Wunderbarer Theaterstoff: Die Kostüme für „Jenůfa“
Leoš Janáčeks Oper ist am Theater an der Wien ein Schauspiel für alle Sinne. Kostümbildnerin Jorine van Beek und Doris Maria Aigner, Leiterin der Abteilung Kostüm und Maske der Vereinigten Bühnen Wien, geben Einblick in ihre facettenreiche Arbeit.
Am Anfang steht immer eine Frage. „Willst Du mit mir arbeiten?“, adressiert der Regisseur / die Regisseurin an den Kostümbildner / die Kostümbildnerin. Wird diese von der Gegenseite mit „Ja!“ beantwortet, gehen beide für die nächsten eineinhalb Jahre eine fixe Zweckgemeinschaft, aus der durchaus auch Liebe werden kann, ein.
Im Falle der Oper „Jenůfa“ am Theater an der Wien wurde Jorine van Beek, niederländische Kostümbildnerin von internationalem Renommee, von Lotte de Beer, Regisseurin gleicher Nationalität und ab der nächsten Saison Direktorin der Volksoper, obige Frage gestellt. „Mit Lotte habe ich schon oft gearbeitet“, so Jorine van Beek. „Sie erzählt mir ihre Ideen, wie sie das Stück anlegen will. Dann beginnen wir, uns auszutauschen. Danach haben wir meist einen Monat lang keinen Kontakt, in dieser Zeit sammle ich meine eigenen Ideen und mache ihr Vorschläge.
In weiterer Folge erarbeiten wir ein Konzept, in das auch der Bühnenbildner eingebunden wird, denn unsere Arbeit wird gegenseitig beeinflusst, und am Ende muss das große Ganze stimmig sein.“ Das sei wichtig, ergänzt Doris Maria Aigner, würden die Inhalte der Regie doch auch durch das Erscheinungsbild sichtbar. „Wo ist das Stück verortet? Ist der Kontext ein historischer oder spielt Mozart im 21. Jahrhundert? Darauf beruht ein großer Teil des Geschichtenerzählens.“
Organisation. Konzentration. Geduld.
Für den eigentlichen Prozess der Erstellung eines Kostümbildes braucht man einen langen Atem. Ein rastloser Charakter wäre für diesen Job sehr wahrscheinlich nicht geeignet. Erst sammelt Jorine van Beek Bilder, kreiert ein Mood Board, spricht mit der Regisseurin darüber, wie die jeweiligen Charaktere ausschauen sollen. „Auch das Sänger-Casting beeinflusst meine Arbeit, denn es macht einen Unterschied, ob jemand klein, groß, schlank oder eher breit gebaut ist.“ Irgendwann sind die Bilder im Kopf so spezifisch, dass sie damit beginnen kann, Figurinen zu skizzieren. Wieder äußert die Regisseurin ihre Einschätzung, manchmal muss noch abgeändert werden – „und irgendwann ruft mich Doris an und nennt mir den Abgabetermin“, lacht Jorine van Beek, „bis dahin muss ich ein glasklares Konzept haben, das nun umgesetzt werden kann.“
Jetzt, etwa ein Jahr vor der geplanten Premiere, kommt die Kostümabteilung, und mit ihr deren Leiterin Doris Maria Aigner, ins Spiel. Etwa 120 Kostüme werden für „Jenůfa“ benötigt, nicht alle können angefertigt werden, das allein würde den Budgetrahmen sprengen. Außerdem versucht man, so nachhaltig wie möglich zu arbeiten. Manches wird eingekauft, vieles davon second hand, so viel wie möglich kommt aus dem Fundus. Jorine van Beek und Doris Maria Aigner gehen die Figurinen durch und besprechen dann detailliert bis hin zur Unterwäsche jedes einzelne Kostüm. „Wie soll die Schnittführung sein? Welche Materialien benötigen wir? Das wird alles genau besprochen, weil ich immer das Budget im Blick habe muss“, erläutert die Leiterin der Kostümabteilung. Nun folgen Gespräche mit den Werkstätten, das Theater bestellt die Stoffe und das Zubehör, übermittelt die Maße, schickt Fotos der Darsteller.
Zur Person: Jorine van Beek
Die gebürtige Niederländerin wollte schon als Kind Kostümbildnerin werden, studierte an der Kunstakademie in Maastricht, wo sie sich auf Kostümentwurf spezialisierte, und später an der Wimbledon School of Arts in London. Seit 14 Jahren arbeitet sie als freiberufliche Kostümbildnerin – u.a. für die Bayerische Staatsoper in München, die Staatsoper Hannover, die Opéra National de Paris, The Israeli Opera, das Gran Teatre del Liceu in Barcelona und das Theater an der Wien.
Probieren. Ändern. Finalisieren.
Zwei Wochen vor Probenbeginn des Stücks werden die ersten Anproben abgehalten. „Wir beginnen mit dem Chor und bestellen die Mitglieder einzeln her, sechs bis acht Leute pro Tag“, so Doris Maria Aigner. Jorine van Beek ist ebenfalls vor Ort, auch die Verantwortlichen der Werkstätten. „Es sind anstrengende Tage, aber es macht auch viel Spaß“, ergänzt die Kostümbildnerin, „manchmal sieht etwas anders aus, als man sich das vorgestellt hat, und man muss rasch eine andere Lösung suchen. Ich dekoriere um, erfinde dazu, lasse weg.“ Die Werkstätten nehmen nun alles wieder mit, um die festgelegten Änderungen der ersten Anproben umzusetzen. Im Idealfall ist der Chor nunmehr fertig.
