Thomas Arzt: Ein starkes Stück Prosa
Mit „Die Gegenstimme“ legt der als Theaterautor bekannt gewordene Sprachkünstler Thomas Arzt seinen ersten Roman vor. Wir haben uns mit ihm über die Entstehung des Textes, Sprache und kommende Theaterprojekte unterhalten.
Man kennt Sie ja vor allem als Autor von Theatertexten. Was hat Sie motiviert, sich an die narrative Langform heranzuwagen?
Thomas Arzt: Der Ausgangspunkt war eine Familienrecherche. Bei uns wurde immer wieder diese fast schon mythische Geschichte meiner Großmutter erzählt, dass ihr Bruder Karl der einzige in ihrem Dorf war, der bei der Anschlussabstimmung am 10. April 1938 dagegen gestimmt hat. Ich wusste nie genau, ob das wirklich stimmt und was seine Beweggründe gewesen sein könnten. Ich wollte einfach ein paar Lücken schließen. Der Beginn fand also eher im Privaten statt. Ich habe Fotokisten durchgekramt und in meinem Heimatort, der auch der Heimatort meiner Großmutter ist, im Gemeindearchiv recherchiert. Nach und nach bin ich immer mehr auf das ganze Umfeld von damals gestoßen, auf die Menschen im Dorf und die politische Stimmung.
Das hat dann dazu geführt, dass ich mich von dem Dokumentarischen ein bisschen gelöst und damit begonnen habe fiktional über eine Dorfgemeinschaft zu schreiben. Es ging dann letztendlich also nicht mehr so sehr um Karls Geschichte, sondern um den Mikrokosmos einer sehr überschaubaren Gemeinschaft, in der es auch sehr viel Widersprüchliches gibt. Ich fand es dann eigentlich sehr schön, dass ich die Familiengeschichte nicht fertig erzähle und auch nicht alle Fragen schlüssig beantworten kann. Auch Karls Beweggründe bleiben im Dunkeln.
Vom inneren Wunsch zum Roman
Wie schnell hat sich für Sie herauskristallisiert, dass es ein Roman und kein Stück wird?
Thomas Arzt: Parallel zur Recherche war ich mit dem Residenz Verlag schon im Gespräch, weil mich der Verlag einige Zeit zuvor schon einmal gefragt hatte, ob ich mir nicht vorstellen könnte, auch Prosa zu schreiben. Tatsächlich habe ich in den letzten zehn Jahren auch schon drei Anläufe gestartet. Der innere Wunsch war also da. Aber ich bin immer kläglich gescheitert, weil ich mich in der Prosaform verloren habe und zu keinem Endpunkt gekommen bin. Diesmal war es anders, weil ich dieses dringliche private Anliegen hatte und deshalb drangeblieben bin.
Die Frage, ob es ein Stück wird, ist eigentlich gar nicht aufgekommen, weil ich das Ganze einfach als anderes Projekt sehen wollte. Ich mochte es sehr, dass ich mich nicht an einem tagesaktuellen Fall abgearbeitet habe, sondern mich an diesem Mikrokosmos festhalten konnte, gleichzeitig sprachlich aber so gearbeitet habe, dass der Text allgemeingültig wirkt. Es ist also keine historische Nacherzählung dabei herausgekommen. Das Gegenteil trifft sogar zu: Die Stimmen, die man im Text hört, kommen einem bekannt vor. Sie könnten auch aus den aktuellen Nachrichten sein.
Mir ist schnell klar geworden, dass in der historischen Recherche etwas steckt, das sehr heutig ist."
Thomas Arzt, Schriftsteller
Was löst den Schreibprozess bei Ihnen normalerweise aus?
Thomas Arzt: Das lässt sich einerseits ganz gut auf persönlicher Ebene beantworten, weil es dabei in der Regel um Dinge geht, die mich nachts wachhalten, die in mir rumoren und denen ich nachgehen muss. Auf politischer Ebene sind das unter anderem Fragen wie: In welcher Gesellschaft möchte ich leben? Wie weit sind wir davon entfernt, wieder in autoritäre Strukturen zu rutschen? Wie laut sind jene Stimmen, die menschenverachtenden Dinge sagen? Auf diese Fragen springe ich an. Beim Roman war es so, dass mir schnell bewusst geworden ist, dass in der historischen Recherche etwas steckt, das sehr heutig ist.
