Händels Kampf um die Ressource Wasser
Das eine Volk dreht dem anderen das Wasser ab. Dazu Melodien, die zu Pop-Hits verarbeitet wurden. Das ist Händels Oratorium „Belshazzar“ – ein Meisterwerk voll aktueller Brisanz. Wir haben mit Dirigentin und Regisseurin gesprochen.
Wehe, wenn er wütend wurde. Nachdem sich Francesca Cuzzoni, eine der berühmtesten Sängerinnen ihrer Zeit, geweigert hatte, eine Arie zu singen, packte Georg Friedrich Händel die kreischende Diva und hielt sie so lange aus dem Fenster des zweiten Stocks, bis diese einlenkte und sang. Ein anderes Mal schleuderte er eine Pauke mit voller Wucht nach einem renitenten Geiger, der sich prompt und verletzt den Wünschen des Meisters beugte.
Anzunehmen, dass weder Ersteres noch Letzteres vor oder während der Premiere zu Händels Oratorium „Belshazzar“ stattfinden wird. Ein bisserl schade, finden Sie nicht? Als Händels Opern-Erfolgsära in London sich langsam dem Ende zuneigte, spezialisierte er sich auf das Komponieren von Oratorien – und schuf Cinemascope-artige Werke mit großen Chören. Die Themen: Stoffe aus dem Alten Testament. Das 1745 uraufgeführte Oratorium „Belshazzar“, um das es hier geht, erzählt vom Sturz des babylonischen Herrschers Belsazar durch die Perser.
Durch die Handlung zieht sich ein Religionsstreit zwischen den Babyloniern, die vielen Göttern huldigen und orgiastischen Ritualen zugewandt sind, und den an den einen Gott des Alten Testaments glaubenden Persern. Hinzu kommt ein drittes Volk – die von den Babyloniern gefangen gehaltenen, streng religiös lebenden Juden. Klingt alt, ist es nicht. Spätestens wenn zu Beginn des zweiten Teils die Perser den Euphrat umleiten, sind wir thematisch mitten in der Jetztzeit, im Verteilungskrieg rund um das immer kostbarer werdende Lebensgut Wasser.
Am 20. Februar feiert „Belshazzar“ Premiere im Musiktheater an der Wien. Regie führt Marie-Eve Signeyrole, dirigieren wird Christina Pluhar ihr Ensemble L’Arpeggiata. Endlich! Denn die in Graz geborene und seit dreißig Jahren in Paris lebende Musikerin ist ein Superstar im Barock-Segment – sie hat die Carnegie Hall zum Toben gebracht, aber noch nie in Wien gespielt.
Wer Pluhar zuhört, wenn sie über das Wunder Barock spricht, wird auch dann zum Fan, wenn er bis dahin keinen einzigen Ton gehört hat: „Diese Musik ist so menschlich, sie hat einfache harmonische und melodische Strukturen. Viele der Harmonien und Sequenzen, die Händel erfunden hat, findet man im Pop. Dazu kommt, dass alle Instrumente eine viel menschlichere Klangfarbe hatten, eine ganz besondere Wärme. Im 20. Jahrhundert hat man versucht, die Instrumente lauter zu machen, die Spannung der Saiten zu erhöhen, damit die Orchester noch lauter klingen. Im Barock hatte man nur ein Drittel der Spannung drauf.
Eine Stradivari, die mit einer Darmsaite bespannt ist und mit einem Barockbogen gespielt wird, entfaltet einen Klang, für den man mit einer modernen Geige viel mehr Kraft braucht. Die Resonanz ist anders. Denn diese wird nicht vom Kopf, sondern vom Körper wahrgenommen – die Vibrationen erfassen alle unsere Zellen. Die Klassik hat sich mit Schönberg an einen Punkt bewegt, der für das menschliche Ohr nur mehr schwer zu verstehen ist, weil sie sich ganz bewusst von den mathematischen Grundregeln der Musik, der Harmonielehre und der pythagoreischen Einteilung der Töne entfernt, und dadurch haben sich wieder viele Menschen der alten Musik zugewandt und entdeckt, was für unbegrenzte Kreativität in dieser Musik steckt.“
Na, habe ich zu viel versprochen? Suchen Sie bereits im Netz nach Beispielen für das eben Gesagte? Übrigens (Barockexpert*innen, werden es wissen): Mit Kreativität meint Pluhar, dass kein Abend wie der andere klingt. Pluhar: „Im 17. Jahrhundert hat man nicht viele Informationen auf das Notenblatt geschrieben – eine Melodienstimme, eine Basslinie und vielleicht ein paar Ritornelli. Es gibt ein musikalisches Gerüst, und auf dem wird dann improvisiert. Es ist wie bei einer Jazzpartitur, da haben Sie ein paar Harmonien, worauf die Musiker dann stundenlang improvisieren können. Man muss als Musiker*in ein sehr guter Improvisateur sein, um diese Musik spielen zu können. Das ist die Grundvoraussetzung.“
Im 17. Jahrhundert gab es eine Melodienstimme, eine Basslinie – auf dem musikalischen Gerüst wurde dann improvisiert.
