Es ist schon ein wenig irreführend, dass Elfriede Jelineks für das Theater geschriebene Texte gern als Sprachflächen bezeichnet werden. Schließlich klingt es ein bisschen so, als ließen sie sich ohne allzu große Anstrengung – quasi ebenerdig – erobern. Dabei kann es durchaus geschehen, dass sich Teile ihrer Texte scheinbar unüberwindbar vor einem auftürmen. Weil es ja nicht darum gehen soll, sie zu überwinden, ist es schlauer, man gräbt sich tief in sie hinein.

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Obwohl Jelinek den Text auf einzelne Figuren aufgeteilt hat, gilt das auch für ihr 2002 uraufgeführtes Stück „In den Alpen“. Ausgehend vom Seilbahnunglück von Kaprun, bei dem im Jahr 2000 mehr als 150 Menschen ums Leben kamen, beleuchtet Jelinek darin das komplexe Verhältnis von Kultur, Technik und Natur.

Claudia Bossard inszeniert das Stück im Wiener Volkstheater, am 17. Februar ist Premiere. Sie bringt jedoch nicht nur „In den Alpen“ auf die Bühne, sondern auch „Après les alpes“, einen Theatertext des in Graz lebenden Autors Fiston Mwanza Mujila. Sein Stück sei nicht als Kommentar oder Fortschreibung des Jelinek-Texts zu verstehen, betont er. „Das ginge gar nicht, weil wir aus unterschiedlichen Perspektiven schreiben. Elfriede Jelinek ist eine weiße Schriftstellerin, ich bin ein Schwarzer Autor, sie kommt aus Österreich, ich wurde im Kongo geboren. Sie schreibt auf Deutsch, ich schreibe meistens auf Französisch.“

In seinem Text entwirft er das Bild eines postalpinen Zeitalters und stellt Überlegungen dazu an, was passieren würde, wenn die Alpen aufgrund eines plötzlich entdeckten Rohstoffvorkommens verkauft würden. Der Text sei sehr von der Kolonialgeschichte des Kongo beeinflusst, fügt er hinzu. Es geht um Ausbeutung, den mit Privilegien verbundenen Zugang zu Rohstoffen wie auch darum, mit welchen Bildern Österreich außerhalb der Landesgrenzen beworben wird. „Viele meiner Freund*innen und Verwandten im Kongo glauben, dass sich in Österreich alles nur um klassische Musik, Schnee, Berge und Skifahren dreht“, sagt Mujila.

„In den Alpen“
Fulminanter Doppelabend. Auf der großen Bühne des Volkstheaters verbindet Regisseurin Claudia Bossard Elfriede Jelineks Theatertext „In den Alpen“ mit Fiston Mwanza Mujilas „Après les alpes“. Julia Franz Richter gehört zum Ensemble der Inszenierung.

Fulminanter Doppelabend. Auf der großen Bühne des Volkstheaters verbindet Regisseurin Claudia Bossard Elfriede Jelineks Theatertext „In den Alpen“ mit Fiston Mwanza Mujilas „Après les alpes“. Julia Franz Richter gehört zum Ensemble der Inszenierung. Foto: Nikolaus Ostermann

Die Sprache reparieren

„Après les alpes“ hat Fiston Mwanza Mujila, der insgesamt sechs Sprachen beherrscht, auf Deutsch geschrieben. Die meisten seiner Texte entstehen allerdings auf Französisch – in einer Sprache, die von der blutigen Realität des Kolonialismus durchsetzt ist, wie der Autor erklärt. „Wenn ich auf Französisch schreibe, weiß ich, dass meine Großeltern in dieser Sprache kolonialisiert wurden. Es ist eine Sprache der Gewalt und Unterdrückung. Ich frage mich oft, warum ich überhaupt in dieser Sprache schreibe.“

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Folgende Begründung hat er für sich gefunden: „Ich möchte die französische Sprache reparieren, sie menschlicher machen, ihr eine neue Atmung geben, sie zu meiner Sprache machen. Im Kongo repariert man alles. Wenn ein Glas kaputtgeht, trinkt man nicht mehr daraus, sondern nutzt es beispielsweise für Blumen. Wenn ich in einer Sprache schreibe, versuche ich all ihre Möglichkeiten auszuloten – all die unterschiedlichen Farben und Stimmungen.“ Darüber hinaus ist es Fiston Mwanza Mujila wichtig, die eng mit der französischen Sprache verbundene Geschichte seines Herkunftslandes niemals zu vergessen. „Auch Elfriede Jelineks ‚In den Alpen‘ ist ein Stück gegen das Vergessen“, merkt er an. Die beiden verbindet zudem, dass die Sprache in ihren Texten häufig selbst zur zentralen Protagonistin wird.

Sonne im Kopf

Wenn er auf Deutsch schreibt, tut er das, weil es die Sprache ist, die er aktiv gewählt hat. „Ich empfinde ein Freiheitsgefühl, obwohl es mir deutlich schwerer fällt, als Texte auf Französisch zu verfassen. Es ist für mich auch ein physisch anstrengender Prozess, ich fühle mich nicht nur mental, sondern auch körperlich erschöpft.“ Seinen Umgang mit Sprache beschreibt Mujila insgesamt als einen sehr physischen. „Ich begreife die Sprache als Pflanze, die Sonne, Wasser und Luft braucht. Man muss sie nähren und pflegen.“ Da er ein großer Jazz-Enthusiast ist, der als Kind den Wunsch hatte, Saxofonist zu werden, sind seine Texte auch von einer großen Musikalität geprägt.

Um schreiben zu können, brauche ich Sonne in meinem Kopf.

Fiston Mwanza Mujila, Schriftsteller

Die ersten Texte, die Fiston Mwanza Mujila veröffentlichte, waren Gedichte. Auch heute sieht er sich als „Lyriker, der auch Romane und Theaterstücke schreibt“. Einflüsse kommen für ihn von überall. „Ich bin im Kongo geboren und aufgewachsen – in einem Land, in dem die Grenzen zwischen Theater und Realität verschwimmen. Man verhandelt, diskutiert, spricht permanent über sich und die Welt.“

Zwei Wochen nahm sich der Autor Zeit, um darüber nachzudenken, ob er ein Stück für den Doppelabend im Volkstheater schreiben möchte – ob es ihm jene Zufriedenheit bringt, die er für seine Arbeit braucht. „Schreiben hat für mich sehr viel mit Frieden und Glück zu tun“, sagt er. Und fügt hinzu: „Um zu schreiben, brauche ich Sonne in meinem Kopf.“

Nun, da er sich schon tief in die Alpen vorgearbeitet hat, hat er große Lust, noch tiefer zu bohren. „Ich komme aus Lubumbashi, einer Minenstadt – die Metapher des Schürfens und Grabens spielt für meine Arbeit eine wichtige Rolle.“

„Geht da was in die Tiefe bei dieser Fläche?“, fragt Elfriede Jelinek in ihrem Text „Textflächen“. Wir finden: definitiv. Der Rest ist Auslegungssache.

Zu den Spielterminen von „In den Alpen // Aprés les alpes“ im Volkstheater Wien!