Warum diese Konzentration auf einen einzigen Tag?
Thomas Arzt: Das hat sich bereits nach den ersten Seiten ergeben. Ich wollte mich auf Momente konzentrieren und die Gedankenwelt jener dreizehn Figuren spürbar zu machen, deren Spuren ich im Roman verfolge. Die andere Möglichkeit wäre gewesen, episch auszubreiten, was Karl so zustößt, aber dann wäre es ein ganz anderer Roman geworden. Ich habe beim Schreiben sehr gegenwärtig gedacht. Vielleicht auch deshalb, weil ich das vom Theater so kenne, und mochte die Kraft, die daraus entsteht. Durch diese Konzentration auf einzelne Momente ist eine Geschichte über einen Tag entstanden, der in jedem Jahr möglich ist. Das Historische ist dadurch abgebröckelt.
Die Sprache tritt aus der Erzählung hervor
Inwiefern hat Sprache, auch das Ausstellen von Sprache, das ja in Ihren Stücken eine große Rolle spielt, auch in Ihrem Roman einen festen Platz?
Thomas Arzt: Ich versuche schon im ersten Satz die Leserinnen und Leser drauf einzustimmen, dass hier Sätze abbrechen können. Dass Wörter vielleicht ein bisschen krumm daherkommen, weil sie dialektal gefärbt sind, dass der Rhythmus des Textes poetisch grundiert ist. Die Sprache tritt also schon aus der Erzählung hervor. Das ist auch aus dem Schreibprozess der letzten zehn Jahre entstanden, in dem ich immer wieder versucht habe, die Figuren aus ihrer Psychologie herauszuholen, aber nicht ganz zu brechen.
Da haben einige Leute beim Lesen vermutlich auch gleich die Bühnenfassung im Kopf …
Thomas Arzt: Ich bin gespannt, wie die Wahrnehmung so ist. Ob die Theater ihn gleich auf die Bühne bringen möchten (lacht). Ich habe da eher eine bewahrende Tendenz und fände es schön, wenn der Text erstmal so stehen bleibt wie im Buch. Aber schauen wir mal, was passiert. Auf jeden Fall habe ich schon große Lust darauf, ihn bei Lesungen zu lesen. Aber jetzt bin ich gerade einfach froh, dass das Projekt abgeschlossen ist und denke, dass es schon ein schräger Moment sein wird, wenn ich den Roman dann zum ersten Mal in der Hand halte. Theaterstücke werden ja nie gebunden, sondern man bekommt sie, ganz uncharmant, in PDF-Form (lacht).
Können Sie schon ein paar Details über kommende Theaterprojekte verraten?
Thomas Arzt: Das Theater Phönix in Linz zeigt, wenn alles so klappt, im Mai „Taumel und Tumult“. Es ist ein Stück über ein Hotel in der Innenstadt, das nach der langen Pause wieder aufmacht und den ersten Gast erwartet. Es geht also um eine Form von Frühlingserwachen und um die Sehnsucht, dass plötzlich alles anders ist. Ich hatte Lust darauf, etwas Lustiges zu schreiben, also ist eine Komödie dabei herausgekommen. Für das Theater in der Josefstadt habe ich ein großes Historiendrama mit dem Titel „Leben und Sterben in Wien“ geschrieben, das vom Weg Österreichs in den Austrofaschismus erzählt. In dem Stück verfolgen wir eine ganze Reihe an Figuren über einen Zeitraum von insgesamt sieben Jahren. Gleichzeitig ist es eine archaische Erzählung über eine Frau, die sich von all ihren Wurzeln löst.
„Die Gegenstimme" erscheint am 23. Februar im Residenz Verlag.
Zur Person: Thomas Arzt
Thomas Arzt studierte Drehbuch und Theaterwissenschaft nd zählt seit „Grillenparz“ (2011) am Schauspielhaus Wien zu den meistgespielten zeitgenössischen Dramatikern Österreichs. Neben Publikumserfolgen wie „Alpenvorland“ (2013), „Johnny Breitwieser“ (2014) oder „Die Österreicherinnen“ (2019) wurden seine Arbeiten zu Festivals in New York, Buenos Aires und Kiew eingeladen und waren u. a. in Wien und Graz, Heidelberg und Berlin zu sehen.
Die Präsentation des Romans wird aus dem aus dem Literaturhaus gestreamt. Mehr Infos unter https://www.literaturhaus.at/