Die erste von zwei vorgesehenen Anproben für die Solisten folgt zu Probenbeginn. Etwa fünf Wochen vor der Premiere. „Man muss diese Phase sehr ernst nehmen, denn jeder hat einerseits eine gewisse Vorstellung von sich, andererseits müssen wir schauen, dass die Anforderungen der Kostüme gewährleistet bleiben. Das ist ein künstlerisch und praktisch intimer und sensibler Punkt", so Doris Maria Aigner. Bei der zweiten Anprobe sind die Kostüme optisch bereits fertig, man kann aber noch Änderungen vornehmen. „All die Kostüme, an denen man eineinhalb Jahre gearbeitet hat, sieht man zusammen erst bei der Klavierhauptprobe, die etwa sieben bis zehn Tage vor der Premiere stattfindet“, erklärt Jorine van Beek das Finale ihrer Arbeit. Im Fall von „Jenůfa“ kam noch eine Besonderheit hinzu. Alle Kostüme wurden am Schluss bemalt.
„Das Stück beginnt in der Regie von Lotte de Beer fünf Jahre nach dem Kindsmord. Die Küsterin hat Jenufas Kind getötet und sitzt im Gefängnis. Die Ereignisse spielen sich rückblickend in ihrem Kopf ab. Ich habe mir Gedanken gemacht, wie man das abbilden könnte und bin zum Schluss gekommen, über alle Kostüme noch eine Farbschicht darüberzulegen, so, als wäre man in einem Albtraum“, skizziert Jorine van Beek ihre außergewöhnliche Idee. Außer bei den Kostümen der Frauen im Gefängnis, da diese die Realität repräsentieren.
Was passiert mit den Kostümen, wenn eine Produktion abgespielt ist? „Nach der letzten Vorstellung wird das gesamte Kostümbild gereinigt, wieder zusammengestellt und archiviert“, erklärt Doris Maria Aigner. „Oft schaut man, ob man eine Produktion und somit auch das Kostümbild verkaufen oder vermieten kann, in diesem Fall wird es an andere Häuser verschickt. Wird das Kostümbild nicht verkauft – und das Stück nicht wieder aufgenommen –, wird es aufgelöst und kommt in den Fundus. So werden die Kostüme in anderen Produktionen weiter verwendet.“
Jorine van Beek verabschiedet sich in der Regel unmittelbar nach der Premiere von ihren Kreationen. „Es gibt aber auch Kostüme, die mich schon jahrelang begleiten, weil die Produktionen um die Welt reisen. Da bin ich dann schon auch stolz darauf.“ Doris Maria Aigner ist es wichtig zu erwähnen, dass wirklich nichts weggeworfen wird. „Es gibt am Theater an der Wien Produktionen, bei denen zwei Drittel der Kostüme aus dem Fundus stammen.“
Zur Person: Doris Maria Aigner
Die gebürtige Oberösterreicherin studierte Mode und begann unmittelbar darauf in der Kostümmalerei der Österreichischen Bundestheater zu arbeiten. Nach Assistenzen und Produktionen an internationalen Häusern, wie z.B. bei den Salzburger Festspielen oder im Burgtheater, war sie viele Jahre lang auch als Kostümbildnerin für Theater, Oper und Film tätig. Ab 2006 baute sie am Theater an der Wien die Kostümabteilung auf, als deren Leiterin sie bis heute fungiert. Das Gleiche gilt auch für die Kostüm- und Maskenabteilung der Vereinigten Bühnen Wien, die sie seit 2008 leitet.
Annehmen. Absagen. Ausführen.
Jorine van Beek übernimmt etwa sieben Produktionen pro Jahr. „Ich habe Kinder und kann nicht alles machen. Manchmal überschneiden sich die Dinge auch, wobei man nicht zwei große Produktionen parallel schaffen kann. Bei manchen Anfragen muss man auch Nein sagen können.“ Doris Maria Aigner ist bereits in intensiver Planung für die kommende Saison. Bis jetzt waren es durchschnittlich 14 Produktionen pro Saison, die sie mit ihrem kleinen Team, das im Wesentlichen aus drei Produktionsleiterinnen besteht, im Theater an der Wien und der Kammeroper bestreitet. Beide lieben die Welt des Theaters, die Seele der Oper.
„Nur“ Mode zu machen, käme, bei aller Wertschätzung für dieses Genre, nicht infrage. Auch Film – mit dem sowohl Jorine van Beek als auch Doris Maria Aigner viel Erfahrung haben – finden sie weniger reizvoll. „Ich habe zwar meinen Mann beim Film kennengelernt, aber es ist nicht mein Metier“, so Jorine van Beek. „Vieles ist Dressing, also einkaufen und anziehen, das mag ich nicht so gerne. Ich arbeite lieber mit Historie und Phantasie. Beim Theater ist doch gerade der Prozess so schön, Ideen zu suchen und diese mit den Ideen anderer zusammenzubringen. Man kann einander inspirieren. Das ist großartig.“ Klare Worte zu ihrer Präferenz findet auch Doris Maria Aigner. „Jedes Metier ist anders. An der Oper finde ich besonders attraktiv, dass man hier am ehesten ‚ein Bild malen‘ kann. Es ist deshalb so erfüllend, weil ich mich in der Oper am stärksten künstlerisch einbringen kann.“