Das Schwierigste sind die Pausen. Aber wer sie beherrscht, der hat die ganze Aufmerksamkeit. Es ist die Meisterklasse der Schauspielkunst, und der Schauspieler Herbert Föttinger ist ein Meister darin. Jetzt hat er sich als Direktor am großen Innehalten versucht. Erfolgreich.

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Monatelang hat Herbert Föttinger öffentlich geschwiegen. „Es wurden viele Unsinnigkeiten verzapft, und da habe ich mir gedacht: Jetzt rede ich einmal nichts.“ Denn Föttinger wurde wie das Krokodil im Kasperltheater mit einem medialen Dreschflegel bearbeitet. Der Grund: Er hat im zweiten Lockdown auf Kurzarbeit verzichtet und weitergeprobt.

Wir sitzen in seinem Direktionszimmer in der Josefstadt, und Föttinger zuckt mit den Schultern: „Es gab damals so eine Polarisierung. Wenn du Kurzarbeit gemacht hast, warst du ein Guter. Wenn du keine genommen hast, ein Böser. Wir leben in einer Zeit der einfachen Antworten. Na ja, und dann war plötzlich von acht bis zehn Millionen Euro Schulden die Rede, die die Josefstadt hat. Die Wahrheit? Wir haben dem Steuerzahler 2,3 Millionen Euro gekostet – so hoch war der Einnahmenverlust. Wären wir in Kurzarbeit gegangen, hätten wir vier Millionen Euro erhalten – auch das Steuergeld.“

Rein künstlerisch hatte die Entscheidung für das Weiterproben der Stücke bis zur Premierenreife für das Publikum nur Vorteile: Das Programm 2022/23 hat das, was der Komponist Hans Werner Henze von jedem seiner Stück eingefordert hat:„Es muss Wumms haben!“
Föttinger: „Wir konnten uns in den Lockdowns ein schönes Repertoire erarbeiten, und dadurch wird auch die kommende Spielzeit um einiges günstiger.“

Thomas Bernhard, Henrik Ibsen, Edward Albee, Charlie Chaplin, Bertolt Brecht, Ferdinand von Schirach und, und, und (siehe Seiten 13 und 14). Das Programm knallt, es zeigt die ganze Bandbreite, für welche die Josefstadt und die Kammerspiele mittlerweile stehen und mit der Föttinger das Image der Häuser verändert hat. Gedreht wird auch an der Kostenschraube: Ein recht rigider Sparkurs wird die Anzahl der Vorstellungen von 660 auf 530 zurückfahren. „Es gibt keine Doppelvorstellungen mehr, dadurch sparen wir an Technikkosten, Verträge wurden nicht verlängert, durch Pensionierungen frei gewordene Stellen wurden nicht nachbesetzt“, sagt Föttinger und setzt nach: „Wir fahren das Haus aufgrund der Situation auf Kante, aber mit sehr viel Optimismus und mit viel Kraft nach vorn. Bis 2026 bin ich Direktor, und ich will dieses Theater wieder in ruhigere Gewässer führen.“ Eine klare Ansage.

Herbert Föttinger: Ich bin kein freundlicher Zeitgenosse.
Der Direktor am Dach des Malersaals ndet sich im Innenhof hinter der Bühne. Bereits 1993 wurde Föttinger Ensemblemitglied an der Josefstadt und übernahm in der Saison 2006/07 die Direktion als Nachfolger von Helmuth Lohner. 2020 bekam er den Nestroy. Föttinger ist mit Sandra Cervik verheiratet und hat mit ihr einen Sohn.

Foto: Lukas Gansterer

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Herr Föttinger, ich habe Sie noch gar nicht gefragt: Was erwarten Sie sich eigentlich von unserem Gespräch?

(Lacht.) Ich erwarte mir, dass viele Menschen dieses Interview lesen und mit großer Freude im Herbst das Theater in der Josefstadt stürmen. Theater ohne Publikum ist sinnlos. Theater ist gemeinsames Erleben, und gemeinsam entsteht etwas. Theater kann nur weiter existieren, wenn diese Symbiose aus Schauspielern und Publikum weiterbesteht. Um ehrlich zu sein: Ein wenig fürchte ich mich, dass wir ein bisschen Long Covid haben werden. Ich hab vor Kurzem den Otto Schenk angerufen und ihn gefragt: ‚Komm, sag mir die Wahrheit, wie war es nach 1945 wirklich, als alle Theater nach langer Zeit wieder aufgemacht haben?‘ Und er hat geantwortet: ‚Glaub nicht, dass das Theater gestürmt wurde. Es war ein unglaublich zäher Prozess. Das Theater hat sich erst in den 50er- und 60er-Jahren erholt. Solche Zäsuren wirken lange nach.‘“

Die Zeiten, in denen wir leben, sind so wahnsinnig laut – ist das nicht eine Chance fürs Theater? Eine Ruhezone, in der man zum motorischen Stillstand kommt und trotzdem alle Sinne angeregt werden?

