Regalbretter, die die Welt bedeuten: „Heimliche Idioten“ im Kosmos Theater
Was verraten Internetkommentare, Rezensionen und in Foren gestellte Fragen über unsere Gegenwart? Und öffnet sich wirklich eine Türe, wenn sich eine andere schließt? Wir haben mit Sahba Sahebi und Milena Michalek über ihre Inszenierung „Heimliche Idioten“ im Kosmos Theater gesprochen.
Ein rund vier Meter hohes Holzregal bildet das Kernelement des Bühnenbildes der Stückentwicklung „Heimliche Idioten“, die ab 11. Mai im Kosmos Theater zu sehen ist. Auch körperlich arbeiten sich die Spieler*innen an diesem ab, in einer der Szenen klammert sich Samuel Simon ans mittlere der drei Regalbretter, seine Beine baumeln herunter. Ob er auch im metaphorischen Sinn an diesem Regal hängt und was sich – ebenfalls nicht buchstäblich gemeint – sonst noch daran aufhängen lässt, ließ Milena Michalek und Sahba Sahebi in den vergangenen Wochen keine Ruhe. Gemeinsam haben sie an der Fassung für ihr Stück geschrieben und auch die theatrale Setzung zusammen erarbeitet.
Ausgangspunkt: Chefkoch
Wir treffen die beiden eine Woche vor der Premiere im Foyer des Kosmos Theater. Der erste Probenblock des Tages ist vorbei, am Abend geht es weiter. Wie man auf die Idee kommt, ein Stück zu entwickeln, das sich aus Kommentaren und Rezensionen aus dem Internet zusammensetzt, möchten wir von Milena Michalek und Sahba Sahebi wissen. „Diese Texte begegnen einem andauernd“, hält Sahebi fest. „Man benutzt sie für bestimmte Anliegen, z.B. um herauszufinden, was andere für Erfahrungen mit einem bestimmten Produkt oder was auch immer gemacht haben. Aber darüber hinaus liefern sie eben auch Einblicke in bestimmte Gefühlslagen und Gefühlswelten. Es sind ja manchmal einfach kleine Monologe.“
Ausgangspunkt der Stückentwicklung waren Kommentare auf der Website „Chefkoch“, die sich der Autor und Regisseur in einer Smartphone-App notiert hatte. Er begann aus den Kommentaren eine vierstimmige Szene zu schreiben. Auf einem Autor*innenfestival traf er Milena Michalek und sie fingen an, sich darüber auszutauschen. „Daraus ist ein gemeinsamer Schreibprozess entstanden“, bringt es Sahba Sahebi auf den Punkt. „Der Prozess war davon geprägt, Textschnipsel zu sammeln, sie weiterzuschreiben und fortzuspinnen, über das Eigentümliche dieser Texte zu sprechen und zu überlegen, was sie über unsere Gegenwart erzählen.“
Ein Ding für andere Dinge
Beim Sammeln der Kommentare und Rezensionen seien sie stets der eigenen Intuition gefolgt, ergänzt Milena Michalek. „Insgesamt war es ein sehr lustorientierter Schreibprozess“, fasst sie zusammen. „Wir hatten nie einen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern sind eher von sprachlichen Feinheiten ausgegangen. Irgendwann kam dann der Punkt, an dem wir uns zurückgezogen haben, um darüber nachzudenken, welche Art von theatraler Setzung für unser Stück funktionieren könnte.“
Für welche Setzung sich die beiden entschieden haben, beantwortet das zu Beginn des Artikels erwähnte Bühnenbild. „Das Regal hat für uns deshalb so gut funktioniert, weil es keine besondere symbolische Kraft hat, so gar nichts Mystisches an ihm ist. Es ist einfach nur ein Ding für andere Dinge ist. Was man damit auf einer Bühne machen könnte, dazu fällt einem spontan ja erstmal nicht sehr viel ein – das hat uns gefallen.“, erklärt Sahba Sahebi.
Am Ende des Tages sind wir doch alle komische Internet-Leute.
Milena Michalek, Regisseurin und Autorin
Ob es ein lustiger Theaterabend wird? „Das hoffen wir schon“ sagt Milena Michalek. „Wir mögen Humor. Es steckt aber auch eine feine bzw. ratlose Traurigkeit in dem Textmaterial. Es könnte sanft und orientierungslos werden.“
Wichtig war den beiden auch, niemals von oben herab auf die Internet-Kommentare zu blicken. „Am Ende des Tages sind wir doch alle komische Internet-Leute“, bringt sie ihre Herangehensweise lachend auf den Punkt. Nach einer kurzen Pause fügt sie hinzu: „Wir haben nach Momenten der eigenen Verstrickung in dieser seltsamen Internet-Welt mitsamt all ihren Logiken und ihrer Brutalität gesucht.“
Sich sowohl die Arbeit am Text als auch die Regie aufzuteilen, empfand Sahba Sahebi als sehr bereichernd. Zeitweise fühlte es sich an wie in einem Versuchslabor, hält er abschließend fest. „Das Prinzip des Abends ist, dass man Textanlässe findet, die etwas auslösen, und dann mit einem Text darauf antwortet. Es gibt kein Autor*innen-Ich, sondern nur Texte, die zwischen uns entstehen. Bei diesem Projekt könnte ich mir auch keine andere Arbeitsweise vorstellen.“
Auf diese Weise ist ein Theaterabend entstanden, der sich um ein riesiges Regal dreht, der aber vor allem von all den Gespenstern aus Ratgeberforen, Kundenrezensionen und Spammails erzählt, von ihren Wünschen, Hoffnungen und Enttäuschungen. In „Heimliche Idioten“ wollen Milena Michalek und Sahba Sahebi das Murmeln dieser Gespenster vernehmbar machen.