Die Föttinger-Formel: Aus zwei mach eins
Föttinger ist nicht gekommen, um zu bleiben, sondern um zu bewegen. Aus Josefstadt und Kammerspielen macht der Direktor eine Verzauberungsanstalt. Und Turrini, Peymann, Steinhauer und viele andere helfen ihm in der kommenden Saison dabei.
„Wir waren einfach zu verwöhnt“, sagt er. „Wir hatten immer so an die 89 Prozent Auslastung, und jetzt sind es 81. Und mir fehlen diese acht Prozent.“
Er macht eine Pause. „Aber es dauert. So ein Unterbruch markiert das auch – man muss in Bewegung bleiben, und das tun wir“, sagt er. Und: „Zwei Sachen sind mir wichtig …“ Schon sind wir mitten im Programm der Josefstadt für die kommende Saison. Er – das haben Sie wohl erraten – ist Herbert Föttinger, unkonventioneller wie beliebter Herr des Hauses. Vor wenigen Tagen hat er die Premieren und Wiederaufnahmen der Saison 2023/24 der Öffentlichkeit präsentiert, jetzt sitzen wir in seinem Büro in der Josefstädter Straße zusammen. Föttinger hat sich die Zeit genommen, noch einmal die zentralen Punkte mit uns für Sie durchzuarbeiten. Und die wären:
„Leben und Sterben in Wien“, ein Josefstadt-Auftragswerk von Autor Thomas Arzt. Hauptfigur ist die Magd Fanni (Katharina Klar). Begeistert von den sozialistischen Ideen, zieht sie ins Rote Wien der Zwischenkriegszeit und wird dort nicht nur Zeugin der Errungenschaften der Sozialdemokratie, sondern erlebt, wie die sogenannten Schattendorfer Urteile von 1927 das Ende der Ersten Republik einläuten. Geplant war das Stück eigentlich schon für 2020/21.
„Das Warten hat sich gelohnt: Die im Stück thematisierte Polarisierung hat ja hundert Jahre später nichts an Aktualität verloren, und es wird gut ins Wahljahr 2024 passen. Ich wollte immer, dass jemand ein Stück über die Zeit zwischen 1927 und 1932 schreibt. Das ist eine Epoche, die nicht in der Literatur bearbeitet wurde. Diese Zeit war die Vorstufe zum Nationalsozialismus.“
Wie muss man sich so eine Auftragsvergabe vorstellen? Wie wird der Autor gebrieft? „Ich habe ihm die Zeit vorgegeben, dann hat Thomas Arzt Skizzen entwickelt, und daraus ist die wunderbare Geschichte einer jungen Frau entstanden, die sich einen Weg durch diese wilden Zeiten bahnt. Ich liebe seine Sprache, in der man Anzengruber riecht, Horváth fühlt. Man spürt in jedem Wort, dass hier ein österreichischer Autor schreibt.“
Alles eins und alles Josefstadt
Über den anderen großen Autor, der gleich zwei Uraufführungen beisteuern wird, nämlich Peter Turrini, werden wir ein bisserl später reden. Zuerst wollen wir wissen, warum viele Stücke, die man früher im Haupthaus verortet hätte, jetzt in den Kammerspielen zur Aufführung kommen werden. „Ich glaube, dass ‚Der Himbeerpflücker‘ und auch die ‚Lulu‘ dort gut aufgehoben sind. Die Kammerspiele waren ja früher eine reine Lachbühne – aber ich will, dass man, wenn ich aufhöre, keinen Unterschied mehr macht zwischen den beiden Häusern. Ich mache das sehr behutsam, und es wird vom Publikum angenommen: Das Josefstädter Ensemble muss keine geteilte Seele mehr haben. Ich möchte, dass die beiden Theater einander auf Augenhöhe begegnen.“
Ernst Haeusserman und Franz Stoß haben zwischen 1954 und 1958 gemeinsam das Theater geführt und radikal auf Gassenhauer gesetzt. „Ich finde, was die beiden gemacht haben, ist künstlerisch nicht vertretbar. Sie haben es mit großem Erfolg gemacht, aber wenn Wien eine Boulevard-Bühne braucht, dann sollte es eine eigene Bühne dafür geben und nicht eine, die im Verbund mit einem großen Haus steht. Und dort soll es dann einen Direktor geben, der dieses Genre konsequent bedient. Das Problem ist, dass es kaum mehr gute Stücke gibt. Ich bin ja selber hier im Haus sozialisiert worden – und ich weiß, dass früher viele Schauspieler gesagt haben: ‚Da unten (Anm.: in den Kammerspielen) spiele ich nicht.‘ Das hat mich von Anfang an gestört. Viele Menschen haben mir geraten: ‚Lass die Kammerspiele – das rennt eh von selber.‘ Aber das kann ja nicht mein Zugang sein, Dinge zu lassen, nur weil sie bequem sind! Ich wollte mich in dieses Haus verlieben.“
Zuerst wurde umgebaut, „dann habe ich langsam über qualitativ hochwertiges Musiktheater und über Autoren wie Daniel Glattauer und Florian Zeller versucht, es zu drehen. Ich habe ernstere Sachen hineingeschwindelt – jetzt ist es umgekehrt: Ich schwindle Komödien hinein. Das haben sich das Haus und alle Schauspieler*innen verdient!“
Yasmina Rezas Zauberwesen
Yasmina Rezas „James Brown trug Lockenwickler“ wird nach München, wo der Witz im Surrealismus teilweise abgesoffen ist, jetzt in Wien gespielt werden.
