Den Auftakt machte am Freitag eine Inszenierung des Burgtheaterchefs. Martin Kušej nahm sich des Klassikers „Das Leben ein Traum“ von Pedro Calderón de la Barcas aus dem Jahr 1635 an. König Basilius (herausragend Norman Hacker) unternimmt ein grausames Experiment mit seinem Sohn Sigismund. Nach der Geburt, bei der die Mutter starb, wird Sigismund in einen Turm gesperrt und von der Umwelt isoliert. Der König hat in den Sternen gelesen, dass sein Sohn kein guter Herrscher werden würde. Schließlich ändert er seine Meinung und lässt seinen Sohn in kostbares, goldenes Gewand einkleiden und an den Hof bringen. Für Sigismund verschwimmen die Grenzen zwischen Wahn und Wirklichkeit.

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Basilius, König von Polen entfremdeten Sohns Sigismund (Franz Pätzold).

Foto: Burgtheater/Andreas Pohlmann

Pätzold brilliert, spielt den Königssohn als wildes Tier, nackt und spuckend. Kaum an der Macht, begeht Sigismund spontan einen Mord an einem Untergebenen. Er wird wieder weggesperrt und erneut von Revolutionären befreit. Calderon hat sein Märchen in Versform noch als Besserungs- und Erziehungsstück verstanden. Bei Kušej durchläuft der Protagonist jedoch keine Läuterung, sondern wird am Schluss zum kalten und berechnenden Machtpolitiker. "Ich bin nicht sicher, was ihr sonst gewohnt. Jedoch wer frech wird, oder langweilt oder stört, den mach ich tot", sagt Sigismund. Eine mögliche Conclusio des Stücks: Von Menschen, welchen die Würde genommen wird, kann man keine humanen Taten erwarten.

In einem für Kušej gewohnt düsterem Bühnenbild, mit einer klaren Sprache und einem Schauspielerteam in Höchstform, startete das Burgtheater in die neue Saison. Spektakulär ist die Wirkung von Annette Murschetzs Bühne: Die Drehbühne wechselt zwischen einer Kohlegrube - die die Schauspieler wiederholt unter vollem Körpereinsatz erklimmen müssen - und einem klinisch-kühlen Raum mit schiefen Wänden. Das Publikum bedachte die Inszenierung mit einem langen Applaus.

EU-Politik und Antike im Akademietheater

Am Samstag wurde im Akademietheater eine deutschsprachige Erstaufführung gezeigt - die Rekomposition eines antiken Sophokles-Stoffs durch Thomas Köck. Der 1986 geborene Oberösterreicher gilt als einer der spannendsten Dramatiker seiner Generation. Mit seinem Stück legte Köck den Finger in die Wunde. Mit Referenzen auf die Antike, Verfremdung, Theater-Chor auf einer schiefen Bühne wurde die aktuelle europäische Flüchtlingspolitik verhandelt.

In der Ur-Fassung der Antigone besteht die Protagonistin darauf, ihren Bruder Polyneikes zu bestatten. König Kreon möchte eigentlich ein Exempel statuieren und verbietet es. In der Neufassung lässt Köck Leichen auf der Bühne liegen, die an den Strand gespült wurden. Geht es nach den Politikern, sollen sie anonym und in Leichensäcken weggeschafft werden. Antigone (überzeugend Sarah Viktoria Frick) widersetzt sich auch hier und zeigt zivilen Ungehorsam. Sie möchte die Toten bestatten.

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Die Schlagworte sind hier die gleichen, wie in der aktuellen politischen Debatte in Österreich und dem Rest der EU, wie man mit den Flüchtlingen in Moria umzugehen hat: Mit Anstand und Würde. Eindrucksvoll der Schlussmonolog von Ismene (Deleila Piasko): "Wollen wir doch jetzt nicht wollen wir doch wollen wir doch wollen wir doch wollen wir."

Sarah Viktoria Frick, dahinter das Ensemble von „antigone. ein requiem“ von Thomas Köck: Mavie Hörbiger, Branko Samarovski, Dorothee Hartinger, Mehmet Ateşçi, Deleila Piasko, Markus Scheumann

Foto: Burgtheater/Matthias Horn

Karaoke und Tanz im Kasino

Die Jugendschiene des Burgtheaters plant in der aktuellen Spielzeit acht Neuinszenierungen. Den Anfang machte am Sonntag die deutschsprachige Erstaufführung des Jugendstücks (ab 14 Jahren) "Stolz und Vorurteil* (*oder so)" im Kasino am Schwarzenbergplatz. Die Inszenierung des berühmten Werks von Jane Austen entstand in Kooperation mit dem Max Reinhardt-Seminar. Auf der Bühne standen ausschließlich junge Frauen, Regie führte die 1984 geborene Britin Lily Sykes, die das Stück zu einer Screwball-Komödie umarbeitete. Das Jungensemble ist der Star der Inszenierung. In Doppel-,und Dreifach-Rollen bezaubern Maya Unger, Caroline Baas, Johanna Mahaffy, Wiebke Yervis, Lili Winderlich. Sie singen, spielen und schmieren das Stück gekonnt von Romantik zur Karaoke-Revue und wieder retour. Jede Einzelne ist eine Entdeckung und man ertappt sich beim Zusehen, dass man sich überlegt, in welchen Fernseh-, und Filmrollen man Maya Unger und Co. gerne sehen möchte.

Auch in der aktuellen Saison setzt das Burgtheaterstudio auf Vermittlungsarbeit für Kinder und Jugendliche. Bis zum Lockdown wurden in der vergangen Saison bis zu 300 Workshops, Labore und andere Formate angeboten. Dadurch wurden 6000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer erreicht. Und auch während der coronabedingten Isolation seien 800 junge Menschen durch digitale Angebote erreicht worden, heißt es von Seiten des Burgtheaters.

Caroline Baas, Johanna Mahaffy, Lili Winderlich in einer Szene von "Stolz und Vorurteil" im Kasino.

Foto: Burgtheater/ Susanne Hassler-Smith

Corona-Choreographie

Die Theaterabende waren von den Corona-Sicherheitsmaßnahmen geprägt. Vereinzelt sorgte das für Murren, die Mehrheit der Besucherinnen und Besucher hielt sich diszipliniert an die Vorkehrungen: Maskenpflicht bis zum Sitzplatz (und Vorstellungsbeginn), gestaffeltes Verlassen der Räumlichkeiten, das Benutzen der Ein- und Ausgänge, die den Sitzkarten zugeordnet sind.

Das Theaterhaus am Ring hat unter normalen Bedingungen einen Fassungsraum von 1.175 Sitzplätzen, 85 Stehplätzen und 12 Rollstuhlplätzen. Am ersten Abend der neuen Spielsaison waren nach Angaben des Burgtheaters 691 Plätze besetzt.

Jungschauspielerin Johanna Mahaffy ist in "Stolz und Vorurteil" zu sehen.

Foto: Burgtheater/ Susanne Hassler-Smith