Die Theaterreform hat begonnen
Das ensemble-netzwerk setzt sich für bessere Arbeitsbedingungen für Theaterschaffende ein. Laura Kiehne und Jette Büshel über die Ziele des Netzwerks.
„You are not alone” steht in gelber Schrift auf dem Deckblatt der „Ziele 3000“, jenem Dokument, mit dem das 2015 gegründete ensemble-netzwerk seine Ziele nach außen kommuniziert. Und zwar nicht in Form eines trockenen Beschwerdebriefs, sondern farbenfroh, zukunftsgerichtet und von der eigenen Arbeit überzeugt. Das ist spätestens dann sonnenklar, wenn man auf der letzten Seite des Dokuments angekommen ist. „Die Theaterreform hat begonnen“ ist dort zu lesen. Gelb auf weiß. Dieser Zugang kommt nicht von ungefähr. „Wir wussten von Anfang an, dass es uns nicht darum geht, in der typischen Kantinen-Beschwerdekultur festzustecken“, erklärt Laura Kiehne. Bis Mai 2021 gehörte sie zum Vorstand des Netzwerks und war für die Pressearbeit verantwortlich. Momentan steht sie nicht mehr mit beiden Beinen in der Theaterwelt, sondern beschäftigt sich im universitären Kontext mit Fragestellungen zum Thema Leadership. Auch für das Theater besäßen viele der Punkte, mit denen sie sich gerade hauptberuflich beschäftigt, große Relevanz, merkt sie an.
Wir wussten von Anfang an, dass es uns nicht darum geht, in der typischen Kantinen-Beschwerdekultur festzustecken."
Laura Kiehne
Gegründet wurde das Netzwerk in einer Küche in Oldenburg. Die Schauspielerin Lisa Jopt und die damalige Regieassistentin Johanna Lücke entwarfen ebendort einen Aufruf zur Vernetzung. Seit 2016 ist das Ensemble Netzwerk ein eingetragener Verein. Das Hauptaugenmerk des Netzwerks lag zunächst auf den Arbeitsbedingungen und der Mitsprache des Ensembles bei künstlerischen und sozialen Fragen an öffentlich geförderten Theaterhäusern. Seither hat sich dieser Schwerpunkt immer wieder erweitert. „Die Ziele haben sich sogar sehr verändert“, erklärt Regie-Studierende Jette Büshel. Seit Ende Mai gehört sie zum neuen Vorstand des Netzwerks.
Sich vernetzen und voneinander lernen
„Am Anfang waren die Ziele aus der Perspektive der Schauspieler:innen formuliert. Das hat sich nach und nach immer mehr geöffnet und wir arbeiten nach wie vor daran, unsere Ziele breiter zu formulieren. Wir verstehen das Ensemble als alle Theaterschaffenden, die in irgendeiner Form am und mit dem Theater arbeiten.“ Das soll, wie Laura hinzufügt, auch das Verständnis dafür schärfen, wie viele verschiedene Gewerke an einer Produktion beteiligt sind. „Das ensemble-netzwerk soll auch ein Ort sein, an dem sich all die verschiedenen Gewerke treffen“, ergänzt Jette Büshel. Dadurch ergibt sich die Möglichkeit, sich zu Themen auszutauschen, für die im alltäglichen Theaterbetrieb zu wenig Zeit ist. Um auf die Interessen der einzelnen Gewerke besser eingehen zu können, haben sich im Laufe der Zeit immer mehr „Geschwister-Netzwerke“ gebildet. Zum Beispiel ein Theaterautor:innen Netzwerk und ein Dramaturg:innen Netzwerk.
Die Gründung des Netzwerks entstand weniger aus einer Initialzündung heraus als vielmehr aus Beobachtungen, die die Arbeitsbedingungen der Theaterschaffenden betreffen. Diese lassen sich, so Laura Kiehne, auf eine einfache Formel zusammenfassen: 50 % weniger Künstler:innen machen 50 % mehr Veranstaltungen für 50 % der Gage. Wie in den „Zielen 3000“ formuliert, arbeitet das ensemble-netzwerk deshalb in den folgenden vier Bereichen an Verbesserungen: Geld, Zeit, Teilhabe und Respekt. Einer der wichtigen Schritte auf diesem Weg ist das Sprechen über Geld und eine damit einhergehende Lohntransparenz. Gleichzeitig soll Macht gegen Verantwortung getauscht und traditionelle Glaubenssätze der Theaterfolklore aufgebrochen werden.
