Piotr Beczala schätzt Qualität. Dafür ist er bereit, auch seine eigenen Grenzen auszuloten, sich zum Beispiel auf gewagte Inszenierungen einzulassen, auch wenn ihm konventionellere Zugänge persönlich vielleicht näher lägen. Qualität entstehe auch aus der Reibung mit anderen starken Persönlichkeiten, jedoch nie aus dem Mittelmaß oder gar der Unterwürfigkeit, meint er. Mit dieser lebensklugen Einstellung, und natürlich ausgestattet mit großem Talent, Fleiß und Durchsetzungskraft, hat es der gebürtige Pole, der heute auch Wohnsitze in Wien, New York und der Schweiz sein Eigen nennen darf, zum Weltstar geschafft. Und mit Humor, die als Energieträger zum Publikum fungiert, was man bei seinem heurigen Konzert in der Wiener Staatsoper, bei dem er neben den erwarteten Gassenhauer-Arien vor allem seine polnischen Lieblingslieder intonierte, eindrucksvoll erleben konnte. Divenhaftes Verhalten akzeptiert er weder bei sich selbst noch bei anderen.

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Der eigene „Fremdklang“

Von ihm stammt der schöne Satz: „Es ist die größte Tragödie der Sänger, dass sie nie in den Genuss der eigenen ­Stimme kommen.“ Damit ist gemeint, dass er seine Stimme im Augenblick des Singens nicht hören kann. Anders als Musiker, denen ihre Instrumente als Klangkörper dienen.

Seinem Gesang lauschen kann er nur in konserviertem Zustand. Und auch das bereitet ihm nur selten Freude. Er höre eigene Aufnahmen, weil er müsse und man das von ihm erwarte. „Aber ich empfinde meine Stimme als einen Fremdklang. Wenn ich einen Mitschnitt einer meiner Aufführungen höre, dann denke ich mir nur, was ich anders hätte machen können. Nicht besser, sondern anders. Weil es ist ja bereits ver­sendet, da kann man gar nichts mehr ­machen. Man muss deshalb das Handwerk so gut beherrschen, dass man überhaupt nicht nachdenken muss, ob der Klang sauber ist oder gesund oder schwingend oder ob die Farbe passt.“ Dieses Dilemma haben übrigens viele Sänger*innen, bei manchen geht es sogar so weit, dass sie ihre eigene Stimme nicht leiden mögen. Für das sie vergötternde Publikum ist das oft kaum nachvollziehbar.

Ägypten an der Salzach

Von 12. bis 30. August singt Piotr Beczala in Giuseppe Verdis Oper „Aida“ die Rolle des Radamès. Regie dieser Neueinstudierung bei den Salzburger Festspielen führt die international renommierte Künstlerin Shirin Neshat. Als in die äthiopische Sklavin Aida, die sich später als Prinzessin entpuppt, verliebter ägyptischer Heerführer, der sich eigentlich mit der Königstochter Amneris vermählen soll, ist auch Piotr Beczalas schauspielerisches Können, ohne das heute kein Sänger mehr international bestehen könnte, gefragt. Am Ende siegt zwar bekanntlich die Liebe, bringt aber Radamès und Aida, dargestellt von Elena Stikhina, auch den Tod.

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Wer keine Möglichkeit hat, Piotr Beczala in Salzburg zu sehen und zu hören, hat schon in nächster Zeit zwei weitere Gelegenheiten dazu. Denn am 25. August gastiert der auch als Konzertsänger weltweit gefeierte Künstler unter dem Titel „Götterklang trifft Donaugold“ gemeinsam mit Andreas Schager und Lidia Baich auf der Donaubühne Tulln. Und im September an der Wiener Staatsoper als Don José in Calixto Bieitos „Carmen“-Inszenierung. In der Titelrolle: Elīna Garanča. Vielleicht kommt die lettische Ausnahmesopranistin dabei nicht nur künstlerisch, sondern auch lukullisch auf ihre Kosten. Denn Piotr Beczala ist ein ausgezeichneter Konditor, der Kolleg*innen gerne mit selbstgebackenen Mehlspeisen verwöhnt. Seine Spezialität? „Mohnstrudel!“

Zur Person: Piotr Beczala

Geboren in Südpolen, studierte er Gesang an der Musikakademie in Katowice und machte nach seinem Abschluss schnell Karriere. Heute singt er an allen bedeutenden Opernhäusern der Welt, sein Repertoire umfasst nahezu das gesamte Fach des lyrischen Tenors. An der Wiener Staatsoper gab er 1996 sein Debüt und war seitdem im Haus am Ring an beinahe 100 Abenden präsent. Daneben ist Piotr Beczala auch als Lied- und Konzertsänger international gefragt und auf Dutzenden CDs und DVDs vertreten. 2014 wurde er als Sänger des Jahres mit dem „Echo“ ausgezeichnet, seit 2019 darf er sich „Kammersänger“ nennen.