Ein guter Rutsch: „Jeeps“ setzt Erbmassen in Bewegung
In Nora Abdel-Maksouds Stück „Jeeps“ sorgt eine Erbschaftslotterie für eine Umverteilung von Geld und Chancen. Anna Marboe bringt den vor Sprachwitz strotzenden Text auf die Bühne des Kosmos Theaters.
Während beim Thema Einkommen schon Babysteps in Richtung Transparenz zu verzeichnen sind (vom Typ „Milchglas“ zwar, aber immerhin), stehen beim Erben die Zeichen nach wie vor auf Verschwiegenheit. Über potenzielle Erbmassen oder deren Abwesenheit wird kaum gesprochen. „Das könnte auch daran liegen, dass sich jedes Gespräch darüber automatisch auch immer um den Tod dreht“, merkt Anna Marboe an. Möglicherweise einer der Gründe, die für zusätzliche Trübnis in der Sache sorgen.
Die Regisseurin und Musikerin inszeniert im Kosmos Theater das Stück „Jeeps“, das sich mit sehr viel Sprachwitz und Selbstironie mit dem Erben auseinandersetzt. Auch für Schauspielerin Tamara Semzov, die zum „Jeeps“-Ensemble gehört, stecken in der Tatsache, dass niemand darüber spricht, wie es um das eigene Erbe bestellt ist, viele spannende Fragestellungen. Eine Sache steht jedoch außer Frage: Es gibt eine offensichtliche Ungleichheit, die unter anderem dazu führte, dass rund ein Prozent der österreichischen Bevölkerung fast 50 Prozent des gesamten Vermögens besitzt.
Erbschaftslotterie
Nora Abdel-Maksoud schlägt in „Jeeps“ eine auf den ersten Blick etwas ungewöhnliche Reform zur Umverteilung vor: Eine Erbschaftslotterie, bei der das Arbeitsmarktservice die vorhandene Erbmasse neu verteilt. Die Maßnahme stößt naturgemäß nicht nur Begeisterung. „Es ist spannend, dass die Verteilung, wie sie im Zuge der Lotterie stattfinden soll, als unfair empfunden wird, obwohl es vor vornherein keine faire Sache ist. Schließlich ist es Zufall, ob ich in eine wohlhabende oder in eine weniger wohlhabende Familie hineingeboren werde. Aber wir haben uns einfach daran gewöhnt, dass das Eigentum unserer Eltern auch uns gehört“, so Marboe.
Obwohl sich das Stück mit genau dieser Ungerechtigkeit beschäftigt, geht es nicht darum, mit dem Zeigefinger auf „die da oben“ zu zeigen. „Weil der Text eine große Portion Selbstironie enthält, passiert das auch nicht“, ergänzt die Regisseurin. Sie fände es heuchlerisch, das Problem einfach nur auf die von der realen Geburtslotterie Begünstigten zu verlagern. „Schließlich machen auch wir das Stück aus einer privilegierten Position heraus. Es ist ein gesamtgesellschaftliches Thema.“
Brüche in den Figuren
Zur Selbstironie gesellt sich in „Jeeps“ eine ordentliche Dosis Situationskomik, merkt Tamara Semzov an. „Die Figuren wirken im ersten Moment sehr klischee- und schablonenhaft, doch das wird immer wieder durchbrochen. Dadurch wirken sie auch niemals platt oder oberflächlich“, fügt die Schauspielerin hinzu. An ihrer Figur, einer jungen Erbin, deren Vermögen verlost werden soll, findet sie unter anderem spannend, dass sie aufgrund des gesellschaftlichen Tabus, permanent am Tiefstapeln ist. „Sie gehört zu jenen Menschen, die zwar gewisse Privilegien haben, aber trotzdem nur Campingurlaube machen und während dem Studium in einer Bar kellnern“, fügt Semzov hinzu. „Mir ist die Figur eher fremd, dadurch habe ich sehr viel Freiheit sie zu interpretieren, ohne mich über sie lustig machen zu wollen.“
Zur Person: Anna Marboe
1996 in Wien geboren, studierte Anna Marboe, die als Musikerin unter dem Künstlernamen Anna Mabo aufritt, Schauspielregie am Max Reinhardt Seminar. Sie hat bereits am Schauspielhaus Wien, am Landestheater Niederösterreich, am Landestheater Linz und am Wiener Volkstheater inszeniert. Im Frühjahr ist ihr zweites Album mit dem Titel „Notre Dame“ erschienen.
