Gefährliche Liebschaft: „Die Ziege oder Wer ist Sylvia?“
Die Ausstattung hat viel zu tun nach diesem Abend. Denn es geht einiges zu Bruch. Afrikanische Masken ebenso wie Teller, Tassen und sogar das Bildnis der Mutter. Seiten werden aus Büchern gerissen, Eiscreme an Wänden verschmiert, blutige Schleifspuren verunreinigen das Blütenweiß des Architektenheims. Doch dazu später.
„Die Ziege oder Wer ist Sylvia?“ von Edward Albee feierte in den Kammerspielen Premiere. Es behandelt das heikle Tabuthema Sodomie, auch wenn sich Martin das Wort verbittet. Er beharrt darauf, sich in die Titelheldin Sylvia verliebt zu haben. Eine Ziege. Gattin Stevie, von Ross, Martins bestem Freund, über die unerfreuliche Nebenbuhlerin brieflich aufgeklärt, steigert sich voll allzu verständlicher Wut, gemischt mit wortgewaltigem Zynismus, in jenen Furor hinein, dem oben genannte Ziergegenstände im Dutzend zum Opfer fallen. Sohn Billy, schwul, fragil und spätpubertär, liebäugelt zunächst noch sarkasmustriefend damit, das Thema bei seinem nächsten Schulreferat aufzugreifen, um dann hilflos zu- bzw. wegschauen zu müssen, wie seine Eltern in die Schlacht ziehen.
Sandra Cervik wird laut, sehr laut. Wer könnte es ihr verdenken? Man könne, wie sie Edward Albee bemerken lässt, eventuell darüber hinwegsehen, trüge der Gatte plötzlich Frauenkleider, auch langjährige Ehefrauen, die eine Vorliebe für das eigene Geschlecht entwickelten, seien nur allzu menschlich. Aber eine Ziege? Joseph Lorenz verteidigt als Martin sein Verhältnis tapfer gegen alle widrigen Schlüpfrigkeiten und bittere Häme. Man nimmt ihm diese Liebe ab, sympathisiert streckenweise sogar mit seinen romantischen Anwandlungen.
Gegen Stevies verzweifelten Ausbruch bleibt er indes machtlos. Sohn Billy, von Valerio Julian Rehrl zunächst cool angelegt, gegen Ende hin aber immer mehr nervöser Kandidat für die Jugendpsychiatrie, entgleiten seine Emotionen gänzlich. Bis zu jenem Punkt, an dem er den bloßgestellten Vater zungenküsst. Zufällig beobachtet von Ross, dem langfristig jeder Glaube an moralische Gundsätze abhanden gekommen sein dürfte. Michael Dangl porträtiert ihn als lässigen Medienmann, der, überfordert von der animalischen Liebesbotschaft des Freundes, langsam in die aggressive Resignation abgleitet.
Je länger das Stück dauert, desto dezibelgesteigerter wird es. Eventuell hätte man es ein wenig straffen können, denn der Kern der Geschichte wird ohnehin bald freigelegt. Das Publikum in den Kammerspielen ist sich nicht ganz einig, auf welche Seite des Begriffs Tragikomödie es sich schlagen soll. Manches Übersprungslachen bleibt ihm buchstäblich im Halse stecken. Am Ende gibt es Jubel und Applaus für das darstellende Quartett und das Team rund um Regisseur Elmar Goerden. Ach ja, die blutigen Schleifspuren stammen von Sylvia, die im finale furioso doch noch auftaucht. Zweifellos nicht freiwillig.