Zufall oder Vorbestimmung? Jene Frage, die am Theater schon so mannigfaltig abgehandelt wurde, ließe sich auch am Beispiel des Bestellungsprozesses von Christian Struppeck zum Musical-Intendanten der Vereinigten Bühnen Wien exemplarisch thematisieren. „Denn eigentlich bin ich mit meiner damaligen Idee zum Musical ‚Schikaneder‘ in Wien vorstellig geworden“, erinnert er sich. „Im Zuge dieser Gespräche habe ich erst erfahren, dass nach dem plötzlichen Abgang meiner Vorgängerin ein Intendant gesucht würde.“

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Andernfalls hätte dieser Umstand möglicherweise nie sein Bewusstsein erreicht. So aber bewarb er sich nach einigem Zögern – „man denkt ja meist, es wird ohnehin nichts“ – und ging nach einem aufwendigen Auswahlverfahren mit insgesamt sieben Terminen in Wien unter 33 Bewerber*innen als Auserwählter vom Platz. „Der Anruf war ein richtiger Schock“, so Christian Struppeck retrospektiv. Wobei es dann erst richtig losging. „Denn anstatt der üblichen zwei Jahre Vorbereitungszeit hatte ich drei Wochen. Ich musste buchstäblich ins kalte Wasser springen, was schwierig war, denn man braucht einen Zeitraum von mindestens einem Jahr, um einen so komplexen Betrieb überhaupt erfassen zu können.

Vieles war Learning by Doing, zum Glück mit einem großartigen Team, das mich unermüdlich mit Informationen gefüttert hat. Das Konzept, mit dem ich angetreten bin, nämlich große internationale Musicals nach Wien zu holen und eigene Produktionen zu entwickeln, ist aufgegangen und hat sich gut etabliert.“ Das Zehnjahresjubiläum, das ausgerechnet am 1. Mai und damit am Tag der Arbeit stattfand, hätte der Jubilar selbst vergessen, wäre die Belegschaft nicht mit Luftballons vor seiner Bürotür gestanden. „Wir haben immer so viel zu tun“, entschuldigt sich der Langzeit-Intendant, der auf 15 Großproduktionen sowie 26 Konzerte und Galas zurückblicken kann, schmunzelnd.

Highlights & Favoriten

Die deutschsprachige Erstaufführung von „Natürlich blond“ – nach dem filmischen Welterfolg mit Reese Witherspoon – war sein erstes eigenverantwortetes Musical in Wien. Welche waren in den vergangenen zehn Jahren seine präferierten Produktionen?

„Natürlich war ‚Schikaneder‘ etwas Besonderes, weil daran ein so hochkarätiges internationales Team gearbeitet hat. Stephen Schwartz, mit dem ich das Stück geschrieben habe, ist dreifacher Oscarpreisträger, Trevor Nunn, der es umgesetzt hat, ein Regie-Weltstar. Mit solchen Leuten zu arbeiten war sicher ein Meilenstein.“ Auch „Mary Poppins“ zählt zu seinen Favoriten. „Das lag mir sehr am Herzen. Es war nicht nur eine Kindheitserinnerung, sondern logistisch und lizenzmäßig eine wirkliche Herausforderung. Dass die Anstrengung belohnt wurde, war einfach schön.“

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Christian Struppeck
Motivator und Koordinator. Christian Struppeck auf der Galerie des Ronacher. „Die Zeit verging wie im Flug“, meint er über die ersten zehn Jahre seiner Intendanz.

Foto: David Payr

Fans würden wohl auch das Rainhard-Fendrich-Opus „I am from Austria“, das Christian Struppeck gemeinsam mit Titus Hoffmann verfasst hat, nennen, das es allein in der ersten Spielzeit auf 300.000 Besucher*innen brachte und auch in Japan ein Erfolg war. 2019 wurde „I am from Austria“ erstmals im österreichischen Fernsehen in ORF III ausgestrahlt und erreichte dort knapp 180.000 Zuseher*innen. 2020 sahen es dann auf ORF 2 durchschnittlich 509.000 Menschen – alles als Teil einer Musical-TV-Offensive, die den Intendanten besonders freut. Dazu zählt auch die Ausstrahlung der eigens konzipierten „We Are Musical“-Gala auf ORF III – via musicalvienna.at auch als DVD oder Blu-ray erhältlich – oder die Übertragung von „Mozart!“ sowie der Eröffnungsgala aus dem Raimund Theater.Außerdem strahlte ORF III auch Struppecks Musical-Talkreihe „#WeAreMusical – Talk Time“ regelmäßig aus.

„Das alles trägt natürlich dazu bei, das Genre Musical einer noch breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen“, freut sich Christian Struppeck.

Und weil man damit gar nicht früh genug beginnen könne, sei ihm das Kulturvermittlungsprogramm „VBW Junges Musical“ auch immer ein Anliegen gewesen. Dieses richtet sich in erster Linie an Jugendliche, denen man das Musical auf interaktive und partizipative Weise näherbringen will. Sie dürfen hinter die Kulissen blicken, werden zum Tanzen, Singen und Schauspielen animiert und so für das Genre – „das nicht umsonst die populärste Form des Musiktheaters darstellt“ – begeistert.

Verheißungsvoller Ausblick

Für den Herbst hofft Christian Struppeck, „dass alle unsere Produktionen stattfinden können und eine gewisse Normalisierung einkehrt“. Die VBW starten mit „Rebecca“ im Raimund Theater und „Der Glöckner von Notre Dame“ im Ronacher in die Saison.

„Mit der Eigenproduktion ‚Rebecca‘ waren wir extrem erfolgreich und freuen uns, dass sie nun wiederkommt. Ein aufwendiger Mystery-Thriller, ein Krimi, was für ein Musical eher ungewöhnlich ist, zugleich tiefgründig und romantisch“, schwärmt der Hausherr. „Und ‚Der Glöckner von Notre Dame‘ passt mit seiner opernhaften Partitur hervorragend zu Wien. Eine seiner Besonderheiten ist – neben der anspruchsvollen Geschichte – der riesige Chor.“

Anstatt der üblichen zwei Jahre Vorbereitungszeit hatte ich drei Wochen.

Christian Struppeck, Musical-Intendant der Vereinigten Bühnen Wien

Bei der Uraufführung dieses Musicals nach dem erfolgreichen Disney-Film stand Christian Struppeck 1999 als Darsteller auf der Bühne. Würde er auch heute noch manchmal selbst gerne spielen? „Nein, das würde ich auch zeitlich gar nicht schaffen. Ich bin lieber der, der Dinge ermöglicht – das macht mir Spaß.“ Als Ermöglicher arbeitet er momentan an vier Eigenproduktionen. Bekannt ist „Casanova“, über die drei anderen möchte er noch nicht sprechen. Nur so viel: „Man braucht immer mehrere Eisen im Feuer.“

Zur Person: Christian Struppeck

Der gebürtige Berliner ist ausgebildeter Schauspieler und Sänger, arbeitete später u. a. als Regisseur, Bühnenautor und Produzent und leitete die Kreativabteilung bei Stage Entertainment Deutschland, ehe er 2012 Musical-Intendant der Vereinigten Bühnen Wien wurde. 

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