Köstlinger, Cervik, Krisch spielen Ritter, Dene, Voss
Ménage-à-trois in Döbling. Für Ritter, Dene, Voss gibt es kein Entkommen aus dem geschwisterlichen Höllenidyll. Thomas Bernhards meisterhaftes Stück hängt in der ewigen Erkenntnisschleife. Und bietet hohen Unterhaltungswert.
Verwandtschaft bedeutet den Tod.“ Sagt Voss an einer Stelle des Stücks und legt damit die Quintessenz der diffizilen geschwisterlichen Dreiecksbeziehung offen. Wie ein Kreisel drehen sich Gegenwart und Vergangenheit im Döblinger Herrschaftsvillen-Speisezimmer der verblichenen Industriellenfamilie Worringer, ohne Aussicht auf Veränderung.
Wortreich treten die Protagonisten – Ritter, Dene und der als Einziger mit einem Vornamen versehene Ludwig/Voss – auf der Stelle, selbst in die Ferne gerückte Illusionen verschaffen kaum noch Linderung. Rom bleibt ein zunehmend leidenschaftslos imaginierter Wunsch von Ritter, ähnlich Tschechows sich nach Moskau träumenden „Drei Schwestern“. Ritter und Dene, Schauspielerinnen und mit 51 Prozent am Josefstädter Theater beteiligt, erwarten des Bruders Wiederkehr aus der psychiatrischen Anstalt Steinhof, wo er die vergangenen Jahre verbrachte. Dene kocht, Ritter raucht, und über allem wachen die Porträts der Ahnen. Der Mutter, des Vaters, der Onkel. „Alles widerliche Menschen, von welchen wir alles haben“, konstatiert Ludwig.
In Thomas Bernhards 1986 bei den Salzburger Festspielen uraufgeführtem Schauspielerfest – Regie Claus Peymann – geht es um die Liebe. Liebt Ludwig Dene mehr als Ritter? Oder umgekehrt? Wer wurde von der Mutter favorisiert, wer vom Vater bevorzugt? Man bezichtigt sich gegenseitig der Vorteilsnahme in Fragen der Zuneigung. Warum die Liebe gewährt oder verweigert wurde, bleibt indes meist diffus. „Der Schwanz des Bruders, der dich beinahe wahnsinnig macht, nicht wahr?“, stellt Ritter ihrer Schwester eine eher rhetorische Frage und macht damit klar, dass diese Liebe auch eine sexuelle Komponente hat.
Angelika Hager über den eigenartigen Effekt von Instagram
Vergesst den Glamour, alles nur Fassade! Mit ungeschminktem Exhibitionismus inszenieren sich Bewohner des Olymps betont bodenständig. Weiterlesen...
Ins Inzestuöse deutet auch Ludwigs Aussage, er habe im Alter von 18 Jahren mit der Mutter geschlafen. Neben dem körperlichen Missbrauch blühen innerhalb der Familie Worringer die seelischen Übergriffe. Das tendenzielle Kleinmachen der Kinder, die wie an Gummibändern herangezogen und wieder weggekickt werden, hat ruinöse wieder weggekickt werden, hat ruinöse Methode und steht wohl für die Erziehungserfahrungen ganzer Generationen. Bei Thomas Bernhard werden sie beinahe beiläufig verhandelt und entfalten erst langsam ihre heimtückischen Druckwellen. Das brillant komponierte Drama ist – wie oft bei Bernhard – im Subtext humorvoll. Es lief jahrelang erfolgreich am Akademietheater, später in der Originalbesetzung auch am Berliner Ensemble. Nun kehrt es im Theater in der Josefstadt mit Maria Köstlinger, Sandra Cervik und Johannes Krisch in den Titelrollen heim nach Wien.
Einfluss der Ahnen
Warum will man in diese Fußstapfen treten? Regisseur Peter Wittenberg hat die Frage zweifellos kommen sehen. „Interessant, dass Sie dieses Wort verwenden, denn genau darum geht es im Stück, um die Fußstapfen. Es handelt meiner Meinung nach von der Ahnenfolge. Je älter man wird, desto größer ist der Weitwinkelblick auf die Generationen.