„Am Theater ist das eben so"
Dabei prallte das ensemble-netzwerk in der Vergangenheit immer wieder auf die Phrase „Am Theater ist das eben so“. Warum sie mit diesem Satz absolut nichts anfangen kann, begründet Vorstandsmitglied Jette Büshel folgendermaßen: „Das Schöne am Theater ist doch eigentlich, dass dieser Satz keinen Wert hat. Am Theater ist nichts so, sondern es ist so, wie wir es gestalten wollen. Das ist eigentlich der Kern der Sache. Deshalb ist es so wichtig, dass man sich vernetzt, voneinander lernt und verschiedene Arbeitsweisen kennenlernt.“ Außerdem wäre es wünschenswert, wenn die Liebe zur gemeinsamen Arbeit an einem Stück und nicht der Premierentermin oder der Druck, jeden Platz im Theater zu besetzen, die wichtigste Triebfeder wäre.
Es waren sofort Leute dabei, aber es gab auch Gegenwind und eine gewisse Vorsicht, die daraus resultierte, dass viele Menschen nicht wussten, wo sie unsere Arbeit einordnen sollen."
Laura Kiehne über den Start des ensemble-netzwerks
Die anfängliche Resonanz auf die Forderungen des Netzwerks war zweigeteilt. „Es waren sofort Leute dabei, aber es gab auch Gegenwind und eine gewisse Vorsicht, die daraus resultierte, dass viele Menschen nicht wussten, wo sie uns und unsere Arbeit einordnen sollen“, sagt Laura Kiehne. So gab es unter anderem Diskussionen, in denen es darum ging, dass das alles nicht finanzierbar sei und die Forderungen darauf abzielen würden, das Theater abzuschaffen. Wichtig war dem Netzwerk, dass von Anfang an klar ist, dass es um gemeinsame Gespräche geht und es nicht der grundsätzlichen Haltung des Vereins entspricht, eine Front hochzuziehen und gegen Theaterleitungen zu wettern. „Im Idealfall sitzen wir alle an einem runden Tisch“, bringt es Laura Kiehne auf den Punkt.
Forderung nach einer Tarifreform
An den 2018 formulierten Zielen hält das Netzwerk nach wie vor fest. „Wir verhandeln immer noch die Grundlagen“, fasst Laura zusammen. Allerdings haben einige Theater damit begonnen, in Eigenregie Teilaspekte umzusetzen. Beispielsweise hat das Theater Bremen ein Modell entwickelt, das zwei Jahre lang läuft und beinhaltet, dass alle am Haus angestellten Personen eine Mindestgage von 3000 Euro erhalten. Laura und Jette sind sich einig, dass das ein direktes Ergebnis ihrer Forderungen ist. Das Netzwerk war in diesem speziellen Fall beratend aktiv. „Trotzdem hat die Tarifreform, die wir fordern, noch nicht stattgefunden. Es hilft uns natürlich, dass Lisa Jopt nun Präsidentin der Genossenschaft Deutscher Bühnenangehöriger (GDBA) ist, trotzdem ist es mit Sicherheit ein Prozess, der noch dauern wird“, sagt Laura Kiehne abschließend. Bis es so weit ist, sind es all die kleinen Schritte, die dafür sorgen, dass Resignation und schlechte Laune im ensemble-netzwerk keinen Platz haben.
Zur Person: Zu den Personen:
Jette Büshel: Nach dem Abitur absolvierte sie, in der Spielzeit 2014/15, ein Freiwilliges Soziales Jahr Kultur am Schauspiel Frankfurt als Regieassistentin. 2018 begann sie ihr Regiestudium an der HfMDK Frankfurt.
Laura Kiehne: Studierte Schauspiel an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch. Engagements führten sie unter anderem ans Schauspiel Essen. Außerdem stand sie für die bekannte Fernsehserie „Babylon Berlin" vor der Kamera.
Weiterlesen
Von Ausflügen auf Augenhöhe: Zeynep Buyraç im Porträt