Florian Boesch und das Lied als Trojaner in die Individualität
„Winterreise“, Lieder mit Franui, Händels „Saul“, der Graf in Mozarts „Figaro“: Florian Boesch ist Artist in Residence am Theater an der Wien und hat die Ära Roland Geyers mitgeprägt.
„Das Cello war nicht das Medium, um mich künstlerisch auszudrücken. Ich hab daher gedacht, dass ich eher in der bildenden Kunst zu Hause bin“, erzählt der Bariton Florian Boesch. Musik war für den Sohn des Kammersängers Christian Boesch und Enkel der Sopranistin Ruthilde Boesch immer präsent. Doch schwankte Florian Boesch in der Jugend zwischen Musik und Bildender Kunst, war im Gymnasium in der Bühnenspielgruppe, hat etwa in Goethes „Faust“ die Schulkollegen auch als Schauspieler beeindruckt. Cello spielte er bis zur Matura. Es folgten ein HTL-Kolleg und vier Jahre Produktdesign in der Klasse von Ron Arad an der Angewandten. Aber nach „vielen schönen und geschätzten Umwegen“ hat ihn die Musik doch noch eingeholt.
Erst mit 27 auf Musik-Uni gewechselt
Zum Spaß vergatterte ihn seine Großmutter zum Gesang. „Da sind dann die Kategorien zusammengekommen“, erzählt er und bemüht Nikolaus Harnoncourts Ausspruch vom „klingenden Wort“, das „in seiner unerreichten Mächtigkeit im Zugriff auf die menschliche Seele zu stark geworden ist. Ich bin dann spät, mit 27, auf die Musik-Uni gewechselt.“
Es folgte ein Kurzstudium, 2000 das Debüt im Musikverein: „Ich bin in erster Linie Konzert- und Liedsänger. Damit ernähre ich meine Kinder“, sagt Boesch, der inzwischen selbst an der Universität für Musik lehrt. Dies beweist er bei geplanten Auftritten im Theater an der Wien: mit Schuberts „Winterreise“, szenisch im Jänner, und „Himmelerde“, einem Liederabend als Maskenmusiktheater, begleitet von der Musicbanda Franui, im Februar.
Verfechter des klassischen Liederabends
Braucht der alte Liederabend Hilfe, neue Formen?
Nein. Ich bin ein totaler Verfechter und kämpfe für den klassischen Liederabend. Also Klavier und Mensch in dieser besonderen, reduzierten Intimität. Für mich ist es ein zentrales Format, das immer schon totgesagt wurde, aber immer noch da ist.
Wie sieht es bei den jungen Sängern aus?
Für die Gesangskunst ist der Liederabend doppelt wichtig, gerade für die Erziehung der Jungen. Im Studium, im Konzertsaal, in der Oper wird einem immer gesagt, wie man es machen soll. Beim Lied ist das aber nicht so – das ist quasi der Trojaner in die persönliche Interpretation. Das wird wichtiger. Individualität gegen Mainstream – denn wir sind einer immer stärkeren Anfechtung ausgesetzt, welche gesellschaftliche Relevanz Kunst besitzt. Und die Überprüfung von dem, was wir tun, findet am Rand statt.
Warum die „Winterreise“ – szenisch?
Es geht um den Versuch, dem näherzukommen, was die „Winterreise“ ist. Gemeinsam mit Regisseur Ingo Kerkhove, mit dem ich in Köln einen spannenden „Wozzeck“ gemacht habe. Die „Winterreise“ ist ein Stück über Traumabewältigung. 23 Lieder erzählen, dass das Trauma nicht bewältigt wird, man nicht ausbrechen kann. Nur der „Leiermann“, das 24. Lied, ist der Moment, in dem ein Ausweg gesehen wird.
Prozess der Herstellung statt Repertoireoper
Im Mai folgt die Wiederaufnahme von Händels Oratorium „Saul“, in der gefeierten Inszenierung von Claus Guth – Ihr Lieblingsregisseur?
Die Zusammenarbeit mit Claus Guth ist mir unglaublich wichtig. Das hängt damit zusammen, wie er Musiktheater versteht, was er will und wie wir gemeinsam die Dinge bis zur letzten Sekunde weiterentwickeln können. Die Ergebnisse sind nicht immer gleich gut, aber der Arbeitsprozess ist spannend – für mich ein integraler Bestandteil meiner Arbeit. Das ist der Grund, warum ich keine Repertoireoper mache, weil mich der Prozess der Herstellung am meisten interessiert.
„Saul“ thematisiert den Konflikt der Generationen. Arbeitsprozess und Ergebnis scheinen hier in idealer Deckung?
Claus Guth und ich sind an ähnlichen Plätzen in unserem Leben. Das Altern ist eine zentrale Möglichkeit gewesen, sich mit „Saul“ zu beschäftigen. Im „Saul“ sind das natürlich alttestamentarische Kategorien mit Mord und Totschlag, überhöht und sehr groß, in der Problematik aber real und allgemein.
Neue Ära an der Staatsoper
Sie machen nur wenige, überlegt ausgewählte szenische Produktionen. Das Theater an der Wien scheint dabei Ihr zentrales Opernhaus zu sein.
Es hat auch Lebens- und Familiengründe, dass ich nicht zu viel Oper im Ausland machen wollte, und das Theater an der Wien ist ein Riesenglück. Ich liebe das Haus, habe 2006 hier debütiert. Es ist eine Erfolgsgeschichte, ein Theater quasi von null weg so schnell zu so hoher Qualität und internationaler Anerkennung zu führen. Die Ära von Roland Geyer geht bald zu Ende. Ich gehe nicht davon aus, dass es für mich in der nächsten Intendanz so weitergeht.
Das heißt, man wird Sie endlich auch an der Staatsoper erleben können?
Ich bin mit Bogdan Roščić in sehr gutem Kontakt und werde auch etwas an der Staatsoper machen. Es wird viel bewegt werden. Ich freue mich über die Ernsthaftigkeit, mit der er versucht, das Haus in eine neue Ära zu führen. Es ist doch zu schade, dass die Staatsoper durch viele Jahre an der kulturellen Irrelevanz entlanggeschrammt ist.
Gibt es neue Opernrollen, die Sie besonders reizen würden?
Die einzige, von der ich immer gewusst habe, dass sie mir unter den Nägeln brennt, ist der Wozzeck. Sonst habe ich keine Rollenliste, hatte sie auch nie. Ich suche die Projekte, Konstellationen, Zusammenarbeiten mit Menschen, die mich interessieren.
Zur Person: Florian Boesch
Erst über Umwege kam Florian Boesch zum Gesang. Oper singt der 49-Jährige nur selten und ausgesucht. Bei den Salzburger Festspielen etwa in Harnoncourts „Figaro“. Im Theater an der Wien debütierte er 2006 in Langs „I Hate Mozart“, war auch in Händels „Orlando“, Purcells „The Fairy-Queen“ oder Schuberts „Lazarus“ zu erleben.
Aktuelle Infos aus dem Theater an der Wien
Termine nach dem Lockdown (vorläufige Planung, Änderungen vorbehalten)
Premiere Saul: Laut aktueller Planung wird die Vorstellung am 16. April 2021 stattfinden
Weiterlesen:
Rebecca Horner tanzt Mahler: Große Gefühle in der leeren Staatsoper