Der Titel ist gestohlen. Er stammt von Bühnenbildner Julius Theodor Semmelmann, der das in Peru angesiedelte Stück optisch nach Wien transferiert und in der Wiener Hofburg sowie an anderen prunkvollen Plätzen der Stadt seine sinnliche Wirkung entfalten lässt. Das passt. Denn auch wenn „La Périchole“ zur Zeit der Regentschaft Napoleons III. und seiner Gemahlin Eugénie de Montijo spielt und mit der Jacques Offenbach innewohnenden feinspöttischen Sicht auf Politik und Kultur nicht geizt, kann man es mühelos zeitgenössisch interpretieren – „und zwar ohne Holzhammer“, wie Regisseur Nikolaus Habjan betont. „Man benötigt lediglich ein paar Kunstgriffe. Dreht man etwa die Flagge Perus um 90 Grad, bekommt man die österreichische, und schon ist das Ferne ganz nah. Wir spielen auf Basis des Zensurlibrettos, also jener Fassung, die 1868 nicht zur Uraufführung kam. Es bedarf nur gewisser Floskeln, wie beispielsweise ‚Hure der Reichen‘ oder ‚Wer zahlt, schafft an‘, um eine Signalwirkung zu erzielen. Das steht alles so im Text, nur etwas anders formuliert, und an den Charakteren selbst muss man gar nichts verändern.“

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Es ist zeitlos wie die Dramen Oscar Wildes, weil es die grausamen Ränkespiele der vermeintlich feinen Gesellschaft gnadenlos offenlegt. Die Handlung in wenigen Sätzen: Der Vizekönig von Peru erfreut sich gerne schöner Mätressen, die er sich von korrupten Ministern zuführen lässt. Als ihm die bettelarme Straßensängerin Périchole ins Auge fällt, möchte er auch sie gewinnen. Diese ist vor allem von der Aussicht, sich endlich einmal satt essen zu können, angetan.

Da Angestellte bei Hofe verheiratet sein müssen, schleppen die Hofschranzen schließlich den betrunkenen Piquillo – der ohnehin Péricholes Geliebter ist – als potenziellen Ehegatten an. Zum den Hofstaat belustigenden szenischen Repertoire gehören auch Tratsch, Intrigen, Kerker und ein Fluchtversuch, ehe es für Périchole und Piquillo doch noch ein Happy End gibt.

Nikolaus Habjan und Anna Lucia Richter
Regisseur Nikolaus Habjan und Sängerin Anna Lucia Richter.

Foto: Victoria Nazarova

Unterwegs mit dem Salonorchester

„Das Stück hat alles, was man von Offenbach kennt und liebt“, so Nikolaus Habjan, der keine Sekunde zögerte, als ihm Intendant Stefan Herheim das „zu Unrecht beinahe vergessene Werk“ anbot. Wie bei ihm naheliegend, wird es auch Handpuppen geben. Allerdings nur in Gestalt eines alten Gefangenen und zweier Hunde. Die für Offenbach typische schlanke Orchestrierung erlaubt auch musikalischen Schauspielerinnen und Schauspielern, sich stimmlich zu exponieren, muss man doch nicht über einen vollen Tanzklang hinwegsingen. So umfasst der Cast auch eine erkleckliche Anzahl an Wiener Publikumslieblingen.

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Die Hauptrolle aber wird die in Köln – bekanntlich auch die Herkunftsstadt Jacques Offenbachs – geborene Mezzosopranistin Anna Lucia Richter übernehmen. Für sie ein Glücksfall. „Die Art zu singen kommt bei Offenbach noch aus der Pariser Cafésänger-Tradition. Im Unterhaltungsmetier wurde halb rezitiert, halb gesungen, stets sehr bissig, witzig und anzüglich. Meine Mutter war ebenfalls Sängerin und hatte – u. a. gemeinsam mit meinem Großvater, der Pianist war, und meinem Vater, hauptberuflich Geiger im Gürzenich-Orchester – ein Salonorchester, mit dem sie vor allem auf Bällen Musik von 1850 bis 1930 gespielt haben. Bei manchen dieser Stücke musste man ebenfalls zwischen Gesang und Sprechen wechseln, ich bin also damit aufgewachsen, durfte es aber als Profisängerin nie anwenden, obwohl ich mir das schon lange wünsche.“ Nun ist auch der eloquente Nikolaus Habjan kurz sprachlos, denn von dieser für die Rolle geradezu perfekten Vergangenheit „seiner“ Périchole hat selbst er nichts gewusst. Für beide ist es übrigens die erste Operettenproduktion.

