Sigmund Freud bezeichnete Projektionen als Abwehrmechanismen. Die eigenen, unerwünschten Impulse – im Sinne von Gefühlen und Wünschen – werden anderen Menschen zugeschrieben. Projektion ist also das Verfolgen eigener Wünsche in anderen. Für Schauspielerinnen und Schauspieler ist Projektion ein Werkzeug: Was soll das Publikum durch die Figur fühlen, die ich verkörpere? Burgtheater-Schauspielerin Katharina Lorenz kletterte in ihrer aktuellen Rolle – die sie aufgrund des Lockdowns bislang nur zwei Mal spielen konnte – auf die nächste Ebene: Sie spielt eine reine Projektionsfläche.

Anzeige
Anzeige

Als Eva in Anna Gmeyners wiederentdecktem „Automatenbüfett“ zeichnen sie keine klar umrissenen Charakterzüge aus. Sie ist zum einen das Objekt der Begierde, das von den männlichen Figuren bedrängt und von den anderen Frauen verachtet wird. Zum anderen ist sie manipulative Verführerin, die alle anderen nach ihrer Pfeife tanzen lässt. Da passt es, dass sie gleich am Anfang des Stücks Herr Adam, dargestellt von Michael Maertens, aus einem Teich rettet, in dem sie sich ertränken wollte. Denn in der Folge ist sie dann genauso wenig greifbar wie ein glitschiger Fisch. Diese Eva ist jeweils das, was die anderen in ihr sehen (wollen). Wenn man glaubt, ihre Persönlichkeit endlich gepackt zu haben, entwischt sie wieder.

Zwischen Rauheit und Verletzlichkeit

Wenn jemand diese Gratwanderung schafft, dann Katharina Lorenz. Die 42-jährige Schauspielerin kann die toughe Kommissarin in Krimis, ein selbstbestimmtes Gretchen in der „Faust“-Inszenierung von Matthias Hartmann und die misshandelte Frau in Ayad Akhtars „Geächtet“ gleichsam überzeugend geben. Ihr Spiel und ihre Präsenz als Gretchen an der Seite von Tobias Moretti beschrieb die „Süddeutsche“ als „großartig und funkelnd“. Die charismatische Bühnendarstellerin kann blitzschnell zwischen Anmut, Unschuld, Rauheit und Abgeklärtheit changieren. Auch bei „Automatenbüfett“ wechseln erotische Gravitation und mädchenhafte Verletzlichkeit einander ab. Ihre feinen Gesichtszüge setzt sie dabei präzise ein.

Seit 2008 ist Katharina Lorenz ein festes ­Mitglied des Ensembles des Wiener Burgtheaters. Hier sitzt sie auf der Feststiege.

Foto: Peter Mayr

Automatenbüffet wie ein dunkles Märchen 

„Es war eine große Herausforderung, diese Eva zu spielen. Sie ist fast schon eine ­Undine Figur. Diese kommt ans Land, um die bürgerliche Ordnung, ja die Ordnung der Welt infrage zu stellen“, sagt Lorenz. Aber wie spielt man nun eine Projektionsfläche? „Regisseurin Barbara Frey und ich haben viel darüber diskutiert. Diese Eva ist eine Zauberin. Sie verzaubert die Menschen in Seebrücken, wo das Stück spielt. Was bedeutet das? Wie macht sie das? Es sind ja nicht nur ihre langen Beine und ihr kokettes Lachen. Letztendlich kann man das aber gar nicht in Worte fassen“, sagt sie. 

Anzeige
Anzeige

Langjährige Zusammenarbeit mit Barbara Frey

Mit Frey verbindet sie eine lange Zusammenarbeit, es ist bereits ihre sechste gemeinsame Produktion. Das „Automatenbüfett“ inszenierte die Regisseurin wie ein dunkles Märchen. Das Bühnenbild von Martin Zehetgruber wechselt zwischen einer sterilen, kühlen Atmosphäre in der Wirtshausstube (der Pianist kann ebenso durch eine Münze im Automatenschlitz „gekauft“ werden wie Bier und Wurstbrötchen) und einer magischen Welt am Teich. Das Ensemble, zu dem auch Maria Happel, Christoph Luser und Dörte Lyssewski gehören, tastete sich in diese Welt vor.

