Jakob Elsenwenger: „Ich habe einen stabilen sozialen Kompass“
Professionell ist er aktuell „Schmetterling & Eheassistent“ – privat geht er auf Campingurlaub und rappt im Dialekt. Jakob Elsenwenger ist ein Bühnengeschöpf mit unbeschränkter Haftung: de luxe begabt, nie um einen Auftritt verlegen.
Sissy Löwinger riet ihm zur Lehre. Und Jakob Elsenwenger kam dieser Empfehlung nach. Das ist umso erstaunlicher, als der in der Nähe von Salzburg Aufgewachsene bereits mit vier Jahren den Wunsch äußerte, Schauspieler werden zu wollen. Er habe, so erinnert er sich, die Abspänne nach Fernsehfilmen genau verfolgt und kundgetan, wie wichtig es sei, die Namen der Mitwirkenden zu kennen. Dass er im Jungspundalter bereits lesen konnte, verdankt er dem Umstand, einen zwei Jahre älteren Bruder zu haben. Alles, was dieser in der Schule lernte, wollte auch Klein Jakob wissen.
Mit sieben Jahren heuerte er beim „Salzburger Advent“ an, tourte mit der traditionellen Laienspielgruppe bis nach München und Stuttgart und blieb ihr zehn Jahre lang treu. „Als ich dreizehn war, habe ich die Schule geschwänzt und bin mit dem Zug zu diversen Theatern gefahren, um mich vorzustellen.“ Diese Kurztrips mussten exakt geplant werden, galt es doch, abends wieder zu Hause zu sein (aufgeflogen ist er trotzdem). „So kam ich bis nach Linz. Zumindest bis zum dortigen Portier, der mich unverständlicherweise abgewimmelt hat …“
Am Schauspielhaus Salzburg beschied man ihm hingegen, er solle wiederkommen, wenn er entweder die Matura oder eine abgeschlossene Berufsausbildung vorweisen kann. Auftritt Sissy Löwinger. „Meine Mama und ich haben sie eines Tages getroffen. Ich habe sie gefragt, was sie mir raten würde. Sie meinte, ich solle eine Ausbildung machen, dann hätte ich etwas in der Hand, sollte es mit dem Schauspiel nichts werden.“
Jakob Elsenwenger, bis dahin Schüler eines musischen Gymnasiums, tat wie ihm geheißen und absolvierte eine Lehre zum Großhandelskaufmann.
„Jedermann“ mit achtzehn
Ausgeübt hat er diesen ehrbaren Beruf jedoch nie, denn noch während des Zivildiensts begann er, Schauspiel zu studieren. Und zwar am Schauspielhaus Salzburg. „Schließlich hatte man mir dort ja gesagt, ich solle später wiederkommen“, entlockt sich der Mime selbst ein Lächeln.
„Ich habe Monologe aus ‚Jedermann‘ und Felix Mitterers ‚Kinder des Teufels‘ sowie ‚Die Bundestagsrede‘ von Loriot vorbereitet. Mir war nicht klar, dass es Leute gab, die richtige Aufnahmeprüfungstourneen bis nach Norddeutschland unternahmen, um an einer Schule angenommen zu werden. Ich lernte Leute kennen, die das 15. Vorsprechen absolvierten. Es war mir beinahe unangenehm, zu sagen, dass dies mein erstes und einziges war, aber meine Blauäugigkeit entsprang dem festen Willen, Schauspieler zu werden.“ Wurde er auch. Ziemlich rasch sogar. Den Abschluss musste er vor der „paritätischen Kommission“ ablegen, weil er bereits bei Michael Niavaranis Globe Wien unter Vertrag stand und für konventionellen Schulbesuch keine Zeit mehr blieb. Danach wurde er ans Theater der Jugend engagiert, wo er u. a. als Hamlet, Robin Hood und Peter Pan auf der Bühne stand. Für die Titelrolle in der Dramatisierung des Highsmith-Romans „Der talentierte Mr. Ripley“ erhielt er 2017 eine NESTROY-Nominierung als bester Nachwuchsschauspieler.
So wurde auch Herbert Föttinger auf ihn aufmerksam und holte das verbriefte Talent ab der Saison 2019/20 fix ins Ensemble des Theaters in der Josefstadt.
Mich interessiert der Energieaustausch mit dem Publikum. Das ist beinahe wie eine aufregende Meditation.
Jakob Elsenwenger, Schauspieler
Gelangweilte Urlauberschar
Es gibt Schauspieler, die lassen einen auch in imposanten Rollen seltsam unberührt. Und es gibt andere, denen es gelingt, weniger umfangreiche Partien so nuanciert auszugestalten, dass man sie sofort im Hippocampus abspeichert. Jakob Elsenwenger zählt zu jenen, die Emotionalität nicht vortäuschen müssen und die man sich deshalb merkt.
