Ihr Geheimnis gegen die Gewohnheit
Was tun gegen die Monotonie des Serien-Singens? Und gibt es diese Angst vor dem ersten gesungenen Ton? Anett Fritsch hat gerade mehrere Rollendebüts glanzvoll bestanden – darunter die Mimì an der Volksoper. Wir haben die Sopranistin getroffen.
Gibt es die Angst vor dem ersten gesungenen Ton? Bei Mario Lanza war es so schlimm, dass er manchmal einfach direkt vor dem Auftritt absagte.
Ich habe das nicht. Man fühlt sich jeden Tag anders, aber die Angst habe ich nicht. Ich singe ja keine Rollen, die ich nicht schaffen könnte. (Lacht.) Man muss darauf achten, dass man eine solide Technik hat und mit dieser gut durchs Leben und die Stücke kommt und vor allem seine Möglichkeiten und Grenzen gut einschätzen kann.
Mimì, Rosalinde – Sie haben einige Rollendebüts hinter sich. Haben Sie eine Bucket List für Rollen?
Es wäre vermutlich klug, eine Bucket List zu haben, weil sehr viel in Schubladen gedacht wird in unserem Geschäft. Ich bin der Typ, der lieber länger wartet, um sich dann auf der Bühne souveräner zu fühlen. Es hat viel mit persönlicher Reife zu tun. Es gibt Rollen, die brauchen das. Aber zurück zur Mimì: In der Vorbereitung zu Mimì habe ich so viel geweint.
Gott sei Dank geht es Ihnen auch so. Ich weine bei der „Bohème“ vor.
(Lacht.) Ich habe Puccini ehrlicherweise lange nicht an mich rangelassen, weil ich dachte, die überlegenere Musik sei Barock bis Mozart. Frei nach René Jacobs: Nach Schubert ist nichts mehr. Ich habe es als Kitsch abgetan, aber das ist Käse. Es ist eine so tiefe Musik. Gerade habe ich in Berlin Wagner singen dürfen und bin jetzt auch mit dieser Musik infiziert – diese Verbindung von Wort und Musik, von Bewusstsein und Unbewusstsein. Ich bin ja emotionaler Wagner-Anfänger.
In einer Kritik wurde Ihre Stimme als „lyrische Noblesse“ bezeichnet …
(Lacht.) Ja, das klingt in der Tat großartig. Aber leider gilt auch: Noblesse oblige.
Es gibt den Satz, dass es eine große Tragödie ist, dass Sänger nie in den Genuss der eigenen Stimme kommen.
Ich weiß nicht, ob das eine Tragödie ist. Ich genieße meine Stimme auch von innen. Es ist nur schade, dass wir Sänger sie nicht besser kontrollieren können. Als ich noch sehr jung war, hat mir ein Dirigent gesagt: „Anett, du musst aufhören, deine Stimme selber zu genießen, du sollst für uns singen.“ Das war nicht unwichtig. Ich habe es damals so genossen, die Töne zu produzieren, und hab dann die Augen zugemacht. Es war wie eine Massage. (Lacht.) Meine Stimme ist meine Stimme, und die ist mein ganzes Ich. Mich ärgert, wenn die Worte nicht durchdrungen sind von dem, was man singt. Die Farben der Stimme kommen durch das Empfinden der Worte, die ich meine. Mir ist eine Stimme, die nicht perfekt ist, aber wo ein Mensch dahintersteht, der spielt und empfindet, lieber als jene, wo man merkt, da ist nur mehr eine Hülle, die da tönt.
Sie singen oft eine Rolle viele Abende hintereinander. Wird das nicht langweilig?
An Abenden, an denen ich mich nicht so gut fühle, bekomme ich oft die Rückmeldung, dass es großartig war. Warum? Weil ich besonders konzentriert bin. An Tagen, an denen ich die Welt niederreißen möchte, hängt es manchmal, weil ich unfokussiert bin. Ich gebe mir immer eine Aufgabe, wenn ich etwas oft spiele, weil es zäh werden kann, eine Emotion herzustellen. Einmal nehme ich mir vor, die Rolle ein wenig burschikoser zu machen, ein anderes Mal zarter. So bleibe ich wach. Ich liebe es auch, wenn Dirigenten vor einer Vorstellung zu mir kommen und sagen, was ich besser machen könnte als am Vorabend.
Wie ist Ihr Verhältnis zur Probenarbeit?
Ich liebe Probenarbeit. Es ist die Freude an der gemeinsamen Konzentration. Es ist dieses „Das haben wir besprochen, das haben wir gemacht, das hat geklappt“, und dann geht man raus und genießt die Energie des „Jetzt gibt es kein Zurück“ der Vorstellung.