Rebecca-Premiere: Mark Seiberts Zukunft, Koalitionskrise & ein peinlicher Fan
Die BÜHNE war bei der Premiere des Musicals „Rebecca“ im Raimund Theater: ein Therapieabend gegen die Dramatik und Frustration des Jetzt.
Ich mag es, wenn die große Politik ganz klein wird, wenn das Bodenständige bei der Bewertung unserer Volksvertreter*innen durchknallt. „Wirst schon sehen, es gibt demnächst einen fliegenden Koalitionswechsel. Bald haben wir wieder eine große Koalition.“
Wissend schaut der Mann in der Reihe vor mir seine Partnerin an, die verblüfft zurückstarrt. „Da schau: Die Edtstadler hat ein rotes Sakko an.“
Er nickt ernst und seine Begleiterin dreht sich irritiert weg und vertieft sich im Programmbuch zu Rebecca. War das jetzt der Moment, in dem sie endgültig den Respekt vor ihrem Mann verloren hat, oder ist sie einfach hingerissen von seiner Brillanz?
Karoline Edtstadler, ÖVP-Ministerin für EU und Verfassung, war gerade an uns vorbeimarschiert. Und tatsächlich: rotes Sakko zu schwarzer Hose. Oder war es rotes Sakko zu schwarzem Rock? Ich schau nie so genau. Egal. Falls tatsächlich Rot/Schwarz kommt, dann können Sie später behaupten Sie hätten es in der BÜHNE zuerst gelesen.
Warum Sie das in einer Kritik zu einer Premiere lesen müssen? Weil Theater bei Premieren oftmals nicht nur auf der Bühne stattfindet. Deshalb. Aber jetzt geht es los.
Performance auf Welt-Niveau
Also: Premiere des Hit-Musicals „Rebecca“ im Raimund Theater. Oder wie Willemijn Verkaik alias Mrs. Danvers so großartig singt: „Rebeeeeeeeccaaaaaaaa“. Sie müssen bei dem „eeeeee“ ein bisschen mit der Stimme raufgehen, dann passt es.
Unser Fazit vorneweg: Gehen Sie hin! Unbedingt.
Wenn Sie Rebecca nicht kennen: Rebecca de Winter stirbt. Ihr Mann Maxim lernt bei einer Reise eine junge Amerikanerin kennen, heiratet sie. Als er zurück auf sein Gut Manderley kommt, wird seine junge Frau von der bösen Haushälterin Mrs. Danvers gemobbt: Denn alle liebten Rebecca.
Am Ende kommt raus, dass Rebecca eigentlich ziemlich böse war, ihr Tod nicht ganz freiwillig oder vielleicht doch ... Das Haus brennt nieder. Happy End. Daphne du Maurier hat das großartige Buch geschrieben, Hitchcock einen großartigen Film gemacht und Michael Kunze und Sylvester Levay das Hit-Musical.
Ich hatte einen dieser Tage: Büro nervend. Schlagzeilen anstrengend. Stromrechnung hoch. Und dann Rebecca. Man muss Musical nicht mögen, aber an diesem Abend hat das Raimund Theater gezeigt, dass hier auf Welt-Niveau gespielt wird.
Exzellente Besetzung
Meine Szenen des Abends waren nach der Pause (da war ich dann endgültig vom Tag eingenordet). Die böse Mrs. Danvers ( Willemijn Verkaik) und die neue Mrs. de Winter (Nienke Latten) stehen am Balkon von Manderley. Das viele Meter hohe Fenster/Balkon-Bühnenbild ist von tausenden vom Herbst rot gefärbten Weinblättern umrankt und sie singen ein Duett. Klingt unspektakulär. Ist es nicht.
Wer immer dieses Bühnenbild gebaut hat: Ich verneige mich! Wer immer hier das Licht gesetzt hat: Ich verneige mich! Wer immer der/die Tonmeister*in ist: Ich verneige mich! Wer auch immer diese Kostüme genäht hat: Ich verneige mich! Hier zeigen das neu renovierte Theater, das unglaubliche Orchester, die Bühnentechnik ihre ganze Brillanz. Dazu die Stimmen der beiden Darstellerinnen – selbst für eingefleischte Opernfans, wie mich – zum Niederknien schön, in jeder feinsten Nuance voll am Punkt. Bravo.
Kurz danach die nächste Szene: Das versenkte Schiff von Rebecca wird am Strand gesichtet. Die Dorfbewohner*innen sind am Meer. Maxim de Winter (Mark Seibert) ebenso. Alle sind ganz aufgeregt. Und hier die nächste Verbeugung: Das Rebecca-Ensemble ist einfach bis in die kleinste Rolle exzellent besetzt. Das kriegt nicht einmal das Westend besser hin.
Reeeeeeebeeeeeeccccaaaaa
Und Mark Seibert? Wie der Musical-Liebling die Szene spielt, in der er seiner jungen Frau alles über den Tod von Rebecca erzählt, ist so berührend gut, dass man sich fragen muss: Warum hat noch immer kein TV-Produzent Seibert für eine TV-Serie als Hauptdarsteller gecastet? Schlafen die alle in der Pendeluhr? In der Serie sollte dann auch gleich Ari Sas mitengagiert werden. Sas spielt den verrückten Ben so zurückgenommen und zärtlich, dass es rührt. Ana Milva Gomes ist sowieso eine Liga für sich. Sie spielt nicht. Sie ist Mrs. Van Hopper und zeigt einmal mehr, was für eine Entertainerin sie ist. Boris Pfeifer ist als Jack Favell so widerlich, dass man ihn eigentlich von der Bühne schlagen möchte, würde man nicht wissen, dass er einfach nur genial spielt.
Ich habe übrigens in der Pause Freund und Roncalli-Direktor Bernhard Paul von hinten freundschaftlich auf die Schulter geschlagen. Es war aber Komponist Sylvester Levay. Es tut mir leid. Aber diese Ähnlichkeit des Hinterkopfs ...
Peinlich war ich ansonsten nicht mehr. Nur beim Heimfahren in der U-Bahn ist es dann passiert: Plötzlich sang mein Mund ein lautes „Reeeeeeebeeeeeeccccaaaaa“. Es muss die Dankbarkeit meines Großhirns gewesen sein, dass Rebecca meinen Horror-Tag dann doch noch zum Schönen gedreht hat. Was sich wohl die anderen Fahrgäste gedacht haben? Vermutlich: Ah, noch so ein verrückter Musical-Fan. Meine Schuld? Nö. Hätten Seibert, Latten, Verkaik und Co nicht so gut gesungen …