Was soll das Publikum von einem Nesterval-Abend mitnehmen, Herr Finnland?
„Sex, Drugs & Budd'n'brooks“ heißt der neue immersive Theaterabend von Nesterval. Worum es geht, hat uns Regisseur und Mitbegründer Martin Finnland in Form eines Monologs verraten.
Aufgezeichnet von Berni Sarman.
Sie sollen mit einem Gefühl herausgehen. (Lacht.) Die Erfahrungen, die die Leute in diesem Stück machen werden, werden höchst unterschiedlich sein. Man wird schöne und herzhafte Szenen sehen. Man kann sich in diese Familie verlieben, man kann sie hassen, man kann sie verdammen. Und im besten Fall soll sich das Publikum Fragen stellen – eben auch zu den Subthemen, die wir in dem Stück thematisieren. Sexarbeit in Wien ist noch immer ein wahnsinnig tabuisiertes Thema ... Aus unserem Stück, das Fragen zulässt, sollen die Leute einfach mit einem Gefühl dafür herausgehen.
‚Sex, Drugs &Budd’n’brooks‘ ist eine Neuerzählung von Thomas Manns Buddenbrooks-Stoff. Das Ganze wandert aber von Norddeutschland, wo es eigentlich angesiedelt ist, nach Wien, in den Prater. Diese Geschichte haben wir mit Prater-Geschichten verglichen und gesehen, dass es unglaublich viele Ähnlichkeiten gibt. Es ist der Aufstieg und Fall einer Familie. Um uns mit dem Stoff vertraut zu machen, haben wir eine Lesegruppe begonnen. Zuerst haben wir uns persönlich, dann online getroffen; das war im ersten Lockdown. Wir haben das Buch innerhalb von vier Monaten gelesen, aber dafür intensiv, und es dabei ordentlich zerlegt. Davor haben viele von uns eher wenig von Thomas Mann gekannt; auch ich habe ihn erst beim Lesen kennen- und lieben gelernt und den Stoff als spannend empfunden.
Unser immersives Theater ist Theater ohne klassische Bühne. Wir durchbrechen die ‚vierte Wand‘, und man bekommt eine Geschichte erzählt. Man kann aber selbst entscheiden, welchem Charakter man folgen will, und kreiert dadurch sehr enge, emotionale Bindungen zu den Figuren. Man muss sich aber auf immersives Theater einlassen können. Ob man aus der zweiten Reihe nur zuschaut oder mit den Charakteren, die man trifft, interagiert, ist dabei nebensächlich. Hauptsache, man erlaubt sich selbst, sich in diese Illusion hineinzubegeben. Und genau davon leben wir natürlich auch – wenn wir es schaffen, das Publikum davon zu überzeugen, dass das, was wir gerade spielen, unsere Realität ist. Wenn die Gäste sich darauf einlassen, dann schaffen wir einfach ein Gesamterlebnis, das eigentlich den ganzen Abend ermöglicht. Wenn wir Gäste haben, die von Anfang an sagen: ‚Nein, das will ich nicht, das interessiert mich nicht‘, da stoßen auch wir an unsere Grenzen.
Aber ich freue mich schon sehr auf die Gäste. Tatsächlich haben zwei Jahre Corona ihre Spuren hinterlassen, und das Theater braucht Publikum. Wir haben alle erlebt, was es heißt, wenn die wichtigste Ressource für uns wegfällt. Das bedeutet jetzt, wieder Menschen zu sehen, im besten Fall Menschen ohne Masken – darauf freue ich mich am meisten. Ich will wieder Reaktionen erleben. Selbst wenn einem das Stück missfällt: Ich will wieder sehen können.