Vielleicht. Wir leben ja in Zeiten, in denen jeder sofort eine Meinung und eine Antwort haben muss. Kunst oder Literatur, Theater haben nicht die Antwort parat – das ist das Schöne. Alles im Theater ist im Grund von einem humanistischen Gedankengut geprägt, und es gibt eine differenzierte Betrachtung der Problemsituation. Das macht Theater
auch so spannend, weil du nach Hause gehen und darüber nachdenken kannst, was du gerade gesehen hast, und du fragst dich: Wo liegt die Wahrheit? Gibt es überhaupt eine Wahrheit? Es mag trivial klingen, was ich jetzt sage: Aber Denken ist ein guter Prozess, an dessen Ende nicht immer eine Lösung stehen muss

Nervt es Sie, dass gerade durch die sozialen Medien immer erwartet wird, dass man eine Meinung haben muss?

Die Welt ist halt nicht so einfach, wie sie viele Menschen gerne haben möchten. Es ist alles komplexer und schwieriger und diffiziler. Aber das interessiert niemanden mehr. In der Zeit, die man zum Nachdenken brauchen würde, ist der Meinungszug schon durchgefahren. Es geht nur mehr darum, wer ist gut und wer ist böse. Als Schauspieler oder Direktor steht man in der Öffentlichkeit, und dadurch wollen Menschen wissen, wie man über aktuelle oder auch brisante Dinge denkt. Das ist legitim. Aber genauso legitim ist es zu sagen: Ich bin weder Historiker, noch habe ich das Coronavirus sequenziert. Das ist nicht meine Aufgabe – aber ich denke immer humanistisch und pazifistisch. Das ist meine Wertegrundlage.

Peter Turrini hat in einer Laudatio auf Otto Schenk einen wunder- schönen Satz gesagt: „Es ist schwer, die Wahrheit zu sagen, wenn man gelernt hat, mit Freundlichkeit zu überleben.“ Trifft das auch auf Sie zu?

Nein. Ich bin kein freundlicher Zeitgenosse.

Ist das jetzt Koketterie oder Ernst?

Wahrscheinlich beides. (Lacht.) Ich halte mich da nicht zurück. Otto Schenk hat da eine völlig andere Biografie, die ich total verstehe. Ich kann sehr emotional sein, und das wirkt mitunter auch unfreundlich.

Michael Heltau hat im Interview für diese Ausgabe gesagt , dass er nie Direktor werden wollte, weil er dann unfreundlich hätte sein müssen ...

(Lacht.) Das ist das Harmoniebedürfnis des Michael Heltau. Das ist total in Ordnung, lässt sich aber wahrscheinlich nicht gut mit der Leitung eines Theaters vereinbaren. Ich wollte immer Direktor werden, schon als Kind, ich weiß nicht, warum. Ich habe in der Josefstadt eine Möglichkeit gesehen, etwas zu gestalten und vor allem auch die Frage zu beantworten: Wie führe ich die Josefstadt und die Kammerspiele ins 21. Jahrhundert?

Herbert Föttinger: Ich bin kein freundlicher Zeitgenosse.
Herbert Föttinger im Malersaal des Theaters in der Josefstadt.

Foto: Lukas Gansterer

Das ist Ihnen ja gelungen. Macht Sie das stolz?

Stolz ist so ein Wort. (Er denkt nach, macht eine Pause.) Ich bin ja kein Gorilla, laufe nicht den ganzen Tag brusttrommelnd durch das Theater ...

Okay. Lassen Sie es mich anders sagen: Macht es Sie ruhiger? Zufriedener?

(Lacht.) Ich komme als Direktor selten dazu, innezuhalten. Ich bin immer am Sprung. Es gibt so viele Probleme, die gleichzeitig gelöst werden müssen. Aber okay: Ich freue mich, dass wir ein so fantastisches Ensemble haben, und ich werde mich weiterhin sehr bemühen, das Haus ein bisschen anders zu verlassen, als ich es vorgefunden habe.

Aber geh, jetzt stapeln Sie ein bisserl tief. Allein in der kommenden Saison spielen Sie Stücke, die sonst nur an großen Häusern in Deutschland gespielt werden, und die Programmierung der Kammerspiele ist auch ziemlich anders als früher.

