Thomas Perle über Vielsprachigkeit auf der Theaterbühne
Interviews fehlt oft der Raum für vertiefende Gedanken. An dieser Stelle gilt daher: eine Frage – und eine ausführliche Antwort.
Braucht es mehr Vielsprachigkeit im Theater, Thomas Perle?
„Vielsprachig ist unser Alltag immer. Ob in der Straßenbahn, im Bus, beim Vorbeilaufen im öffentlichen Raum, ich höre ständig überall Wortfetzen in anderen Sprachen. Die Diversität unserer Gesellschaft spiegelt sich auch in ihrer Mehrsprachigkeit wider.
Vielleicht habe ich ein besonders sensibles Ohr dafür, da ich mit mehreren Erstsprachen aufgewachsen bin. In Rumänien geboren, die Familie mütterlicherseits deutschstämmig, die väterliche Seite ungarisch, gehört Vielsprachigkeit zu meinem Selbstverständnis. ‚Jede Sprache ist wie ein Augenpaar, mit dem du die Welt ein wenig besser siehst‘, sagte schon meine Urgroßmutter, die an einem kosmopolitischen Flecken Erde am Rande der österreichisch-ungarischen Monarchie geboren wurde. Von diesem Flecken aus spannt sich mein Geschichtspanorama ‚karpatenflecken‘, in dessen Mittelpunkt drei Frauen aus verschiedenen Generationen über politische, geografische und sprachliche Grenzen hinweg durch die Geschichte des 20. und 21. Jahrhunderts getrieben werden.
‚Jede Sprache ist wie ein Augenpaar, mit dem du die Welt ein wenig besser siehst‘, sagte schon meine Urgroßmutter."
Thomas Perle, Autor
Mehrstimmig und mehrsprachig
Ausgehend von der Frage, wie über eine lange Zeit so viele verschiedene Ethnien mit ihren eigenen Sprachen, Bräuchen und Kulturen friedlich miteinander nebeneinander irgendwo in den Waldkarpaten leben konnten, entstand eine sprachlich mehrstimmige, mehrsprachige Komposition. Manche Figuren sprechen rumänisch und/oder ungarisch, mit diesen Sprachen soll jedoch frei und kunstvoll umgegangen werden. Muttersprachler nicht ausdrücklich erwünscht. Ebenso wird zipserisch/wischaudeutsch gesprochen, ein altösterreichischer Dialekt, der durch seinen oralen Charakter von sich aus schon wandelbar ist. Mit ihm soll als Kunstsprache umgegangen werden. So meine Anweisungen für die Arbeitsweise mit den verschiedenen Sprachen in dem Stück, das in seiner Form selbst vielfältig ist. Dialoge zwischen den Naturwesen wald und berg. Ein singender Frauenchor. Die Sprechchöre der kolonisten. Erzählungen. Dialoge zwischen den drei Frauen verschiedener Generationen. Als Erinnerung, als Übersetzungen, als Überschreibungen.
Ich freue mich besonders über die Uraufführung am Burgtheater, auf einer Bühne der einstigen Hauptstadt eines Vielvölkerstaates. Wien. Eine durch und durch europäische Stadt, Schmelztiegel verschiedener Kulturen. Mit ihren verschiedenen Sprachen. Jede Sprache ist auch Identifikation. Die Vielsprachigkeit Identifikation für das Europäische. Das muss sich auch auf deutschsprachigen Bühnen widerspiegeln."
Zur Person: Thomas Perle
Der Autor stammt aus Rumänien. 1991 emigrierte er mit seiner Familie nach Deutschland, wo er dreisprachig aufwuchs. Für sein Stück „karpatenflecken“, das nach mehrmaligen Verschiebungen ab 13. Dezember im Vestibül des Burgtheaters gezeigt wird, erhielt er 2019 den Retzhofer Dramapreis.