Hans Werner Henzes unbekannte Neuerfindung der Oper
„Das verratene Meer" wurde noch nicht oft inszeniert. Die Wiener Staatsoper wagt sich an den schweren Stoff heran. Die Regisseure Sergio Morabito und Jossi Wieler berichten über Verstörungspotenzial und innovative Klänge.
Montagabend findet in der Wiener Staatsoper eine in mehrfacher Hinsicht außergewöhnliche Premiere statt. Zum einen ist es die erste „richtige" Premiere unter der Direktion des neuen Staatsoperndirektors Bogdan Roščić. Zum anderen ist es ein relativ unbekanntes Werk des 20. Jahrhunderts. Hans Werner Henzes Oper „Das verratene Meer" wurde bislang nicht oft aufgeführt. Das habe mehrere Gründe, sagt Sergio Morabito, der neue Chefdramaturg der Wiener Staatsoper, der damit seine erste Regiearbeit in seiner neuen Funktion vorlegt. „Das verratene Meer" von Hans Werner Henze ist am 14. Dezember als Stream und via Radio Ö1 zu erleben.
Theatralische Verdichtung
Für seine erste Regiearbeit hat Morabito Jossi Wieler an Board geholt. Das Regieduo arbeitet seit 1994 regelmäßig zusammen. Für die Henze Oper gab es wenig Vorarbeit, auf die sie sich stützen konnten. Bislang gibt es nur einen Mitschnitt einer Aufführung bei den Salzburger Festspielen. Morabito bezeichnet die Aufnahme als „problematisch", da „die Eingriffe in die Musik groß waren".
Eine weitere Herausforderung war das Bühnenbild. Denn Henze übernahm viele Schauplatzbeschreibungen aus dem Originalroman „Der Seemann, der die See verriet" von Yukio Mishima. „Das Stück muss eine Traumlogik bekommen. Eine theatralische Verdichtung, um in das Innere dieses traumatischen Geschehens vorstoßen zu können", sagt Morabito. Als Lösung wurde ein „Einheitsbühnenbild" geschaffen, das sich in sich selbst verändert.
Ein dritter Grund, warum Henzes Oper nicht oft aufgeführt wurde, sei der Stoff an sich, vermutet Morabito. Es kommt zu Gewaltexzessen, die von Jugendlichen verübt werden. „Das Verstörungspotenzial spielt sicher eine große Rolle, warum das nicht so oft aufgeführt wurde", so Morabito und ergänzt: „Wir hoffen, dass die Oper durch die Neuinszenierung anders wahrgenommen wird."
Neuerfindung der Kunstform Oper
Und was erwartet die Zuhörerinnen und Zuhörer? Der Tonfall erinnere an Alban Bergs Lulu, beschreibt Morabito: „Einerseits wurzelt diese Oper ganz tief in der Tradition des deutschen Musikdramas, andererseits erfindet es die Kunstform Oper neu." Inhaltlich gebe es Anklänge an griechische Familientragödien, andererseits sei „Das verratene Meer" streckenweise spannend wie ein Thriller.
Aufgrund täglicher Covid 19-Testungen konnte unter relativ normalen Bedingungen weitergeprobt werden, berichtet Wieler: „Es war eine normale Körperlichkeit auf der Bühne möglich. Eine Liebesszene ist eine Liebesszene, eine Rangelei ist eine Rangelei. Wir fühlten uns ein bisschen wie in einer Blase. Diese Freiheit war ein Segen, sowohl im Kopf, wie auch im Körper."
Premiere im Live-Stream
Die Premiere wird jedoch wieder ohne Publikum stattfinden, aber live gestreamt. "Aber jede Aufzeichnung sei natürlich ein Verlust, sagt Wieler: „Man muss Bilder auswählen, der Live-Zuseher kann seinen Blick hingegen lenken, wie er möchte. Lieber wäre uns natürlich Publikum und Applaus im Saal. Aber es ist auch ein Gewinn, dass wir es überhaupt zeigen dürfen."
Premiere: Das verratene Meer
Premiere am 14. Dezember in der Wiener Staatsoper
14. Dezember 2020 → 19.00 Uhr: LIVESTREAM auf play.wiener-staatsoper.at
15. Dezember 2020 → 19.30 Uhr: AUSSTRAHLUNG auf Ö1
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