Aufwachen, bevor es wieder finster wird: Die Saison 2023/24 am Burgtheater
Mit seinem Programm für die kommende Spielzeit möchte Martin Kušej ein klares Zeichen gegen rechte und autoritäre Tendenzen in Europa setzen. Mit Stücken wie Molières „Menschenfeind“, Büchners „Dantons Tod“, Bernhards „Heldenplatz“ und einer Vielzahl feministischer Neudeutungen.
„Aufwachen, bevor es wieder finster wird“ lautet das Motto, das über der letzten Spielzeit von Burgtheater-Direktor Martin Kušej schwebt. Der Intendant möchte das Programm der Saison 2023/24 als Warnung vor dem unübersehbaren Rechtsruck in Europa verstanden wissen. Mit den für die nächste Spielzeit geplanten Stücken will das Burgtheater aufrütteln, Haltung zeigen und Widerstand leisten.
„Wir als künstlerisch Tätige haben in diesem Zusammenhang eine besondere Verantwortung. Wir können und dürfen nicht wegschauen. Unsere Kunst muss politisch sein, das Burgtheater ein Ort der Debatte und Auseinandersetzung. So wenig wie wir als Theater ‚Burg‘ sein wollen, so wenig wollen wir als Österreich ‚Festung‘ sein“, erklärte der Intendant bei der Pressekonferenz zur Spielzeit 2023/24, die auf der Bühne des Burgtheaters stattfand. Die Ausrichtung des Spielplans sei deshalb eine durchaus kämpferische, dabei aber auch „gut gelaunt“, wie Kušej im Rahmen der Pressekonferenz hinzufügte.
Haltung zeigen
Im Spielplanbuch berichtet der Burgtheater-Direktor auch von persönlichen Beweggründen für das von ihm und seinem Team gewählte Motto: Während seiner Grazer Studentenzeit nahm er an einem alternativen Kunst-Event teil, das von Skinheads und Neonazis gestürmt wurde. Vor allem der Umstand, das sieben Typen aus der rechten Szene 200 Menschen von ihrer Veranstaltung vertreiben konnten, hätte sich ihm tief ins Gedächtnis eingebrannt. „Die Feigheit und Haltungslosigkeit der Kulturinteressierten um uns herum, die in ihrer zigfachen Überlegenheit keine Gemeinsamkeit im Handeln fanden, sondern sich ängstlich davonmachten, als es darum ging, Widerstand zu leisten und dafür etwas zu riskieren, hat mich verstört und verärgert“, heißt es im Editorial zum Spielzeitbuch, das er, so Kušej, zum ersten Mal selbst unterschrieben hat. Deshalb wolle man sich am Burgtheater keinesfalls „hinter der Fassade einer unpolitischen Kunst verstecken“.
Molière, Bernhard, Büchner, Handke
Dieser klare Kurs spiegelt sich naturgemäß auch im Programm wider. Viele der insgesamt 23 Inszenierungen setzen sich mit demokratiefeindlichen und autoritären Tendenzen in Europa auseinander und handeln von Ausgrenzung, grassierendem Antisemitismus und den Folgen der Klimakrise. Kušej selbst wird Molières „Menschenfeind“ inszenieren, der Bühnenbildner Martin Zehetgruber wird dafür ein glattes Parkett auf die Burgtheater-Bühne zaubern, unter dem jedoch die Jauche steht. Johan Simons, der im Burgtheater bereits die „Geschichten aus dem Wiener Wald“ und „Dämonen“ inszenierte, wird sich Büchners „Dantons Tod“ und damit der Frage nach der Legitimität von Gewalt als Mittel der Auseinandersetzung annehmen. Jan Philipp Gloger wird mit dem Seuchendrama „Die Nebenwirkungen“ sein Burgtheater-Debüt bestreiten und Frank Castorf Bernhards „Heldenplatz“ inszenieren. Dass dies 35 Jahre nach der geschichtsträchtigen Uraufführung von Claus Peymann geschehe, sei nicht ausschlaggebend gewesen, so Kusej, „sondern die Lage im Land“.
Das Stück „Orpheus steigt herab“ von Tennessee Williams, die zweite Regiearbeit von Martin Kušej, nimmt die Ausgrenzung von Minderheiten in den Blick. In eine ähnliche Richtung geht Kafkas „Verwandlung“, die Lucia Bihler inszenieren wird. Ulrich Rasche, bekannt von den „Bakchen“, nimmt sich Goethes „Iphigenie“ an und Herbert Fritsch wird sich in der letzten Burgtheater-Premiere der kommenden Saison mit dem Wiener Zentralfriedhof beschäftigen. Aber auch die Macht der Worte ist Thema der Spielzeit 2023/24: In Handkes frühem Stück „Kaspar“, im Akademietheater inszeniert von Daniel Kramer, richtete sich der Autor gegen die Sprache, die den Nationalsozialismus ermöglichte. Ibsens „Peer Gynt“, in der Regie von Thorleifur Örn Arnarsson, beschäftigt sich mit der Lüge und Golda Bartons „Cypressenburg“ (Regie: Isabelle Redfern) mit gesellschaftlichen Ausschlussmechanismen.
Feministische Neudeutungen
Darüber hinaus steht auch weibliche Selbstermächtigung im Zentrum zahlreicher Inszenierungen. Jan Bosse inszeniert „hildensaga. ein königinnendrama“ von Ferdinand Schmalz, Adena Jacobs und Gerhild Steinbuch deuten „Nosferatu“ auf feministische Weise um, Nino Haratischwilis „Phädra, in Flammen“ ist eine feministische Neudichtung eines europäischen Mythos und wird von Tina Lanik inszeniert. Mateja Koležnik bringt Martin MacDonaghs „Der einsame Westen“ auf die Bühne, Lilja Rupprecht inszeniert Fassbinders „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“. Die Inszenierung eröffnet die Saison im Akademietheater. Insgesamt inszenieren in der Spielzeit 2023/24 zehn Regisseurinnen und zwölf Regisseure.
Am Burgtheater wird die Spielzeit mit Shakespeares „Sommernachtstraum“ eröffnet. Die Koproduktion mit der Ruhrtriennale trägt die Regiehandschrift von Barbara Frey, Birgit Minichmayr wird als Puck zu sehen sein. In der Inszenierung wird auch das Thema Klima eine zentrale Rolle spielen. Thomas Köcks „solastalgia“, das erste Stück im Kasino, beschäftigt sich mit der Ausbeutung der Ressource Holz und Raphaele Bardutzkys „Das Licht der Welt“ erzählt mit Spieler*innen des Studioensembles von einer Gruppe von Klimaaktivist*innen.
Junges Theater und Auslastung
Das Burgtheaterstudio wird seine Spielstätte – das Vestibül – mit dem Stück „Liebe Grüße ... oder wohin das Leben fällt“ eröffnen. Nach „Des Kaisers neue Kleider“ kehrt auch Rüdiger Pape wieder nach Wien zurück und inszeniert Cornelia Funkes „Herr der Diebe“. Anja Sczilinski, Leiterin des Burgtheaterstudios, betont im Rahmen der Pressekonferenz außerdem die erfolgreiche Zusammenarbeit mit den Partnerschulen.
Robert Beutler, kaufmännischer Geschäftsführer des Burgtheaters, vermeldet mit Stand April eine Auslastung von 77 Prozent. Das sei ein klares Zeichen dafür, dass nun auch die Abonnent*innen wieder ins Theater zurückfinden. Zahlreiche Abänderungen hätten das gesamte Team aber auch in diesem Jahr noch vor zahlreiche Herausforderungen gestellt.