Das Geheimnis ihrer Kiste
Marika Lichter kriegt einen Soloabend in der Josefstadt. Eine Meldung, bei der sicher der eine oder andere die Augen verdreht und fragt: „Echt jetzt?“
Ja, echt. Herbert Föttinger wird den Abend szenisch einrichten. Susanne F. Wolf hat das Buch gemeinsam mit Marika Lichter geschrieben, und eine kleine Band aus Akkordeon, Geige und Klarinette wird Lichters Gesang begleiten. Erzählen wird Marika Lichter ihre jüdische Familiengeschichte. Zehn Abende sind in den Kammerspielen der Josefstadt derzeit geplant.
Bevor wir erzählen, wie es dazu kam, muss man sich dem Phänomen Marika nähern, denn es gibt nicht nur eine Marika Lichter in der Außenwahrnehmung.
Die 72-Jährige ist eine multiple Projektionsfläche. Da ist einmal jene Marika, die „Dancing Stars“ gewonnen hat. Dann die Managerin von Uwe Kröger, als der noch ein Star war, und die der Agenturchefin. André Heller hat für eine junge Marika Lieder geschrieben. Gerade spielte eine der Lichters im Werk X und dieselbe auch in der Josefstadt-Produktion „Die Reise der Verlorenen“. Sommertheater-Intendantin war eine Lichter, und irgendwie sind alle diese Lichters (ich habe in der Aufzählung sicher noch eine ganze Handvoll Lichter-Leben vergessen) das, was in Österreich unter Promi läuft. Das alles macht Marika Lichter für den gelernten Österreicher zur leichten Angriffsfläche. Weil: Wer viel (erfolgreich) tut, ist verdächtig. Noch dazu, weil Marika Lichter ein wenig ausgeprägtes Harmoniebedürfnis innewohnt und sie Konflikten nicht ausweicht, sondern sich ihnen mit einem fordernden „Wos is?“ stellt.
Man muss als Frau hart sein, wenn man einer Problem-Ehe entfliehen will, als alleinerziehende Mutter im Showbusiness überleben will und immerwährend die Geschichte des Holocaust in sich trägt. Das ist die private Lichter, und die wollte zum hundertsten Geburtstag von Gerhard Bronner einen Anekdotenabend machen. „Aber das hat nicht funktioniert“, sagt Marika Lichter. Jetzt sind wir auch schon mitten in der Geschichte hinter der Geschichte.
Wir treffen die Vieltalentierte in ihrer Privatwohnung. Sie liegt im zweiten Stock eines Gründerzeithauses in einer schmalen Gasse im ersten Wiener Bezirk. Ihre Eltern – Überlebende des Genozids – lebten hier schon. „Ich hab dem Herbert Föttinger bei dem Termin dann von der kleinen Kiste erzählt, die ich nach dem Tod meiner Mutter in ihrem Zimmer gefunden habe. Da waren die Namen meiner Urgroßeltern drinnen, die ich nicht gekannt habe. Briefe von ihnen. Plötzlich springt der Föttinger auf und sagt: Das machen wir! Einen Soloabend über die Geschichte deiner Familie! Meine erste Reaktion war: Das mache ich sicher nicht, ich schaffe das nicht ohne Weinen. Hat er gesagt: Dann proben wir so lange, bis du es ohne kannst. Ich hab mir dann gedacht: Er wird schon wissen, was er tut.“
Schmerzhaft war der Prozess des Schreibens. „Es ist furchtbar, wenn ich daran denke, wie meine Mutter am Appellplatz stehen musste. Wenn ich Briefe über meinen Onkel Erwin lese und wie er ins Lager kam.“
Im Juli war das Buch fertig, Herbert Föttinger hat es gelesen und fand es sehr gut und berührend. „Ich vertraue ihm da …“ Die Ingredienzien jedenfalls versprechen einen spannenden, berührenden Theaterabend. Einen, bei dem es eine neue Marika Lichter zu entdecken gibt.
Masel tov!