Christina Pluhar, Dirigentin
Das Orchester als kreativer Klangkörper und nicht als Abspielapparat einer starren Partitur – klingt doch aufregend. „Es ist ein Geschenk, ‚Belshazzar‘ zu inszenieren. Der Stoff ist durch die Klimakrise unglaublich aktuell und brisant.“
Regisseurin Marie-Eve Signeyrole: „Wir haben diese Oper zu einer Oper über die Wasserkrise gemacht. Das Wasserproblem wird in kürzester Zeit zum Vorwand für alle zukünftigen Kriege werden. Die Frage des Wassers, die Umleitung des Euphrat, ist seit jeher ein wichtiges Thema für den Nahen Osten – und heute umso mehr, da das Wasser immer knapper wird und es den Menschen und Kulturen an Wasserressourcen mangelt. Es kann ein Land zu Boden werfen und ein anderes zum Herrscher machen. Wasser ist seit Anbeginn der Zeit eine wichtige Ressource für das Leben der Menschen und wird heute zu einem Grund für Krieg und Frieden. Es wird an der Börse gehandelt.“
Belshazzar ist also ein Oligarch, der den Rohstoff Wasser beherrscht. Sein Palast ist ein gigantischer See, in dem Poolpartys gefeiert werden – ein Symbol des Überflusses in einer Welt, in der Wasserknappheit herrscht. Cyrus ist ein Umweltaktivist und Prophet Daniel eine Art Banksy, die Flammenschrift „Mene mene tekel upharsin“ erscheint als heimlich gestaltete Street-Art.
Von Händel zu Putin
Marie-Eve Signeyrole: „Das Bühnenbild spielt sich hauptsächlich am Fuße eines riesigen Staudamms ab. Diese Umleitung des Euphrat ist in diesem Sinne zu verstehen: Es handelt sich um eine Strategie, um in eine extrem befestigte Stadt zu gelangen, die als uneinnehmbar gilt. Die Idee dieser Oper ist es, Cyrus als einen Aktivisten zu betrachten, dessen Ziel es ist, wichtige Ressourcen wie Wasser für alle neu zu verteilen.“
Wie verrückt muss man sich Belshazzar vorstellen?
Er ist eine Figur ohne Wiederkehrpunkt. Wir haben uns einen Mann vorgestellt, der eine Frucht seiner Zeit ist. Er ist gleichzeitig König, aber vor allem der Vertreter der Marke „the king“ (Kosmetik, Musik, Kleidung …). Er verschwendet die letzte Ressource, die er allein besitzt: Wasser.
Ganz am Anfang beklagt Nitocris den Untergang von Imperien. Ist das in der heutigen Zeit auch so?
Ich habe nicht das Gefühl, dass Nitocris ihren Untergang beklagt, sondern dass sie die Funktionsweise und die Entstehung dieser Imperien, die sie als „Monster“ bezeichnet, kritisiert. Heute, wo die meisten Imperien zerfallen sind, wird immer mehr von Fantasie-Imperien und imperialistischen Kriegen gesprochen. Schauen Sie sich Putin und seinen Traum von einem imperialen Russland an, Xi Jinping und Taiwan, Pjöngjang und seine beiden Koreas, Khamenei und die Eroberung eines schiitischen Reiches, Modi und ein Hindu-Reich, das von allen Muslimen befreit ist, Trump und seine Fantasie von einem evangelikalen Amerika, Musk und sein intergalaktisches Imperium auf dem Mars … Die Liste ist lang, finden Sie nicht?
Erschreckt Sie diese Aktualität in einem so alten Stück?
In den letzten Jahren, in denen ich Regie geführt habe, ist mir aufgefallen, dass alle Opern ein Echo auf unsere moderne Gesellschaft sind. Die Geschichte wiederholt sich ewig, und die Konflikte von gestern sind unaufhörlich die von heute. Die Menschen gewinnen nicht an Weisheit. Ganz im Gegenteil, sie jagen ewig dem Profit hinterher. Unsere Ignoranz, die Angst vor Mangel und die Furcht vor dem anderen schaffen Dummheit und Gewalt. Der Wunsch, Gebiete und Ressourcen zu erobern, wird die Welt auf ewig spalten.