Der Inhalt, kurz gefasst: Jacob glaubt, er ist Céline Dion. Philippe, sein/ihr Freund in der Anstalt und ein Weißer, hält sich für einen Schwarzen. Jacobs Eltern schwanken zwischen Ablehnung, totaler Hingabe und Unverständnis.
„‚Kein Realismus‘ hat Yasmina Reza an den Anfang des Stücks geschrieben. Das schreibt sie immer hin. Aber es muss ja nicht Surrealismus sein. Yasmina Reza hat diesen großartigen jüdischen Humor, der wunderbar in unsere Stadt passt. Jacob/Céline ist so ein Zauberwesen, das wir überhaupt nicht verstehen, und wir – das Publikum – versuchen, uns damit anzufreunden, und darum ist diese Geschichte auch so schön.“ Juergen Maurer wird den Vater von Jacob/Céline spielen, Maria Köstlinger dessen/deren Mutter. „Es ist die Komik der Überforderung. Stellen Sie sich vor, Ihr Sohn sagt eines Tages: ,Ich will nicht mehr Schnucki heißen, sondern Céline.‘ Nicht Horst oder Herbert oder sonst was, sondern Céline.“
Es wird die dritte Regiearbeit von Publikumsliebling Sandra Cervik. „Juergen und Maria wollten sie schon einmal für ein Stück. Leider ist nichts draus geworden. Ich dachte mir, das muss ich auflösen, bevor ich aufhöre.“
Zwei Turrini-Uraufführungen
Der große Peter Turrini hat für die kommende Saison gleich zwei neue Stücke geschrieben (siehe auch Kasten auf Seite 39). Für „Bis nächsten Freitag“ wird einer der beliebtesten Bühnenstars des Landes in der Josefstadt zu sehen sein: Erwin Steinhauer.
Zwei Freunde – ein Dozent (Föttinger) und ein Buchhändler (Steinhauer) – treffen einander jeden Freitag. Herbert Föttinger: „Es ist eine spannende, eine persönliche Geschichte: zwei Freunde, die sich aus politischen Gründen immer weiter voneinander wegbewegen. Im Auseinanderlaufen entsteht eine unglaubliche Annäherung, die nicht ausgesprochen werden darf. Das Stück zeigt die ganze Ambivalenz des Lebens. Es gibt da eine sehr, sehr zärtliche Szene, in der der eine schläft und vom anderen geküsst wird.“
Zuerst Gutenstein, dann Josefstadt
Den zweiten Turrini-Hit, „Es muss geschieden sein“, können Fans bereits im Sommer bei den Raimundspielen in Gutenstein (13. Juli bis 6. August) vorschauen. Stephanie Mohr wird das Stück inszenieren. „Turrini hat es für Gutenstein geschrieben, und wir haben entschieden, daraus eine Koproduktion zu machen. Das Stück spielt 1848 und zeigt das Wunder der Revolution, das nie stattfindet.“ An einem Theater wird „Der Bauer als Millionär“ geprobt, „und plötzlich merkt man, dass da ein Feuer in der Luft liegt. Alles schreit nach Neubeginn, und die Schauspieler gehen raus, demonstrieren, und das wird dann zum Fallstrick für zwei Protagonisten – aber auf eine sehr schöne Art und Weise. Die Revolution hat ja viele begeistert, auch Menschen wie Grillparzer. Und als man dann gespürt hat, dass das nicht zu jenen Dingen führte, die man sich erträumt hatte, wollte plötzlich keiner mehr dabei gewesen sein.“
Föttinger setzt einen wunderbar wienerischen Erklärungssatz lachend nach: „Es geht darum, dass du rechtzeitig bemerken musst, wenn es sich nicht mehr ausgeht, damit es sich dann irgendwie doch ausgeht. Ein Stück mit viel Poesie.“
Peymann und der TV-Star
Peymann wird „Warten auf Godot“ inszenieren – im großen Haus. Föttinger: „Es gab die Überlegung, es in den Kammerspielen zu machen, weil Peymann sie liebt, weil sie intimer sind, weil man dort auch genauer sein muss.“
Peymann hat bei den Festspielen Reichenau im vergangenen Sommer bei einem Auftritt den Fernsehstar und Nestroy-Preisträger Stefan Jürgens kennengelernt, und Föttinger hat ihn für „Warten auf Godot“ engagiert. Johannes Krisch, Bernhard Schir, Marcus Bluhm und eben Stefan Jürgens werden spielen. „Peymann arbeitet an seiner Fassung und macht gerade Striche …“ Wir dürfen also gespannt sein.
Kurz reden wir noch über den zweiten Teil der Ibsen-Trilogie, „Die Stützen der Gesellschaft“, und wie sehr auch dieses Stück in unsere Zeit passt. David Bösch hat eine eigene Bearbeitung des Stücks gemacht, er wird auch wieder Regie führen.
„Die Trilogie der Sommerfrische“ hätten wir beinahe vergessen: „Es ist vermutlich eine der besten Komödien von Goldoni. Anfangs ist es ein klassischer Goldoni, dann ein bisserl Tschechow und am Ende – nach dem Sommer – eine Mischung aus Kafka und Beckett, dann, wenn alle Träume so richtig in die Binsen gegangen sind.“
Unsere Interviewzeit ist leider um. Alles zu den weiteren Premieren und Wiederaufnahmen finden Sie entweder im großartigen Programmbuch der Josefstadt oder auf unserer Website. Schauen Sie rein, es zahlt sich aus.