Ferdinand von Schirachs „Gott“ spielt man am Residenztheater in München und im März 2023 bei uns, insofern stimmt es, was Sie sagen, und es macht mich stolz, dass wir in den Kammerspielen Brecht spielen und Edward Albee. Das ist toll, aber nicht weil ich es erfunden habe, sondern weil es früher schon einmal so war. Die Kammerspiele waren ja ein literarisches Haus. Kleist wurde dort gespielt und auch Lessing. Unter Haeussermann und Stoß ist die Josefstadt ein großes Komödientheater geworden. Mich interessiert aber viel mehr, wie sie davor war unter Reinhardt, unter Jarno.

Gibt es Menschen, die Sie bei der Neuausrichtung gefragt haben, ob Sie spinnen?

(Lacht.) Das werde ich durchaus öfter gefragt; und wenn ich „Die Ziege oder Wer ist Sylvia?“ spiele, wird es auch jetzt wieder Menschen geben, die mich das fragen werden. Ich meine: Wer will schon, dass der Ehemann ein Verhältnis mit einer Ziege hat? Das ist eine unglaublich böse, aber großartige Komödie. Literarisch total interessant, weil ja die Ziege nicht für Sodomie steht, sondern für die Unmöglichkeit, die Liebe zu ergründen.

Wie viel ist Strategie, und wie viel ist Intuition in Ihren Entscheidungen ?

Keine Ahnung. Ich will vor allem den Kammerspielen wieder ihren literarischen Anspruch zurückgeben. Ich habe den Ehrgeiz, dass dort interessante Regisseure arbeiten, wie Elmar Goerden oder Claus
Peymann
, das hätte man sich vor 30 Jahren nicht vorstellen können. Ich finde überhaupt, wenn man meine Strategie beschreiben wollte, dann sind das Häutungen, die ich mache. Ich gehe sehr behutsam vor, ich möchte das Publikum mitnehmen auf die Reise. Das ist mir, glaube ich, schon gelungen. Ich selbst entwickle mich auf diesem Weg genauso weiter, wie es auch das Theater tut. Ach ja, und es ist auch eine Mutfrage. Die Kammerspiele haben irgendwann den Ruf bekommen, dass dort nur Boulevard gespielt wird. Das wurde eine Zeitlang auch so gemacht. Aber ich habe nie verstanden, warum die Degischer dort unten Stücke wie „Katzenzungen“ spielen musste ...

Aber ein richtig gutes Boulevard- Theater nach englischem Vorbild – ich meine damit nicht ein Schwänke-Theater – fehlt in Wien.

Ja. Aber es gibt Berufenere als mich, ein solches Haus zu führen. Die Kammerspiele sind ja nach wie vor ein Ort des Humors. Wir spielen dort zwar Shakespeare, aber „Was ihr wollt“. Ich will die Kirche im Dorf lassen. Dass dort nur Männer spielen – bis auf Maria Bill –, das hat schon einen gewissen Witz.

Ich zitiere noch einmal Turrini: „Jedes gute Theaterstück soll ein Riss, eine Irritation, ein Schmerz sein.“

Oder auch ein gewisser Erkenntnisprozess. Im Theater passiert echte Auseinandersetzung. Im Theater wirst du nicht bedient. Das macht Netflix mit den Serien, die servicieren dich. Das ist alles großartig gemacht, aber es tut nicht wirklich weh. Verstehen Sie mich nicht falsch: Alles ist toll gespielt, toll ausgeleuchtet, große, wunderbare Bilder, tolle Dialoge. Aber:„House of Cards“ tut nicht weh, und genau hier geht Literatur einen Schritt weiter: „Geschichten aus dem Wiener Wald“ zum Beispiel, da erlebst du etwas ganz anderes, diese Welt gibt es nicht in den Serien. Das gibt es nur im Theater.

Sie selbst geben in der kommenden Saison Ihr Debüt an der Wiener Staatsoper, und zwar als Haushofmeister in Richard Strauss' „Ariadne auf Naxos“. Wie kam das?

Direktor Bogdan Roščić hat mich angerufen, und dann kam er hierfür in die Josefstadt, und wir haben darüber gesprochen.

Es ist ja nicht wirklich ein Sympathieträger, den Sie da in der Oper spielen werden.

(Lacht.) Sagen Sie es nur: Der Hofmeister ist eigentlich ein richtiges Arschloch, wird aber oft lustiger gespielt. In Wirklichkeit ist er ein Wurmfortsatz eines russischen Oligarchen, aber der tritt ja nicht auf. Also tritt der kleine Arsch auf, und das ist nicht lustig, sondern böse. Und zwar in dem Sinne böse, wie man grundsätzlich mit Kunst umgeht, wie Mäzene, Subventionsgeber mit Kunst umgehen, das werde ich versuchen zu zeigen, und dann wird es eben nicht mehr lustig. Aber das ist auch nicht meine Aufgabe. (Lacht.)

Herr Föttinger, wir danken für das Gespräch.

Zum Programm 2022/23 im Theater in der Josefstadt!