Vom „Abschmecken“ spricht ­Alexander Absenger. Nicht nur, wenn er übers ­Kochen redet, das – wie er uns en passant erzählt – durchaus seines ist und bei dem er ­zuletzt mit ­Currypasten experimentiert hat. Auch im Gespräch über das Schnitzler-Werk, das er gerade probt, fällt dasselbe Wort. Nämlich dann, wenn es um das richtige ­Dosieren von Zwischentönen geht. In Schnitzlers Roman „Der Weg ins Freie“ und in Susanne Wolfs Adaption desselben, für deren Uraufführung am Theater in der Josefstadt ­Absenger ­gerade probt, spielen die Feinheiten der Sprache eine große Rolle. Etwa dann, wenn es um die Gefühle des Barons Georg von ­Wergenthin (Absenger) geht, der die Komponistenkarriere der Heirat mit einer von ihm geschwängerten Bürgerlichen vorzieht. 

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Aber auch dann, wenn im großbürgerlichen Salon die Bandbreite der Assimi­lationsgrade von Juden um 1900 zwischen Anpassung und Zionismus diskutiert wird. „Hier muss man sehr viel über die Bande spielen, wobei genau das auch den Reiz des Werks ausmacht“, sagt Absenger und streut seinem Regisseur Rosen. „Janusz Kica ist toll, wenn es darum geht, Texte ganz genau zu betrachten und Zwischentöne herauszu­holen". Für ihn sei diese intensive Textarbeit ein zusätzlicher Anreiz. „Schnitzler seziert hier die menschlichen Zustände und legt so vieles offen – gerade das macht es für den Schauspieler besonders interessant. Man bekommt durch das, was nicht offensichtlich im Text steht, sondern dahintersteckt, viel Futter.“ 

Je unangepasster, desto lieber

Letztlich ist Wergenthin bei genauerem Hinsehen ein Orientierungsloser, einer, der in kein Schema passt. Das kommt Absengers ­Definition von Lieblingsrollen sehr nahe: „Outlaws sind etwas für mich – je unan­gepasster und suchender, desto lieber.“

Das traf natürlich ausgezeichnet auf Charlotta Iwanowna in „Der ­Kirschgarten“ zu, für deren Darstellung Absenger heuer den Nestroy für die beste Nebenrolle ­bekam. Mit seiner queeren Interpretation der Gouvernante überzeugte er Jury und Publikum. Dabei war er im ersten ­Moment nicht überzeugt, als er von seiner Besetzung hörte. „Meine Sorge, dass es eine Travestie-­Sache mit Nummerncharakter sein könnte, was mir zu effekthascherisch gewesen wäre, wurde aber gleich im ersten Gespräch von Regisseurin Amélie Niermeyer zerstreut". Ihr Konzept war, so Absenger, „dass diese Figur weder weiß, wo sie herkommt, noch, wohin sie geht. Amélie hat das übersetzt auf eine, die fremd im eigenen Körper ist und nach ihrem Geschlecht sucht. Das fand ich total reizvoll.“ 
Neben all den schwelenden Konflikten im Stück sei „dies extra Unterbau, den man als Schauspieler dankbar annimmt“.

Solche getriebenen Charaktere, die aus Ekel vor der aktuellen Situation wegstreben, mag ich sehr gerne. Sie wollen woanders hin – aber wissen nicht, ob das andere besser ist. 