„Man muss es sich leisten können, so zu tun, als wäre man arm. Gerade in Künstler*innenkreisen ist es einfach unsexy zu sagen, dass man bürgerlich aufgewachsen ist. Deshalb stapelt man lieber tief“, ergänzt Anna Marboe. Nach einer kurzen Pause setzt sie nach: „Gerade bei Viktoria ist es so, dass man sich gar nicht mit ihr identifizieren möchte, aber vermutlich ist sie an vielen Zuschauer*innen näher dran als die meisten anderen Figuren im Stück.“
Themen wie Chancengerechtigkeit auf einer Theaterbühne zu verhandelt, lädt auch dazu ein, diese in Bezug auf den Theaterbetrieb genauer unter die Lupe zu nehmen. Obwohl viele Häuser derzeit versuchen ihre Ensembles diverser aufzustellen, ist der Zugang zur Theaterwelt noch immer alles andere als niederschwellig, findet Tamara Semzov. Für die Schauspielerin beginnt das Problem schon in der Schule. „Es gibt viele Schüler*innen, die gar nicht mitbekommen, dass man Schauspiel oder Regie studieren kann. Mir ist es da ähnlich ergangen. Ich komme aus einem eher kunstfernen Haushalt und habe während der Schule begonnen, ein bisschen Theater zu spielen. Bis eine ältere Schülerin einmal meinte, dass man Theater auch studieren kann, dachte ich immer, dass es einfach ein schönes Hobby wäre. Als sie mir vom Studium erzählte, kam mir das im ersten Moment total abstrakt vor.“
Die Kunst gibt es nicht
In „Liebe / Eine argumentative Übung“ haben Anna Marboe und Tamara Semzov schon zusammengearbeitet. Das Stück von Sivan Ben Yishai wurde in der vergangenen Spielzeit ebenfalls am Kosmos Theater aufgeführt. Die Frage nach dem wichtigsten Aspekt in der gemeinsamen Arbeit an einem Stück beantworten die beiden beinahe unisono: Kommunikation. „Schon bei ‚Liebe‘ hatte ich das Gefühl, dass ich Dinge ausprobieren kann und es außerdem einen ehrlichen inhaltlichen Austausch gibt. Auch jetzt arbeiten wir wieder an einem Thema, das wichtig und relevant ist, haben gleichzeitig aber unglaublich viel Spaß dabei. Das empfinde ich als großes Geschenk“, erzählt Tamara Semzov.
Mit wie viel Konzept Anna Marboe in ihre Regiearbeiten geht? „Man will immer das, was man nicht hat. Und ich würde mir wünschen, dass ich manchmal ein bisschen mehr Konzept hätte“, erklärt sie lachend. Bei der Lektüre von „Heilige Schrift I“, dem vor wenigen Monaten erschienenen Total-Tagebuch von Wolfram Lotz, sei ihr diesbezüglich aber vor kurzem ein Stein vom Herzen gefallen. „Er schreibt, dass er es nicht versteht, wenn Leute immer so tun als gäbe es die Kunst, denn die Kunst gibt es nicht. Sie entsteht“, zitiert Anna Marboe den Dramatiker. Genauso fühlt sich für die Regisseurin auch die Arbeit an einer Inszenierung an. „Ich habe zwar eine ungefähre Vorstellung und weiß auch, dass wir das Schiff in etwa in Richtung Süden steuern, aber ich kenne das konkrete Ziel und die möglichen Abweichungen noch nicht“, bringt sie ihre Herangehensweise auf den Punkt. All diese Dinge ergeben sich für die Regisseurin erst in der gemeinsamen Arbeit. Es sei jedoch manchmal gar nicht so einfach, für Vorschläge und Ideen offen zu sein und gleichzeitig kein Gefühl von Verlorenheit aufkommen zu lassen. Vertrauen sei, da sind sich Anna Marboe und Tamara Semzov einig, bei dieser Gratwanderung das Um und Auf.
Leichtigkeit
Dem Erwartungsdruck, der Komödien gerne zugeschrieben wird, sehen die beiden gelassen entgegen. Die Gewissheit, dass es wirklich lustig ist, haben wir ohnehin erst, wenn wir es spielen, meint Tamara Semzov, die sich diesbezüglich aber keinerlei Sorgen macht. „Weil ich nicht das Gefühl habe, dass wir es wie eine Komödie inszenieren, sondern das Komische eher automatisch passiert – durch den Text, die Situationen und den Sprachwitz.“
Anna Marboe findet nicht, dass die Komödie per se die schwierige Gattung sei. „Ich glaube, dass es davon abhängt, was für ein Typ Mensch man ist. Wenn man wenig Selbstironie hat, empfindet man lustige Stücke vielleicht als herausfordernder. Ich habe eher das Problem, dass ich mich selbst manchmal sogar zu wenig ernst nehme.“
Eine gewisse Leichtigkeit ist ihr auch dann wichtig, wenn es darum geht, Menschen Fehler zu verzeihen. Am Theater würde das nämlich viel zu selten passieren. „Menschen machen nun mal Dinge falsch. Wenn man das dem Theater mehr erlauben würde, wäre es lebendiger“, ist sie überzeugt. Ein bisschen so, wie bei Lachanfällen während der Probenarbeit. Die haben auch dann Platz, wenn es – wie in „Jeeps“ – um ein hochaktuelles und wichtiges Thema geht.
Zur Person: Tamara Semzov
Tamara Semzov wurde 1992 in Charkiw in der Ukraine geboren. Sie studierte Schauspiel an der Kunstuniversität in Graz und schloss die Ausbildung 2015 ab. Sie war mehrere Jahre am Schauspielhaus Graz engagiert. Seit der Spielzeit 2019/20 arbeitet sie frei und lebt in Wien.