Das Rezept für die Inszenierung von Thomas Bernhard: Man nehme ein bis zwei Bücher und eine Genehmigung, mische das Ganze mit viel Mut und mit über einem halben Jahr Arbeit – et voilà.

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Von dem gleichnamigen Roman adaptiert, kommt die neue Inszenierung „Ein Kind“ von Gerald Maria Bauer im Jänner auf die Bühne. Dass das Stück dabei am Freitag, dem 13., uraufgeführt wird, ist reiner Zufall. „Aber Thomas Bernhard ist schließlich bekannt für seine doppelte Negation“, sagt Bauer, den wir nach dem zweiten Probentag treffen. Wir sitzen auf der Probebühne im Keller des Theaters der Jugend, es ist für Zeiten wie diese ungewohnt warm geheizt. In den Regalen glänzen Requisiten, mitten im Raum steht unübersehbar ein altes Waffenrad.

Ein ähnliches wird es sein, mit dem das achtjährige Kind im Stück zu seinem ersten Fluchtversuch ansetzt, nämlich mit dem Steyr-Waffenrad seines Vormunds, um in das dreißig Kilometer entfernte Salzburg zu seiner Tante Fanny zu fliehen. Der Fluchtversuch scheitert, die Geschichte beginnt.

Gerald Maria Bauer
Der Mann hinter dem Versuch. Gerald Maria Bauer hat zwei Texte von Thomas Bernhard zu einem Theaterstück verwoben. „Man muss wissen, dass das, was man szenisch auf die Bühne bringt, ein Extrakt ist.“

Foto: Andreas Jakwerth

Inszeniert werden gleich zwei Autobiografien: „Ein Kind“, die Geschichte des Achtjährigen, der Verhältnisse, in denen er aufwächst, und der Beziehung zu seinem schreibenden Großvater – und „Der Keller. Eine Entziehung“, das Selbstporträt des Sechzehnjährigen, der die Schule abbricht und als Kaufmannslehrling eine Stelle antritt – alles unter der Maxime, „in die entgegengesetzte Richtung“ zu gehen. Zwei Ausbrüche in einem Stück quasi.

„Eine Autobiografie hat immer mehr damit zu tun, wie man sich sehen möchte oder wie man gesehen werden möchte, als das, was tatsächlich ist.“ Mit diesen zwei Facetten wird in Bernhards Werken gespielt, dabei erleben Zusehende den Schriftsteller ganz intim. Bauer geht in die Tiefe von Bernhards Seele: „Bei ‚Ein Kind‘, wenn man das so tiefenpsychologisch betrachten darf, hat man immer das Gefühl, er erzählt mehr von sich, als ihm lieb ist. Man hat ein bisschen das Gefühl, das ‚Es‘ schreibt mit.“

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Das Werk als Form der Selbsttherapie also. Ganz gemäß dem Bernhard’schen Motto: „Dann ist man’s los“. Wie man auf so ein literarisches Monument zugeht?

„Unbedingt“, kommt es prompt von Bauer, „unbedingt geht man darauf zu. Man muss auch wissen, dass das, was man szenisch auf die Bühne bringt, letzten Endes nur ein Extrakt ist, der umfassend ist und in alle Richtungen und Aggregatzustände ausschlagen kann. Weil wir es nicht nur mit einem literarischen, sondern auch mit einem rhetorischen Genie zu tun haben, nämlich Thomas Bernhard. Einem Menschen-verführer. Nein“, korrigiert sich Bauer, überlegt kurz, „einem Menschenbe-zwinger.“

Fünf Darstellerinnen und Darsteller stehen in dieser Inszenierung auf der Bühne. Eine Figur wird auf mehrere aufgeteilt, die sich im Stück gegenseitig beobachten. Dabei ist nichts per se dialogisiert, die Charaktere der Akteurinnen und Akteure werden nur durch Kostüm und Maske halb angedeutet.

Thomas Bernhard
Der Meister höchstpersönlich. Thomas Bernhard, einer der wichtigsten und erfolgreichsten Theater- und Buchautoren Österreichs. Er starb am 12. Februar 1989 in Gmunden.