Alexander Absenger
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Getriebene Charaktere

Auch bei „Der Weg ins Freie“ war Alex­ander Absenger, der aus Graz kommt, in Wien stu­dierte und seit 2013 an der Josefstadt engagiert ist und hier beispielsweise in „Kafka“, „Die Verdammten“ – beides unter ­Elmar Goerden –, „Der einsame Weg“, in der Regie von Mateja ­Koležnik, und in der Heimito-von-Doderer-Adaption „Die Strudl­hofstiege“ mitwirkte, nicht sofort ­euphorisch. „O Gott, nicht schon wieder ein Jahrhundertwenderoman“, sei sein erster Gedanke gewesen. Aber sehr rasch habe er „eine große ­Zuneigung zu dem Werk ­entwickelt“. „Auch hier liebe ich, dass diese Figur fast auf der Flucht vor etwas ist“, sagt Absenger. „Solche getriebenen Charaktere, die aus Ekel vor der aktuellen Situation wegstreben, mag ich sehr gerne. Sie wollen woanders hin – aber wissen nicht, ob das andere besser ist.“ 

Er sehe Georg nicht als einen Naiven, sondern durchaus als „bewussten ‚Täter‘, der auch ­Leben zerstört und der sich seine Gedanken aus purem Egoismus heraus macht“. Vor ­allem dann, wenn es darum geht, die schwangere Geliebte hinzuhalten und nicht an Heirat zu denken. „Er hat diese Einstellung: ‚Mir ist ­alles ­Private nur bis zu dem Punkt wichtig, an dem es mir guttut, danach lasse ich es ­fallen.‘ Schnitzler führt Georg vor, wenn er über seine Fehler sinniert. Es muss bei aller Sympathie für ihn auch etwas Abstoßendes in seinem Egoismus zu spüren sein.“

Von einer Figur zu anderen springen

Abstoßend wird natürlich auch die eine oder ­andere Figur sein, die Absenger in „Die Stadt der Blinden“ verkörpert, jener Bühnen­adaption des dystopischen Romans von José Saramago, die von Stephanie Mohr in­szeniert wurde. In diesem Kollektivstück ist er als Blinder, Offizier, Täter und Redner zu ­sehen. „Mir gefällt es durchaus, wenn ich von einer Figur zur anderen springen kann. Das Changieren ist eben die schauspiele­rische Arbeit. Sobald ich weiß, wo ich in der jeweiligen Situation verortet bin, ist das kein Problem. Vor allem mag ich die ­Abwechslung – je absurder und je abstrakter, desto lieber.“

Dass er mit Kolleginnen und Kollegen auf der Bühne steht, mit denen er schon ­öfter enger zusammengearbeitet hat, dar­unter Alma Hasun als seine Geliebte in „Der Weg ins Freie“ und Ulrich Reinthaller in „Die Stadt der Blinden“, sieht er als großes Plus. Dennoch gibt er zu bedenken: „Wenn man schon in ein paar Stücken gemeinsam gespielt hat, muss man noch mehr darauf achten, dass man nicht bekannte Schub­laden bedient, sondern sich in den jeweiligen ­Figuren trotzdem neu kennenlernt.“

Für Absenger haben „Der Weg ins Freie“ und „Die Stadt der Blinden“ – ein Konversationsstück über die gehobene Gesellschaft rund um 1900 und eine Endzeitparabel über die Folgen einer Epidemie – bei allem Unterschied doch etwas gemeinsam. „In beiden werden die großen Fragen zu Würde, Freiheit und Selbstbewusstsein gestellt". Das Spannende sei, „wie gesellschaftliche Strukturen und ‚Techniken‘ aufgedeckt werden und wie man lernt, dass man wachsam sein muss“. Spricht’s und bricht schon auf zur nächsten Probe, auf der das Textsezieren und ­-abschmecken fortgesetzt wird. 

Alexander Absenger ganz ­entspannt und gut gelaunt beim Fotoshooting mit BÜHNE-Fotografin Nicole Schneeberger.

Foto: Nicole Schneeberger

Zur Person: Alexander Absenger

Nach dem Studium in Wien zog es den Grazer kurzfristig nach Deutschland. Am Theater in der Josefstadt ist er seit 2013 ­engagiert und spielte hier u. a. in „Kafka“, „Die Verdammten“ – für beides war er Nestroy-Preis-­nominiert –, „In der Löwengrube“ und „Der Kirschgarten“.

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Alle Informationen zum Theater in der Josefstadt finden Sie hier