„Wir wollen das, was stattfand, diskutieren und würdigen und darüber sprechen, was möglich und was nicht möglich war“, antwortet Yvonne Büdenhölzer, Leiterin des Berliner Theatertreffens, gegenüber der „Süddeutschen Zeitung" auf die Frage, ob ein Theatertreffen in diesem Jahr überhaupt Sinn macht. Möglich waren in jenen Phasen des vergangenen Jahres, die von der Stilllegung des Kulturbetriebs geprägt waren, in erster Linie Inszenierungen, die digital stattfanden. Deshalb hat die Jury zum ersten Mal in der Geschichte des Theatertreffens auch diese berücksichtigt. 285 Inszenierungen hat die Jury insgesamt gesichtet. In „normalen" Jahren seien es um die 400.

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„Automatenbüfett" und „NAME HER" in der Auswahl

Das Berliner Theatertreffen hat zwei Produktionen aus Österreich auf die Liste der zehn „bemerkenswertesten Inszenierungen“ gesetzt. Anna Gmeyners viel zu selten gespieltes Stück „Automatenbüfett“ in einer Inszenierung von Barbara Frey am Akademietheater. Und die Produktion „NAME HER. Eine Suche nach den Frauen +“ mit Anne Tismer am Kosmos Theater. In der siebeneinhalb Stunden dauernden Performance, die am 2. Oktober auf der Bühne des Kosmos Theater Premiere feierte, begibt sich die Performancekünstlerin auf die archäologische Mission einer Geschichtsschreibung aus weiblicher Sicht. Auf der Suche nach prägenden Frauen werden alle beim Namen genannt. Und zwar auch jene, die bislang unerwähnt geblieben sind. Das Adjektiv „namhaft" erfüllt sich nämlich nur dann, wenn all die Frauen, die unsere Geschichte geprägt haben, auch mit ihrem Namen erwähnt werden. In „NAME HER“ wird gegen eine Geschichte angespielt, die sich definitiv nicht von selbst geschrieben hat. Sie basiert vielmehr auf struktureller Ungleichheit.

Ein zweites Leben

Die Uraufführung von Anna Gmeyners „Automatenbüfett“ fand 1932 statt. Seither sah man das Stück nur selten auf den Spielplänen. Im vergangenen Herbst wurde es von Regisseurin Barbara Frey und ihrem fulminanten Ensemble wieder zum Leben erweckt. Es spielten Michael Maertens, Katharina Lorenz, Maria Happel, Christoph Luser, Dörte Lyssewski, Annamária Láng, Robert Reinagl, Hans Dieter Knebl und Daniel Jesch. Darum, wie es sich anfühlt, ein zweites Leben geschenkt zu bekommen und inwiefern dieses selbstgesteuert oder von Projektionen beherrscht ist, geht es unter anderem auch in diesem Stück. Insgesamt erinnert „Das Automatenbüfett" sehr an die Ästhetik Ödön von Horváths.

Seit 2019 gilt für die ausgewählten Stücke des Berliner Theatertreffens eine Quote. Nach dieser müssen mindestens 50 Prozent der Regieposten von Frauen besetzt sein. Mit insgesamt sechs weiblichen Regiepositionen konnte das auch diesmal eingehalten werden. Außerdem hat man sich dazu entschlossen, die Quote um weitere zwei Jahre zu verlängern. Ob das Theatertreffen wie im vergangenen Jahr online oder vor Publikum stattfinden wird, ist zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht klar.  

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