Wenn man jung ist, denkt man, jetzt komme ich, die Welt verändert sich, alles wird besser. Erst später spürt man, aus welcher Welt die Eltern gekommen sind und wie man bestimmte Mechanismen, sowohl genetisch als auch von den äußeren Verhaltensweisen, weitergibt. Traumata werden tradiert und beeinflussen die Chance von Kindern, und in weiterer Folge auch von Erwachsenen, sich frei zu Weshalb wollen es Maria Köstlinger, entwickeln. In „Ritter, Dene, Voss“ hat die freie Entfaltung jedenfalls keine Chance, die Vorbelastungen sind so groß, dass sie alles Leben verhindern.“
Peter Wittenberg ist der Ansicht, man könne Stücke überhaupt nur dann inszenieren, wenn man auf einen Punkt komme, der das eigene Leben berühre. „Und das ist in diesem Fall die Konditionierung. Wie groß sind die Gestaltungsmöglichkeiten im Zeitfenster Leben überhaupt? Ich selbst hatte diesbezüglich zum Glück gute Voraussetzungen, weiß aber aus einer Phase meines Lebens auch, wie es ist, wenn die Optionstürchen nicht aufgehen. In unser aller Leben spielt Konditionierung eine sehr große Rolle, davon bin ich überzeugt. Und im Stück schafft es keiner der drei, die Ahnen, die als Porträts in der Wohnung hängen, loszuwerden.“
Wird er es denn schaffen, den Ahngeist Claus Peymann, der sehr wahrscheinlich in der Premiere sitzen wird, abzuschütteln? „Ich freue mich auf ihn, ich war im Burgtheater sein Assistent und hatte immer ein sehr angstfreies Verhältnis zu ihm. Ich schätze seine Hartnäckigkeit als Regisseur, dass er an Themen dranbleibt und sich nicht aus Harmoniesucht mit etwas zufriedengibt. Heute haben wir einen emanzipierten Umgang miteinander, manchmal telefonieren wir, um beispielsweise Besetzungen zu besprechen. Ich denke, es ist auch in seinem Sinne, dass wir „Ritter, Dene, Voss“ zeigen, denn wir agieren ja nicht in einem Theatermuseum. Das Stück gehört in Wien einfach gespielt!“ Die aktuellen Schauspieler*innen hätten übrigens dasselbe Problem wie ihre Figuren. „Die Ahnen, die große Vorgeschichte, die Fußstapfen. Das ist eine Dopplung im Stück, die mir sehr gefällt.“
Bernhards Vermächtnis
Thomas Bernhard nannte sein Stück „Ritter, Dene, Voss“, weil er zu verhindern trachtete, dass man es mit anderen Schauspielern besetzen könnte. Weshalb wollen es Maria Köstlinger, Sandra Cervik und Johannes Krisch dennoch spielen? „Weil einer in der Runde fehlt“, nimmt Johannes Krisch auf den Umstand Bezug, dass nur noch Kirsten Dene und Ilse Ritter am Leben sind. „Nein, ich denke, es ist an der Zeit, dass man dieses Stück wieder einmal in Wien spielt. Natürlich ist es so, dass man nur seinen eigenen Weg gehen kann. Man darf nicht versuchen, in die Fußstapfen dieser großen Schauspieler zu treten, sondern muss neben ihrer Spur eine eigene ziehen. Das werden wir versuchen, und ich möchte da auch gar nicht verglichen werden.“ – Was wohl ein frommer Wunsch bleiben dürfte. „Das Stück ist ein Geschenk, und es ist schade, dass es so selten gespielt wird“, konstatiert Maria Köstlinger, die damit ihr Bernhard-Debüt geben wird.
Mit Wien als Aufführungsort käme eventuell noch ein spezieller Faktor hinzu. Und Sandra Cervik mutmaßt: „Vielleicht hat es Bernhard damit ja gar nicht so ernst gemeint. Ich kann mir jedenfalls nicht vorstellen, dass er ein Stück für drei Schauspieler schreiben wollte, um es danach in den Müll zu werfen.“ Wahrscheinlich hat sie recht, andernfalls hätte der Autor wohl ein Aufführungsverbot verhängt. „Es ist auch eine Ehre, das spielen zu dürfen“, so Johannes Krisch. „Ich kannte Gert Voss und Kirsten Dene sehr gut, das waren großartige Kollegen, und es reißt einem ein bisschen auch das Herz auf.“ Sandra Cervik erkennt großen Witz in der Tatsache, dass es im Theater in der Josefstadt auf dem Spielplan steht. „Das hat eine gewisse Selbstironie“ – denkt man an Bernhards Tiraden gegen das bürgerliche Theater.
