Können Sie woke? Wissen Sie, was Sie mit kultureller Aneignung eigentlich anrichten können? Und wo sind da die Grenzen? Muss Adele tatsächlich einen Kniefall vor ihrer Instagram-Community tätigen, weil sie ein Musikfestival mit einer afrikanischen Zöpfchenfrisur besucht hatte? Ein Auftritt, der einen Shitstorm der Woke-Fraktion zur Folge hatte - wie anmaßend von einer überprivilegierten weißen Frau, die Traditionen afrikanischer Kultur zu vereinnahmen! Oder finden Sie, dass politisch korrekte Witze in etwa so sexy wie veganer Käse oder eine E-Mail-Debatte über sexuelle Einvernehm­lichkeiten vor dem ersten Date sind? Kann es Satire überhaupt geben, ohne irgendjemanden zu verletzen? Harald Schmidt, der Hohepriester politischer Unkorrektheit im TV-Entertainment, meint ein radikales „Nein“: „Ist in etwa so wie Fußball zu spielen, ohne gewinnen zu wollen.“

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Neue Wachsamkeit

In jedem Fall fegt gerade ein Kulturkampf, was geht oder eben nicht mehr, durch sämtliche Branchen, der natürlich auch vor dem Theater nicht haltmacht. Die neue Wachsamkeit gegenüber allen Ungerechtigkeiten, die „Marginalisierte“, so der neue Begriff für Minderheiten, erleiden müssen, nimmt oft paradoxe Formen an. Kürzlich, so geht der Tratsch, flogen in Frankfurt am Theater Aerosole der Empörung durch die Luft, als man sich bei einer Leseprobe zu einer Shakespeare-Komödie in eine heftige Debatte verstrickte, ob Männer in Frauenkleidern auf der Bühne nicht die Gefühle der transsexuellen Gemeinde in der Region verletzen könnten. Hallo, das ist Shakespeare! Auf dessen Komödienplaneten wimmelt es nur so vor Männern in Damenklamotten. 

In der neuen Inszenierung von Johan Simons’ „Geschichten aus dem Wiener Wald“ am Wiener Burgtheater wurden offensichtlich in vorauseilender Wokeness markante Textpassagen gestrichen. Als der Nazi Erich beim launigen Beisammensein einen Trinkspruch auf das Verlobungspaar Oskar und Marianne erhebt, wünscht er „brave deutsche Kinder …“ Im Original antwortet die angeheiterte Trafikantin mit: „Nur keine Neger! Heil!“ Um sich „das große Kind“ Erich in Folge klar zu machen, legt ihr Ödön von Horváth den Satz „Ja, glauben S’ denn, dass ich die Juden mag?“ in den Mund. Beide Sätze fehlen in der aktuellen Inszenierung. Die Biografie des Dramatikers stellt jedoch außer Zweifel, dass Horváth ein von Rassismus und Antisemitismus fleckenfreies Gemüt besaß, von Kopf bis Fuß Antifaschist war und vor den Nazis nach Paris floh, wo ihn bekanntlich der Ast eines Baumes erschlagen hat, also in keiner Weise denkt wie seine Trafikantin. 

Ab in die Mottenkiste?

Dass seine Figuren jetzt von jenen Tendenzen, die er damit ja anprangern wollte, befreit sind, ist durchaus diskussionswürdig. Es ist doch von jeher die Methode von Literaten, Satirikern und Drama­tikern, Missstände offenzulegen, indem man sie überzeichnet und/oder anhand von fiktivem Personal vorführt. Aus der Perspektive der Genera­tion Wokeness müsste man korrekterweise große Teile der Weltliteratur, die vor Sexismus, Rassismus, Chauvinismus und allen anderen Übeln dieses Erdenrunds strotzen, einfach gnadenlos umschreiben. Oder sie einfach in der anachronistischen Mottenkiste endlagern. 

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Aber wollen wir das wirklich? Diese Form politisch korrekter Kunst? Mir wäre eigentlich viel wichtiger, dass Frauen altersadäquat spielen können und nicht mit Anfang vierzig unwiderruflich ins Mutterfach rutschen, während Männer noch in ihren fortgeschrittenen Sechzigern im Genre des jugendlichen Helden über die Bretter toben dürfen. 

Aber mich fragt ja keiner.

Angelika Hagers Kolumne
Angelika Hager ist Journalistin und Autorin.

Foto: Rafaela Proell

Zur Person: Angelika Hager

Sie leitet das Gesellschaftsressort beim Nachrichtenmagazin „profil“, ist die Frau hinter dem Kolumnen- Pseudonym Polly Adler im „Kurier“ und gestaltet das Theaterfestival „Schwimmender Salon“ im Thermalbad Vöslau (Niederösterreich).