Seinen Durchbruch an der Josefstadt hatte er freilich in einer Hauptrolle – als Marko in der Culture-Clash-Komödie „Die Migrantigen“. Aber auch als weniger textlastiger Billing in David Böschs Ibsen-Inszenierung „Ein Volksfeind“, als Josef Rosner in der Schnitzler-Dramatisierung „Der Weg ins Freie“ oder als junger Mann in Bertold Brechts Valentiade „Die Kleinbürgerhochzeit“ holte er das darstellerische Maximum heraus.
Aktuell ist er in Gorkijs „Sommergäste“ als Nikolaj Petrowitsch Samyslow, Assistent des Rechtsanwalts Bassow, zu erleben. Der Autor schickt eine Gruppe durchaus intelligenter Menschen 1904, am Vorabend der Russischen Revolution von 1905, auf Sommerfrische und lässt sie dort wortreich, aber aktionsunfähig, am Leben und seinen gesellschaftlichen Verflechtungen scheitern.
„Elmar Goerden ist als Regisseur ein Geschenk, weil er gemeinsam mit uns eine Idee entwickeln wollte. Wir behalten den Kern des Stücks bei, aber die Figuren sind anders angelegt als im Original. Der von mir gespielte Samyslow ist ein lebensfreudiger Schmetterling, der vor den anderen aber etwas verbirgt. Eigentlich ist er der Eheassistent von Suslow, mit dessen Frau Julija ihn ein spezielles Verhältnis verbindet, das über eine Freundschaft hinausgeht. Was genau das ist, bleibt allerdings skizzenhaft, dadurch aber auch lebendiger und interessanter. Die ganze Arbeit lief sehr frei ab, man konnte sich aufgrund der Mitsprachemöglichkeit sofort mit seiner Figur identifizieren. Das macht das Bühnengeschehen sehr natürlich. Die Charaktere sind nicht vorgeformt, sondern man kann sie jeden Abend wieder auf eine Reise schicken.“ Elmar Goerden biete eine Momentaufnahme des Lebens dieser eloquent um den heißen Brei redenden Sommergäste, so Jakob Elsenwenger, und betone so die zeitlose Relevanz des Stücks.
Ihn als Darsteller interessiere vor allem eines: „Der Energieaustausch mit dem Publikum. Ich habe auch großen Spaß beim Drehen, aber mein Herz schlägt höher auf der Bühne. Das ist beinahe wie eine aufregende Meditation.“
Über die Beurteilung durch andere mache er sich kaum Gedanken. „Ich lese Kritiken selten und verstehe den Beruf als Handwerk. Mir geht es darum, eine Geschichte so zu transportieren, dass sie beim Publikum ankommt und etwas in den Menschen auslöst.“ Dazu seien weder ein ausgeprägtes Ego noch ein exaltierter Selbstdarstellungstrieb vonnöten – „zumindest nicht für mich“. Seine einzige Angst: „Dass die Zuschauer eines Tages ausbleiben, weil sie sich aufgrund der Social-Media-bedingten immer kürzer werdenden Aufmerksamkeitsspanne nicht mehr auf ein Stück einlassen können.“ Corona sei dafür eine Blaupause gewesen: „Ein Gefühl, als hätte man mir die Existenzberechtigung genommen.“
Zur Person: Jakob Elsenwenger
Nach dem Studium am Schauspielhaus Salzburg, wo er u. a. in „Tschick“ zu sehen war, wechselte er ans Globe Wien, spielte mehrere Jahre lang erfolgreich im Theater der Jugend und wurde 2017 für den NESTROY nominiert. Seit 2019/20 ist er fixes Ensemblemitglied am Theater in der Josefstadt, wo er aktuell u. a. in „Ein Volksfeind“, „Leopoldstadt“ und „Sommergäste“ zu sehen ist.
Die Ruhe vor den Beats
Jakob Elsenwenger ist angenehm geerdet. „Ich denke, dass ich einen stabilen sozialen Kompass habe, auf den ich mich verlassen kann“, beantwortet er die Frage, ob er politisch sozialisiert sei. „Einer Partei fühle ich mich nicht zugehörig, aber natürlich sind wir mit großen Zukunftskrisen konfrontiert. Vor unserer Tür herrscht Krieg, die Flüchtlingsthematik ist drängend, der Klimawandel schreitet voran. Via Internet werden Fehlinformationen verbreitet, die für junge Menschen ungesund sind.“
Wie und wo kann er abschalten? „Beim Camping“, so die euphorische Replik. Das Schöne für ihn sei der Einklang mit der Natur. „Ich kann in den Tag hineinleben, die Seele baumeln lassen und tun, was ich gerade will.“ Zum Glück gäbe es lauschige kleine Campingplätze.
Eine weitere Leidenschaft gehört dem Mundart-Rap. Zwei seiner Tracks findet man bereits auf YouTube, voraussichtlich heuer im Sommer soll noch viel mehr folgen. Und er schreibt. „Da sage ich aber noch nichts darüber“, so Jakob Elsenwenger. Nur so viel: „Es ist etwas in der Entstehung.“