Charakterliche Winkelzüge
Johannes Krisch über Ludwig, den Thomas Bernhard dem Philosophen Ludwig Wittgenstein und dessen Neffen Paul – dem der Autor die Erzählung „Wittgensteins Neffe“ widmete und mit dem er befreundet war – nachempfunden hat: „Er ist natürlich ein schwer traumatisierter Mensch, der die Erschütterungen seiner Ahnen mitgenommen hat. Und diese abzuarbeiten geht sich wahrscheinlich in einem Leben nicht aus. Durch seine Erlebnisse und die Familienkonstellation ist er gefangen in sich selbst und hat sich völlig zurückgezogen. Und wenn er auf seine Schwestern trifft, kommen all diese Familientrigger wieder zum Vorschein. Deswegen ist diese Konstellation letztlich auch zum Scheitern verurteilt.“
Sandra Cervik über Dene, jene Schwester, die Ludwig aus dem Steinhof holt, nächtelang seine philosophischen Ergüsse abtippt und als Älteste versucht, das fragile Gefüge zusammenzuhalten: „Ich würde sagen, sie hat eine große unglückliche Liebesgeschichte mit ihrem Bruder, den sie heiß und innig liebt, und diese Liebe wird, glaube ich, nur bedingt erwidert. Sie ist sicher auch diejenige, die am stärksten versucht, zu kalmieren, zuzudecken, nicht aufbrechen zu lassen.“
Maria Köstlinger über Ritter, die Jüngste, die halbgar von Rom träumt, ansonsten aber am wenigsten Ambitionen zeigt: „Sie ist ein sehr explizites Wesen, das schon so viele Jahre mit der Schwester in diesem Haus lebt und sich nicht lösen kann. Sie ist unfähig, den Weg, den sie sich eigentlich erhofft, zu gehen. Natürlich hat auch sie eine spezielle Beziehung zu Ludwig. Alle drei sind völlig abhängig voneinander.“ Weshalb der Erkenntnisgewinn am Ende des Stücks, das seinen Darsteller*innen mit Klugheit, Tiefgang, Witz und ungeheuer anspruchsvollen Textkaskaden viele Möglichkeiten bietet zu glänzen, überschaubar bleibt.
Theaterhass als Karrieremotor
„Und weil es unser Bruder gehasst hat, sind wir zum Theater gegangen, das war ein entscheidender Grund. Und weil unsere Eltern das Theater gehasst haben, der Theaterhass war der größte in der Familie“, sagt Ritter im Stück. Warum sind Sie zum Theater gegangen? Regisseur Peter Wittenberg muss nicht lange nachdenken: „Aus Liebeskummer. Ich habe als Möbelrestaurator in Italien gearbeitet, war unglücklich verliebt und habe ein Theaterstück geschrieben, das ich gemeinsam mit den Leuten aus dem Dorf aufgeführt habe. Mit dem Klempner, dem Schmied, der Bäckerin. Dabei habe ich gemerkt, dass ich eine ganz andere Leidenschaft entwickeln konnte als mit den Möbeln.
Es gibt eine Parallele zwischen den beiden Berufen – und zwar, sich das Material anzuschauen und zu f ragen, was braucht es, um zum Leben erweckt zu werden. Welche Patina ist drauf, und wie bringe ich das wieder in eine Gegenständlichkeit, die heute Sinn ergibt.“ Für Maria Köstlinger gab es keinen anderen Weg. „Ich komme aus einer Familie, in der ich schon als Kind Theaterluft geatmet habe, das war bei mir natürlich sehr prägend.
Als ich älter wurde, war das für mich die einzige Möglichkeit – ich wollte und musste spielen.“ Ins gleiche Horn stößt Johannes Krisch – schon ein wenig im Ludwig-Modus. „Ich habe bereits als Dreijähriger gespielt. Das hat bis heute nicht aufgehört, und das ist gut so ...“ Bei Sandra Cervik wäre eigentlich ein ganz anderer Weg vorgezeichnet gewesen. „Ich komme aus einem theaterfremden Haushalt, meine Mutter war Geschäftsfrau. Ich kann nicht konkret sagen, warum, aber ich wollte es unbedingt.“ So gab es also für alle vier, und da schließt sich der Kreis, keinen Ausweg.