Foto: Andreas Jakwerth

„Ich schreibe kein Wort um, sondern es ist letztendlich eine Versuchsanordnung in einem Raum“, betont der Dramaturg, denn: „Theater kann eines ganz fantastisch, nämlich nicht nur Worte, sondern auch Gedanken übertragen.“

Gerald Maria Bauer selbst ist früh mit Thomas Bernhard in Berührung gekommen. „Er ist ja auch Mutmach-Theater“, sagt er und unterstreicht dabei, wie wichtig der Autor für seine Pubertät war. „Es hat einen unglaublichen Sog, eine unglaubliche literarische Qualität, die es weder vorher noch nachher gab und die wirklich einzigartig ist.“ Am Ende führt das Interesse stets auf Bernhard zurück. „Also das schafft er mit seiner Literatur auch, dass man immer nur fragt: ‚Wer ist das, der das schreibt?‘.“

Es hat einen unglaublichen Sog, eine unglaubliche literarische Qualität, die es weder vorher noch nachher gab.

Gerald Maria Bauer Regisseur

Dabei wird nichts dazugedichtet. Nur ausgelassen, und das zwangsläufig, nicht bewusst. Die beiden Werke, die zusammen locker 130 Seiten umfassen, wurden im Zuge der Inszenierung gekürzt. Im Schriftbild übrig geblieben sind schlussendlich jeweils um die 30 Seiten. „Gerade bei einem Autor, dessen Stilmittel die Redundanz ist, ist es nicht so einfach, redundante Dinge zu streichen“, sagt Bauer.

Der Weg dahin war daher kein leichter. Gerald Maria Bauer muss schmunzeln, als er sagt, wie sehr er sich über die Genehmigung für die Inszenierung gefreut hat. „Das ging aber nicht ganz vorbehaltlos, was ich auch verstehen kann im Sinne des Halbbruders, wenn ein Theater ansucht und man sich dann vorstellt, dass Schauspieler über die eigene Familie spielen.“ Einen Brief an den Verlag und den überzeugenden Hinweis, Thomas Bernhard der jungen Generation näherbringen zu wollen, später kam dann die Antwort: „Binnen einer Dreiviertelstunde hatte ich die Genehmigung.“

Ein Kosmos, der Lust auf mehr macht

Motiviert ist Bauer auf jeden Fall, denn „man entdeckt und entdeckt und entdeckt“ in den Texten jeden Tag etwas Neues. Die Frage, ob der Dramaturg noch einmal Bernhard ausarbeiten und inszenieren möchte, will er aber erst nach der Uraufführung am 13. Jänner 2023 beantworten.

„Es ist vor allem, glaube ich, eine sehr mutige Entscheidung, einen Thomas Bernhard in Österreich auf die Bühne bringen zu wollen – weil es ja mittlerweile achteinhalb Millionen Experten gibt –, und noch dazu etwas, was Bernhard nicht fürs Theater geschrieben hat. Es ist eine große Herausforderung für die Darstellerinnen und Darsteller, diese unglaublich komplexen Schachtelsätze in eine souveräne Virtuosität zu bringen.“

Und was würde Bauer dem Schriftsteller heute über das Stück erzählen, wenn er könnte? Der Dramaturg lacht, dann überlegt er, es ist kurz still im Proberaum. „Dass es nicht darum geht, zu illustrieren, sondern letzten Endes darum, zu versuchen, seinen Gedanken zu folgen oder seine Gedanken zu vermitteln.“

Ob er Thomas Bernhard sagen würde, dass ihm das gelingt? „Das würde ich ihm bestimmt nicht sagen, aber er hätte hundertprozentig ein großes Verständnis dafür, dass man etwas wagt und daran scheitert.“ Also ganz im Sinne Bernhards: Hauptsache in die entgegengesetzte Richtung.

Zur Person: Gerald Maria Bauer

Der studierte Philosoph, Theater- und Musikwissenschaftler war u. a. bei den Wiener Festwochen, beim Steirischen Herbst und am Schlossparktheater Berlin engagiert. Seit 2002 ist er stv. künstlerischer Leiter und Chefdramaturg des TdJ. 

Zu den Spielterminen von „Ein Kind“ im Theater im Zentrum!