Maria Köstlinger über böse Ehrlichkeit und herzliche Lügen
Begierde, Lust, Skrupellosigkeit, Leidenschaft. All das wird Maria Köstlinger als „Parisian Woman“ auf die Bühne der Kammerspiele der Josefstadt bringen. Wieviel davon ist sie selbst? Und was die Rolle?
Wie weit geht jemand für die Karriere? Was von dem, was jemand sagt, ist ehrlich gemeint, was nur Kalkül? Wenn Beau Willimons „The Parisian Woman“ zur deutschsprachigen Erstaufführung in den Kammerspielen der Josefstadt kommt, ist das nichts für schwache Nerven. Schließlich steht mit dem Autor von „House of Cards“, der Netflix-Politthriller-Serie um Machenschaften im Weißen Haus, und von „The Ides of March – Tage des Verrats“ mit George Clooney ein Garant für Hochspannung hinter dem Stück. Und so verwundert es nicht, dass seine Hauptfigur auch diesmal Raffinesse und Skrupellosigkeit einsetzt, um an ihre Ziele zu kommen. Maria Köstlinger verkörpert diese Chloe, die ein Spiel mit Begierde, Lust und Leidenschaft initiiert, um zu kriegen, was sie will.
Eintauchen, um zu verstehen
„Das Stück ist so gebaut, dass man dauernd überrascht wird von den Wendungen, mit denen man überhaupt nicht gerechnet hat“, sagt Köstlinger. „Man fragt sich die ganze Zeit, was nun Wahrheit und was Lüge ist.“ Und am Ende könne es „durchaus sein, dass man sich denkt: Das hätte ich mir komplett anders vorgestellt.“ Sie gesteht, dass sie beim ersten Lesen genauso getüftelt habe, wie das Publikum das sicher tun werde: Was wusste wer zu welchem Zeitpunkt? Kannten die Personen einander früher als gedacht? Welcher Gedanke steckte hinter welchem Kommentar? „Das Stück liest sich ganz flockig, aber man muss hineintauchen, um alles zu verstehen.“
Spannung in den Kammerspielen
Dabei geht es Chloe gar nicht um ihre eigene Karriere. Chloes Mann, gespielt von Herbert Föttinger … – aber halt! Vielleicht sollten wir nicht einmal das verraten, denkt man doch in der ersten Szene beim vertrauten Gespräch zwischen Peter (Joseph Lorenz) und Chloe für einen Moment, die beiden seien verheiratet. Nun gut, ein klitzekleiner Spoiler sei erlaubt, keine Sorge, die Vorstellung wird die Zuschauer oft genug atemlos machen mit ihren rasanten Wendungen.
Chloes Mann Tom also hat Aussicht auf einen Richterposten am US-Bundesberufungsgericht, Chloe setzt all ihren Charme ein, um einflussreiche Freunde dazu zu bewegen, ihn in dieses Amt zu hieven. Dabei ist sie auf den ersten Blick keinesfalls berechnend und kaltherzig: „Sie ist ein Mensch, mit dem man sich gern umgibt, eine charmante, intelligente Person, die Vergnügen daran hat, mit anderen zu spielen“, sagt Köstlinger. „Bis sie schließlich einen wirklich harten Schritt tun muss, der weiter geht als alles Bisherige – und der ihr selbst das Herz zerreißt.“
Maria Köstlinger sieht kaum Gemeinsamkeiten
Köstlinger sieht Chloe „als Spinnenfrau. Wenn sie die Menschen eingesponnen hat, sticht sie mit ihrem Stachel zu.“ Was Wunder, dass die charismatische Schauspielerin, die seit 1996 an der Josefstadt engagiert ist und dort zahlreiche wichtige Rollen spielte und spielt, diesmal kaum etwas von sich selbst in der Figur sieht: „Man versucht bei einer solchen Rolle, die wenigen Punkte zu finden, die noch etwas Warmes in sich tragen.“
Einzig wenn Chloe der jungen Rebecca rät, die Jugend noch zu genießen, „ist dies einer der wenigen Momente, in denen ich mich auch selbst wiedererkenne“, sagt Maria Köstlinger. Und obwohl das Interview am Telefon stattfinden muss, sieht man förmlich ihr gewinnendes, breites Lächeln vor sich, das man von ihren zahlreichen Rollen am Theater ebenso kennt wie von ihrer Waltraud in den „Vorstadtweibern“.
