Angelika Hager: Kuscheln mit dem Luxuspöbel
Phantomschmerz de luxe: Schon wieder wird man um einen Opernball betrogen.
Es ist eigentlich das beste Theaterstück, das die Republik zu bieten hat: der Opernball, wohlgemerkt ohne Hochsteckfrisur und Robenjagd im Vorfeld, sondern in der Wohnhose vor dem Flachen, im Waffenarsenal ein paar Wirtschaftswunderbrötchen mit üppigen Mayonnaise-Zierleisten und eine Flasche mittelmäßiger Champagner, vorzugsweise im Klüngel von anderen Lästermäulern, mit denen man lauthals die scheußlichsten Ballkleider kommentieren kann. Der Meister eleganter Gehässigkeit Gregor von Rezzori nannte den Ball der Bälle einst „einen Tanz der Glühwürmchen“ und beutelte sich nach einem Besuch in seiner Funktion als „Kurier“-Reporter mit den Worten „Was für ein groteskes, absurdes, quälend irreales Unternehmen: ein Großball für eine Gesellschaft, die es nicht mehr gibt. Das kann nichts anderes werden als eine Karikatur.“
„Glücklich ist, wer vergisst"
Aber in Anbetracht dessen, dass Karikaturen in der Regel einen größeren Unterhaltungswert besitzen als die Realität, gibt es dagegen eigentlich nichts einzuwenden. Da der echte Adel ja heute außer „heiklen Möbeln und schwachen Nerven“ ( Hugo von Hofmannsthal) wenig zu servieren hat, sind der wahre Adel dieser Veranstaltung die Künstler, für die diese Institution ursprünglich geschaffen wurde. Im Gegensatz zu dem Rest der uncoolen Gang, der sich langsam auf der Feststiege vorschiebenden und stets die Kameras fixierenden Masse, verhalten sich die Herrschaften aus der Ausdrucksbranche erstaunlich dezent und geltungsreduziert, was wahrscheinlich mit der Tatsache in Verbindung zu bringen ist, dass sie unterm Jahr genug Spielplätze zur Verfügung haben, um ihr Ego äußerln zu führen.
Mein Gott, was haben wir gelacht, als Udo Proksch die Diktatorengattin Imelda Marcos über das Parkett schob und Luciano Pavarotti Diäten einschieben musste, um überhaupt in seine Loge zu passen."
Angelika Hager
Die ewige Wiederkehr des gleichen Trosses aus „Komödianten, Filmfritzen, Kabarettfatzken, Boxern, Damenfriseuren, Parlamentariern und Eintänzern“, wie Karl Kraus die sich aus den Trümmern des Ersten Weltkriegs in die erste Republik hochhievende Gesellschaft beschrieb, hat sich als Society-DNA längst festzementiert. „Die Demokratisierung des Luxuspöbels“ (so der Kulturtheoretiker Franz Schuh) ist vor allem der ORF-Sendung „Seitenblicke“ zu verdanken, die uns allabendlich seit 1987 an einer korkenknallenden „Glücklich ist, wer vergisst“-Stimmung partizipieren lässt und uns das paradoxe Gefühl schenkt, trotz Distanz mit ebenjenem Luxuspöbel in diesem „österreichischen Disneyland“ (Claus Peymann) permanent kuscheln zu können.
Königsetappe der Kuschelei
Der Opernball ist dann natürlich die Königsetappe der Kuschelei. Wobei Kracher wie ein sich im oberen Promillebereich befindlicher Richard Burton, der sich zuerst in einen Blumentopf und dann in seine Loge setzte, um sich danach nicht ohne Folgen über deren Brüstung zu beugen, leider Raritätswert haben. Auch die Exzesse waren früher einfach origineller. Mein Gott, was haben wir gelacht, als Udo Proksch die Diktatorengattin Imelda Marcos über das Parkett schob, Luciano Pavarotti Diäten einschieben musste, um überhaupt in seine Loge zu passen, und Caroline von Monaco den Staatspreis für den angewidertsten Gesichtsausdruck bekam, als ihr die Paparazzi-Meute auf die nicht rissfeste Chanel-Schleppe getreten war.
Dabei hatte die noch Glück, musste sie doch nicht als Promi-Brosche für den Austern-mit-Ketchup-Großpolier herhalten, der bis heute das Naserümpfen der ersten und erstbesten Gesellschaft mit teflonesker Ignoranz zu quittieren weiß. Die wunderbare Lotte Tobisch hatte das Phänomen Lugner übrigens mit der ihr eigenen Grandezza zu kommentieren gewusst: „Mein Gott, es ist doch Fasching. Da vertragt man doch einen Wurschtel. Außerdem: Wo auf der Welt gibt’s schon 7.000 feine Leut’?“ Sie ist schmerzlich vermisst.
Zur Person: Angelika Hager
Sie leitet das Gesellschaftsressort beim Nachrichtenmagazin „profil“, ist die Frau hinter dem Kolumnen- Pseudonym Polly Adler im „Kurier“ und gestaltet das Theaterfestival „Schwimmender Salon“ im Thermalbad Vöslau (Niederösterreich).