Der Tanz als Ventil

Was unterscheidet das Genre in der Herangehensweise von der „großen Schwester“ Oper? „Gar nichts“, erklärt Nikolaus Habjan, „außer, dass Operette noch aufwendiger ist.“ Sie werde oft unterschätzt, ergänzt Anna Lucia Richter, „dabei ist sie genauso inhaltsreich und kann ebenso viel Tiefe haben wie eine Oper“.

Von Offenbach stammt der Ausspruch, dass man immer dann, wenn es besonders schlimm wird, den Tanz brauche. „Er war der Ansicht, dass die Menschen nur im Tanz zusammenkommen könnten“, weiß Nikolaus Habjan. „Offenbach war als Jude bösartigstem Antisemitismus ausgesetzt. Die Tortur, die er durchmachen musste, um heiraten zu können (er war gezwungen, zum Katholizismus zu konvertieren, Anm.), spiegelt sich in ‚La Périchole‘ in der Hochzeitsszene wider. Er meinte, wir bräuchten Musik und Tanz, um nicht zynisch zu werden.“ So erklären sich die explosiven Cancans, die bei Offenbach für Stimmung wie Linderung zugleich sorgen.

Anna Lucia Richter ist auch als Liedsängerin international erfolgreich. Worin also bestehen für sie die Herausforderungen einer szenischen Operette wie „La Périchole“? „Beim Singen gibt es für mich keinerlei Trennung zwischen den Genres, selbst zwischen Oratorium und Oper nicht. Meine Motivation liegt immer darin, eine Geschichte zu erzählen, denn Singen ist nichts anderes als das. Ich kann Leute nur berühren, wenn ich hundertprozentig in eine Geschichte eintauche. In der Oper kommt lediglich dazu, dass man den schauspielerischen Part probt.“

Und wie ist das beim Spielleiter? Kann Nikolaus Habjan auch nur aus sich selbst schöpfen? „Es ist ein Irrglaube, dass der Regisseur eine Art Befehlshaber ist. Ich sehe ihn mehr als Gärtner, der Samen aussät und dann wartet, bis es wuchert. Erst am Ende schneidet er den Buchsbaum. Ich schätze es sehr, in einem Team zu arbeiten. Mein Wunsch ist jedes Mal, dass sich die Mitwirkenden in die Produktion verlieben, denn dann weiß ich, dass sie gut sind und überzeugen werden. Probenzeit ist übrigens Lebenszeit, also sollte sie möglichst angenehm sein …“

Zur Person: Nikolaus Habjan

Nikolaus Habjan ist ein Multitalent und Multitasker: Als Puppenspieler, Puppenbauer und Regisseur begeistert er seit Jahren das Publikum im deutschsprachigen Theaterraum, ob am Theater an der Wien, am Burgtheater und Volkstheater Wien, am Schauspiel Graz, am Residenztheater München oder an der Bayerischen Staatsoper. Am 21. Oktober feiert „Der Waffenschmied" Premiere.

Zum Spielplan des Theater an der Wien

Zur Person: Anna Lucia Richter

Sie entstammt einer Musikerfamilie und schloss ihr Gesangsstudium an der Musikhochschule Köln mit Auszeichnung ab. Ihr Fachwechsel vom Sopran zum Mezzosopran 2020 eröffnete ihr weltweit neue Möglichkeiten. Geschätzt als Liedinterpretin, gewann sie zahlreiche Preise und gastierte bei großen Festivals. 2021 sang sie bei den Salzburger Festspielen die Zerlina in „Don Giovanni“.

Zu den Spielterminen von „La Périchole“ im Museumsquartier (Halle E)!