Kaum zu glauben, aber leider wahr. Der großgewachsene blonde Mann, den wir alle aus dem Fernsehen kennen und der von Theaterbesuchern dies- und jenseits von München, wo er seit Jahrzehnten bevorzugt auf der Bühne steht, bewundert wird, kann sich durchaus vor Engagements retten.

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Es sei, so Michael von Au gleich zu Beginn des Gesprächs bemerkenswert ehrlich, seit Corona gar nicht leicht für ihn, adäquate Beschäftigung zu finden. Des einen Leid, der anderen Glücksfall, denn so hatte er Zeit, das Angebot der Josefstadt anzunehmen und nach einer kurzfristigen Absenz zwei Hauptrollen zu übernehmen. „Die Alternative wäre gewesen, einen Monat lang in München mit meinem Hund spazieren zu gehen“, hat der Vollblutschauspieler seinen Humor zum Glück nicht verloren.

„Außerdem schließt sich so der Kreis mit Regisseur Dieter Dorn, der mich 1988 an die Münchner Kammerspiele engagiert hat und mit dem ich später ans Residenztheater gewechselt bin. Wir haben 23 Jahre gemeinsame Vergangenheit. Wenn Dieter anfragt, sagt man nicht nein.“ Im aktuellen Fall geht es um zwei Titel, die an einem Abend zur Aufführung gelangen: „Glückliche Tage“ von Samuel Beckett und „Herzliches Beileid“ von Georges Feydeau.

Michael von Au
Michael von Au schnappte sich kurzerhand einen tierischen Polster vom Bühnenbett und stellte den darauf abgedruckten Hund täuschend echt nach.

Foto: David Payr

Präsent sein, ohne aktiv zu werden

In Becketts absurdem Stück spielt er Willie, Ehemann der in einem Erdhügel feststeckenden Winnie. Er ist beinahe wortlos, sie, dargestellt von Annika Pages, dafür in ihrem Bewegungsradius völlig eingeschränkt und in erster Linie am Inhalt ihrer Handtasche – Kosmetika und Psychopharmaka – interessiert.

Michael von Au befindet sich die meiste Zeit hinter dem Hügel. Präsent sein zu müssen, ohne aktiv werden zu können, ist angeblich die schwierigste Kunst. „Ich habe einmal im Stück ‚New York. New York.‘ von Marlene Streeruwitz einen gehörlosen Stricher gespielt, der nichts gesprochen hat, sondern lediglich am Ende ein Gedicht stammeln musste. Das ist genauso viel Arbeit, als hätte man Text. Bei ‚Glückliche Tage‘ kommt dazu, dass ich hinter dem Hügel kaum zu sehen bin. Da muss ich aufpassen, dass ich nicht einschlafe.“

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Dieter Dorn sei ein genauer Leser der Stücke, die er inszeniert. „Pause. Zeitung wird sichtbar. Ein Satz. Zeitung umblättern. Nächster Satz. Lange Pause … Das muss man in seinem Sinne auch so bedienen. Dadurch entsteht zwischen den beiden Figuren ein Dialog. Nonverbal und verbal.“

Zur Person: Michael von Au

Nach dem Schau­spiel­studium spielte er in der Komödie am Kurfürstendamm, ehe ihn Dieter Dorn 1988 an die Münchner Kammerspiele und 2001 ans Residenz­theater engagierte. Er prägte zahlreiche Film- und TV-Rollen, debütierte 2006 als Gast an der Josefstadt und führte 2022 in der Komödie im Bayerischen Hof bei der Satire „Extrawurst“ zum ersten Mal Regie.

In der Beziehungshölle

Für „Herzliches Beileid“ musste er dafür in kürzester Zeit 40 Seiten Text lernen. „Und ich bin keiner, dem das leichtfällt.“ Hierbei geht es um das erst seit zwei Jahren verheiratete Ehepaar Lucien und Yvonne – er Buchhalter und Möchtegernmaler, sie Hausfrau und frustriert vom ehelichen Dasein. „Sie haben sich schon sehr weit auseinandergelebt. Man denkt immer, Georges Feydeau sei ein Komödienschreiber, aber ich glaube, das ist ein grundlegender Irrtum. Er schaut sehr genau auf seine Figuren, und im Endeffekt ist das, was er zeigt, die Hölle. Die beiden reden sich von einer Bosheit in die nächste, Deckungsgleichheit gibt es in ihrer Beziehung nicht. Wenn man das nur lustig anlegt, wird man dem Autor nicht gerecht.“ Michael von Au glaubt jedenfalls nicht, dass Lucien und Yvonne langfristig eine Chance haben könnten. „Nein, das hält nicht lange.“