„Wir sind sehr körperlich an den Stoff herangegangen. Barbara Frey ist eine sehr genaue Beobachterin. Zunächst haben wir versucht, durch unsere Körperlichkeit einzutauchen. Dazu gehörte zum Beispiel zu probieren, wie die Figuren über die Bühne gehen und sich bewegen“, sagt Katharina Lorenz. Das Resultat ist ein erstaunlich vielseitiges  Körpersprachenvokabular, das die absurde Atmosphäre der Komödie unterstreicht.

Auch der Text war eine Suche. „Das Stück hat fast doppelt so viele Seiten. Wir haben es skelettiert, um den Kern freizulegen“, sagt Lorenz. Das „Automatenbüfett“ hat dadurch für die Schauspielerin jeglichen Kitsch verloren. So verstaubt – aus heutiger Sicht – manch volkstümliche Szene im Originaltext wirkt, so aktuell ist der Gedanke in Gmeyners Text. „Europa ist ein Pulverfass, in das jeden Moment der zündende Funke fallen kann“, schrieb die Österreicherin Anfang der Dreißigerjahre. 1935 musste die Jüdin nach England ins Exil gehen und kehrte nie zurück. Auf die Bühnen schaffte es ihr Werk erst Jahrzehnte später zurück, bis heute wird es selten aufgeführt.

Zuletzt war Katharina Lorenz im Wiener Akademietheater in Anna Gmeyners „Automatenbüfett" zu sehen - hier an der Seite von Annámaria Láng.

Foto: Matthias Horn

Covid-10 und Theater: Spiel ohne Nähe

Umso bedauerlicher, dass bereits nach der zweiten Vorstellung Schluss war – die Theater mussten wieder in den Lockdown. Bei dem vorerst letzten Schlussapplaus flossen im Ensemble Tränen. „Das geht schon ans Eingemachte, an die Psyche. Es ist bedrohlich. Dabei bin ich noch in einer privilegierten Situation, da ich fest angestellt bin. Freischaffende sind in einer prekären Lage“, sagt die Katharina Lorenz. Sie betont, dass die Situation ihrer Berufskollegen ernst genommen werden muss. Theater dürften nicht auf eine Stufe mit Spielhallen oder Vergnügungsparks gestellt werden, kritisiert sie: „Kunst ist Kommunikation, ein Ort der gedanklichen Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Debatten.“ Musik, Museen, Theater sind für Lorenz systemrelevant. Gerade Österreich betone seine Kultur, sagt sie: „Daher sollte mehr passieren, als sich nur mit ihr zu schmücken.“

Wie wird sich die Pandemie in die darstellende Kunst einprägen? Im Burgtheater wird ständig getestet. Das hat ein Spiel auf Nähe erlaubt. In Deutschland wurde hingegen meist mit Abstand gespielt. Lorenz überlegt und sagt: „Dieses Spiel auf der Distanz: Es ist möglich, dass das die darstellende Kunst ebenso verändert wie unsere zwischenmenschlichen Beziehungen.“

Akzeptiere bitte die Marketing Cookies, um diesen Inhalt zu sehen.

Cookie Einstellungen

Zur Person: Katharina Lorenz

Die deutsche Schauspielerin wurde in Leverkusen geboren. Ab 1999 ­absolvierte sie ihre Schauspielausbildung an der renommierten Otto-­Falckenberg-Schule in München. Seit der Spielzeit 2008/2009 ist sie am ­Wiener Burgtheater engagiert. Parallel dazu spielte sie in zahlreichen Kino- und Fernsehproduktionen, etwa als Kommissarin Sara Stein in der „Tel-Aviv-Krimi“-Serie. Die 42-Jährige ist mit ihrem Schauspielkollegen Peter Knaack verheiratet. 

Den Spielplan des Burgtheaters finden Sie hier

Weiterlesen

Automatenbüffet: Burgtheater und Kosmos Theater zum Berliner Theatertreffen eingeladen