Kaltschnäuzig, aber mit offensiver Ausstrahlung
Jedenfalls sei Chloe „wahnsinnig schnell im Kopf, das bedarf steter Wachsamkeit und großer Präsenz von meiner Seite“, beschreibt Maria Köstlinger die hohen Anforderungen, an denen sie derzeit mit Regisseur Michael Gampe arbeitet. „Sie spinnt die Fäden hinterlistig und ist in der Lage, Menschen kaltschnäuzig abzuservieren.“ Auch wenn es Chloe vordergründig darum gehe, ihren Mann in ein Amt zu heben, und gar nicht darum, sich selbst in den Vordergrund zu spielen, „muss sie trotzdem eine offensive Ausstrahlung haben. Das ist schwierig zu spielen, man kann sich nur darauf verlassen, dass man etwas davon mitbringt. Außerdem spielen ja oft die anderen den König“, so Köstlinger, sichtlich schmunzelnd.
Böse Ehrlichkeit
Was Chloe das ganze Stück über begleitet, ist ihre Gabe, aus anderen etwas herauszulocken, was die gar nicht preisgeben oder sagen wollten. Köstlingers Talent, ihrer Stimme einen besonders süffisanten Ton zu verleihen, wie man ihn beispielsweise auch in Schnitzlers „Zwischenspiel“ zu hören bekam, wird ihr dabei bestimmt zugutekommen.
Dennoch sei es hier anders, so Köstlinger: „Sicher braucht die Figur einen gewissen Sarkasmus, aber in der Ehrlichkeit ist sie oft noch viel böser. Die Bosheit zeigt sich nicht in dem Moment, in dem sie etwas sagt, sondern dann, wenn der Zuschauer merkt, dass sie es überhaupt nicht so gemeint hat. Die schlimmste Lüge ist, als Chloe sich schlussendlich etwas aus dem Herzen reißt, nur um etwas zu erreichen.“
Politik fasziniert mich. Das Artistische daran. Das Tänzerische. Der einzige Unterschied zwischen mir und den meisten Leuten hier ist vermutlich – dass ich nicht in der Mitte der Tanzfläche stehen muss."
Chloe in „The Parisian Woman"
Willimons Spiel rund um Korruption und Macht beinhaltet – wie könnte es bei dem Autor anders sein – zahlreiche Seitenhiebe in Richtung US-Politik, namentlich auf Donald Trump, ist jedoch für viele gültig, welche politische Strategiespiele betreiben. Chloe ist dabei nur scheinbar unpolitisch, in Wahrheit verfolgt sie ein höheres Ziel, das sie allein nicht erreichen kann. „Mein Lieblingssatz im Stück ist: ‚Politik fasziniert mich. Das Artistische daran. Das Tänzerische. Der einzige Unterschied zwischen mir und den meisten Leuten hier ist vermutlich – dass ich nicht in der Mitte der Tanzfläche stehen muss‘“, sagt Köstlinger. Diesen Tanz treibt Chloe jedenfalls auf die Spitze – aber stopp … wir wollen ja nicht spoilern.
Zur Person: Maria Köstlinger
Seit 1996 an der Josefstadt engagiert, verkörperte sie dort zahlreiche Hauptrollen von Nora über Fräulein Else und Una in „Blackbird“ bis zu Madame Bovary. Derzeit ist sie in „Zwischenspiel“ und „Gemeinsam ist Alzheimer schöner“ zu sehen. Im TV spielte sie zuletzt in „Vorstadtweiber“.
Zur Person: Beau Willimon
Den US-amerikanischen Drehbuchautor und Film- und Fernsehproduzenten kennt man durch seine Netflix-Politthriller-Serie „House of Cards“ rund um Machenschaften im Weißen Haus. Für den Film „The Ides of March – Tage des Verrats“ mit George Clooney adaptierte Willimon sein Theaterstück „Farragut North“, was ihm eine Oscar-Nominierung einbrachte.
Karten und Termine
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