Michael von Au
2006 gab Michael von Au als Boris Alexejewitsch Trigorin in Anton Tschechows Tragikomödie sein Debüt an der Josefstadt. Neben ihm brillierten heimische Bühnengrößen wie Andrea Eckert, Sona MacDonald und Michael Dangl – im Fokus der Inszenierung von Hans-Ulrich Becker stand aber auch die junge Schauspieler*innengeneration wie Gerti Drassl, die für die Rolle der Nina begeisterten Zuspruch erhielt

Foto: Wolfgang Palka

Warum gelingen Partnerschaften auch im realen Leben so selten? „Um noch einmal auf die Stücke zurückzukommen: In beiden sind die Protagonisten voneinander abhängig. Willie von Winnie, Lucien von Yvonne und natürlich auch umgekehrt. Ich glaube, dass in den Ehen, die heute langfristig funktionieren, die Partner abgestumpft sind. Man arrangiert sich, hat eine gemeinsame Wohnung, vielleicht ist ein Kind im Anmarsch, und dann sagt man sich: Soll ich das alles noch einmal umkrempeln?“

Kompromiss versus Romantik. Nicht nachahmenswert, aber umso ehrlicher.

Puck gab den Anlass

Michael von Au entstammt keiner Künstlerfamilie. Sein Interesse für Theater wurde entfacht, als er einen Freund in der Schulaula auf der Bühne sah. „Er spielte Puck im ‚Sommernachtstraum‘ und begeisterte die Leute damit. Damals dachte ich, Menschen zum Lachen und Weinen zu bringen, ihnen dabei zu helfen, ihren Sorgen zu entfliehen, das wär’s. Ab dem Zeitpunkt wusste ich, was ich wollte, und habe es auch durchgezogen.“ Parallel zur Arbeit mit Dieter Dorn, den er als „Übervater“ und „Chef“ bezeichnet, machte er Film- und Fernsehkarriere. Er wurde zum „familiar face“ im gesamten deutschsprachigen Raum. „Ich konnte mich aber nie anbiedern, habe Events und Premierenfeiern immer gemieden. Dafür habe ich kein Talent.“ Lieber hat er während der Pandemie nahezu täglich am Kiosk eines Freundes in München gearbeitet. „Da habe ich als Berliner den Bayern gezeigt, wie man eine gute Currywurst zubereitet“, erzählt er. Eines Tages sei eine Frau vorbeigekommen und habe ihn gefragt, ob er nicht früher Schauspieler gewesen sei. „Das war hart und traurig. Da musste ich kurz reingehen und weinen.“

Michael von Au
In der österreichischen Erstaufführung des musiktheatralischen Dramas von Jim Cartwright war Michael von Au 2015 als schmieriger Ray Say in den Kammerspielen ein Ereignis. „Als wirklicher Star des Abends empfiehlt sich Michael von Au“, schrieb ein Kritiker der „Wiener Zeitung“. An seiner Seite: Sona MacDonald als ehrgeizige Eislaufmutter.

Foto: Sepp Gallauer

Sentimental ist der Schauspieler trotzdem nicht. Er wünscht sich, dass es für ihn einfach weitergehen möge, vielleicht verstärkt auch mit Inszenierungen. Denn im letzten Jahr gab er mit „Extrawurst“ sein von Kritikern gelobtes und vom Publikum geschätztes Regiedebüt.

„Und Hertha BSC, mein Stammverein, könnte wieder einmal besser spielen“, so der frühere Mittelfeldspieler, dessen Idealfußballer der Spanier Andrés Iniesta ist. „Wenn man da reingeboren wird, ist man Fan und kann es nicht ändern. Aber ich leide wirklich.“ Aktuell (17. April) liegt Hertha BSC nämlich auf dem 18., letzten Platz in der Deutschen Bundesliga.