonnen. Das Ergebnis waren Analysen, Liebeserklärungen, Schilderungen von Problemzonen und konstruktive Ansätze, kluge Essays und harte Kritiken, optimistische Einwürfe und pessimistische Abrechnungen. Aber durch alle Texte schimmern Liebe und Leidenschaft, und sie sind Plädoyers für eine schöne Zukunft der Oper.

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Buch „Die letzten Tage der Oper“
Die letzten Tage der Oper Herausgeber: Denise Wendel-Poray, Gert Korentschnig, Christian Kircher; mit: C. Bartoli, J. Kaufmann, R. Muti, J. Lauwers, R. Dornhelm, C. Lacroix, M. Abramović, G. Baselitz, J. Meese, R. Kloiber, B. Roščić, T. Ropac u. v. a.

Wie ist der Ist-Zustand der Oper?

Die Musikgattung Oper kostet sehr viel Geld, viel mehr als das Sprechtheater. In der Oper spielen unterschiedliche Disziplinen zusammen, vom Schreiben des Librettos über die Komposition bis zur Umsetzung auf der Bühne, und dadurch erscheint sie behäbig. Die Reaktionszeiten auf aktuelle Themen sind relativ lang. Das alles könnte dazu führen, dass die Oper insbesondere von jungen Menschen als nicht zeitgemäß wahrgenommen wird. Dagegen spricht jedoch, dass viele der in der Oper behandelten Themen zu jeder Zeit junge und ältere Menschen gleichermaßen beschäftigten und beschäftigen: Religion, Macht, Liebe oder Tod.

Wohin entwickelt sich die Oper?

Die gesellschaftliche Relevanz hat die Oper bis heute nicht verloren, aber es herrscht eine Einigkeit zum Handeln bei allen Beteiligten, um der Stagnation zu entkommen. Die Krise in der Oper wird in vielen Texten im Buch angesprochen, und Innovation wird gefordert. Eine Reflexion auf die sozialen, politischen und kulturellen Entwicklungen ist für den „Dinosaurier Oper“ dringend notwendig, auch um die künftigen Generationen anzusprechen. „Die Oper muss sich permanent verändern, um lebendig zu bleiben“, schreibt Cecilia Bartoli in ihrem Beitrag im Buch.

Muss man sich Sorgen um die Oper machen, wenn ja – oder auch nein –, warum?

Das Publikumsinteresse für die Oper ist nach wie vor ungebrochen, wenn man die sehr erfreulichen aktuellen Auslastungszahlen der Wiener Staatsoper oder der Volksoper Wien betrachtet. Die finanzielle Situation ist unter anderem auch durch die aktuelle Erhöhung des Kunst- und Kulturbudgets für die Zukunft gesichert. Das Publikum wächst mit den engagierten Kulturvermittlungsprogrammen der Häuser nach, und wir stecken die jungen Generationen mit unserer Leidenschaft für die Oper an. Auch die schwierigen Zeiten in der Pandemie und die Streamingdienste konnten die Sehnsucht nach dem Gemeinschaftserlebnis Oper nicht ablösen.

Warum braucht es ein Buch zur Zukunft der Oper?

Das Buch, mit dem jetzt ein Ergebnis der Bestandsaufnahme zur gegenwärtigen Situation des Genres Oper vorliegt, darf als Impuls für eine grundsätzliche inhaltliche Diskussion, die von den Bundestheatern ausgeht, gesehen werden und zeigt hoffentlich darüber hinaus Wirkung. Die Bundestheater als „Branchenführer“ im Theaterbereich haben in den letzten Jahren aus eigener Initiative mehrere Themenfelder bearbeitet, die über den eigenen Wirkungsbereich hinaus wahrgenommen wurden und für die gesamte Branche Signalwirkung hatten. Wir fördern eine offene Auseinandersetzung mit Compliance-Themen, von der #MeToo-Debatte bis zur Diskussion über die Beschäftigungsverhältnisse an den Bühnen. Oft waren die Bundestheater in den vergangenen zwei Jahren kommunikative Drehscheibe zwischen Künstlerinnen und Künstlern, Veranstaltern und Veranstalterinnen sowie politisch Verantwortlichen. Mit diesem Buch ist ein Beitrag zur kritischen Reflexion über die Gegenwart und Zukunft der Kunstform Oper geleistet worden.

Was ist Ihre Erkenntnis nach der monatelangen Arbeit an diesem Buch?

Es besteht kein Zweifel daran, dass die Kunstform Oper erhalten bleiben wird. Wie schon Alexander Kluge sagte: „Oper ist ein Kraftwerk der Gefühle und sollte als solches keiner Mode unterworfen werden.“ Aber es gilt, die Strukturen neu zu denken, Handlungsabläufe zu vereinfachen, und das bedarf des Mitwirkens von Handelnden, die eine Vision für die Zukunft des Genres Musiktheater und ein entsprechendes Engagement zur Umsetzung dieser haben. Oper darf nicht immun sein gegenüber Erneuerungsversuchen. Die Bundestheater können und wollen dazu einen wesentlichen Beitrag leisten.